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Öffentliche Anhörung zu Kinderarmut:
Wenn die Not zum Alltag gehört

Kinderarmut ist in Deutschland längst zu einem Massenphänomen geworden – und das Problem wird immer größer: Mindestens 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche sind bundesweit davon betroffen. In einer Stadt wie Hamburg, in der soziale Unterschiede immer sichtbarer werden, müssen besonders viele Kinder ein Leben voller Entbehrungen in Kauf nehmen: Jedes fünfte Kind in der Stadt ist von Hartz IV abhängig, dabeihaben es besonders alleinerziehende Elternteile, aber auch kinderreiche Familien und Familien, die SGB II beziehen, schwer.

Trotz der dramatischen Lage wird viel zu selten öffentlich über diese Missstände diskutiert. DIE LINKE will das Schweigen brechen und hat daher Betroffene, soziale Initiativen und Einrichtungen zu einer öffentlichen Anhörung ins Rathaus eingeladen. Das Ziel: Jenen Akteuren, die sich schon seit Jahren aktiv gegen Kinderarmut einsetzen, sollte Gehör verschafft werden, sie sollten sich untereinander vernetzen und Außenstehenden so die Auswirkungen von Armut ganz konkret begreifbar machen. Knapp 20 Vertreter_innen verschiedener sozialer Projekte waren am 18. Mai unserer Einladung gefolgt, um von ihrer Arbeit zu berichten – und von den vielen Problemen, die sich im Kampf gegen die Kinderarmut stellen.

Olaf Sobczak etwa, Projektleiter von „Home Support„, berät und unterstützt so genannte Care Leaver auf dem Weg in die Verselbstständigung. Care Leaver sind  junge Menschen, die stationäre oder ambulante Hilfen zur Erziehung verlassen und ihr Leben als eigenständige Erwachsene beginnen. Sie können dabei nicht auf familiäre, finanzielle und soziale Unterstützung zurückgreifen, haben oftmals nur geringe Ressourcen und sind daher auch überproportional von Armut betroffen. Die Möglichkeit, eine eigene Mietwohnung zu beziehen, ist für diese jungen Menschen essentiell, zumal so auch eine Grundlage für Ausbildung und Arbeit, kurz: eine Existenzsicherung geschaffen werden könnte. Sobczak appellierte hier energisch an die Politik, einen neuen Plan für sozialen Wohnungsbau vorzulegen, den Wohnungsbau allgemein zu beschleunigen und den Zugang zu Wohnraum für junge Volljährige sicherzustellen – hier müsste die Stadt auch die SAGA/GWG als städtisches Unternehmen deutlich stärker in die Pflicht nehmen, etwa, um eine Quotierung der Zielgruppenvorgabe bei Neuvermietungen einzuführen.

Armut hat viele Gesichter

Besonders erschreckend: Viele Familien seien heute „arm trotz Arbeit„, so berichteten uns die Sozialarbeiter_innen. Wenn das monatliche Einkommen nur knapp oder nicht mehr zum Leben reicht, bekommen dies gerade die Kinder zu spüren – dabei hat Armut viele Gesichter. Die betroffenen Kinder hätten oftmals auf diversen Ebenen Defizite: „Es gibt Kinder, die kennen nicht den Michel, nicht den Hafen, die kennen nur den Stadtteil Dulsberg“, sagte Christin Stüwe vom Kinderhaus Alter Teichweg. Auch massive Bildungsdefizite seien ein Problem: „Einige Kinder wissen nicht einmal, dass Pommes aus Kartoffeln gemacht werden…“, so Stüwe.

Die Folgen der Armut sind vielfältig: Die Mitarbeiter_innen der Einrichtungen berichteten, wie sich die finanzielle Lage und damit auch die soziale Exklusiv auf das Selbstwergefühl vieler Kinder auswirke – Perspektivlosigkeit wird zur Normalität, Ausgrenzung, etwa, an Klassenfahrten nicht teilnehmen zu können, ebenfalls. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, fehlt im Alltag: Eine ausgewogene Ernährung etwa, angemessene Kleidung, Privatsphäre durch ein eigenes Zimmer oder auch nur ein eigenes Bett, Kommunikation und Gespräche in der Familie etwa. Immer wieder äußerten die Mitarbeiter auch Kritik an der Politik: Die unzureichende Finanzierung, die stetige Kürzung finanzieller Mittel gestalte den Kampf der Einrichtungen gegen die Kinderarmut schwierig, die im Hartz IV-Satz enthaltenen Leistungen für Bildung, Freizeit und Kultur seien viel zu niedrig angesetzt – und seien somit eigentlich nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Dazu mahlten die Mühlen der Bürokratie oft allzu langsam, hieß es: So würden nicht selten schon einmal fünf Monate, statt fünf Wochen (!) vergehen, bis Anträge auf gesetzliche Leistungen bearbeitet würden.

Die Politik ist in der Verantwortung

Die einhellige Meinung: Vieles muss sich ändern, damit arme Kinder adäquat unterstützt, versorgt und gefördert werden können: Ein gesundes, gebührenfreies Frühstück in den Kitas wäre hierbei nur ein Anfang, um die Lage der Betroffenen zu verbessern. Es müsste mehr niedrigschwellige Betreuungsangebote geben und echte Chancengleichheit in einem Bildungssystem, dass sozial benachteiligte Kinder nicht aussiebt, so die Meinung der Mitarbeiter_innen. Es müssen Grundlagen für eine echte soziale Sicherheit geschaffen werden, da waren sich alle Diskutanten einig: Durchgängig Förderketten, die gezielte Unterstützung Alleinerziehender, ausreichend bezahlbare Wohnungen in der Stadt, die Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit und natürlich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Fachkräften wären Punkte, an denen es jetzt anzusetzen gilt.

Eines ist sicher: Eine öffentliche Anhörung wie diese kann nur ein erster Schritt sein. Um den Kampf gegen Kinderarmut weiter zu unterstützen, wird DIE LINKE das Wortprotokoll mit den Erfahrungsberichten daher allen Anwesenden und der in Hamburg tagenden Enquete-Kommission zur Verfügung stellen. Darüber hinaus wird die Fraktion einige konkrete Forderungen und Kritikpunkte (etwa im Hinblick auf ein kostenfreies Frühstück in den Kitas) in ihre parlamentarische Arbeit einbinden und dazu entsprechende Anfragen und Anträge an den Hamburger Senat stellen.

Übrigens: Im Hamburg Journal hat der NDR über die Anhörung im Rathaus berichtet: Hier können Sie den Beitrag anschauen.