Kasiske, Florian

Wer arm ist lebt kürzer. Ob es die Sorgen um den Arbeitsplatz sind, die Menschen krank machen, ungesünderes Essen vom Discounter oder Suchtprobleme: Gesundheit ist nicht einfach eine Frage von individuellem Verhalten sondern von sozialer Ungleichheit. Zudem ist die ärztliche Versorgung in ärmeren Stadtteilen deutlich schlechter als in Gebieten mit hohen Durchschnittseinkommen.  Interdisziplinäre Stadtteilgesundheitszentren wie die Poliklinik auf der Veddel setzen hier an. Neben Ärzt_innen bieten sie Rechtsberatung, soziale Arbeit und Psycholog_innen an. In der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch, dem 20.11. beantragen wir: Hamburg soll öffentlich-rechtliche Gesundheitszentren aufbauen.

Der rot-grüne Senat hat unser Anliegen mittlerweile aufgegriffen und die Einrichtung von sieben lokalen Gesundheitszentren verkündet. „Man kann es nicht anders sagen: Unsere Oppositionsarbeit wirkt“, erklärt dazu Deniz Celik, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion. Integrierte Gesundheitszentren in schlechtergestellten Stadtteilen, die haus- und kinderärztliche sowie psychotherapeutische Behandlung anbieten, sind wichtige Bausteine zur nachhaltigen Bekämpfung der gesundheitlichen Ungleichheit in Hamburg. Es freut uns, dass die SPD das jetzt auch so sieht. Allerdings sind die 100.000 Euro Förderung je Zentrum alles andere als eine auskömmliche Finanzierung.“

Damit bestehe die Gefahr, dass sich keine gemeinnützigen Träger_innen finden lassen und der Aufbau von lokalen Gesundheitszentren nur leeres Versprechen bleibe. „Deshalb fordern wir eine deutliche Aufstockung der Förderung sowie eine kommunale Trägerschaft, falls sich keine gemeinnützigen Träger_innen finden“, so Celik. Neben den Gesundheitszentren fordern wir in unserem Antrag den Senat auf, eine kleinräumige Bedarfsplanung bei der Ärzteverteilung zu erarbeiten und die Zulassungssperren in unterversorgten Stadtteilen aufzuheben.“

Die Sitzung wird am Mittwoch ab 13:30 Uhr im Livestream der Bürgerschaft übertragen.

Mehr zum Thema in unserem Faltblatt „Gesundheit! Perspektiven für eine gerechte Gesundheitsversorgung im Stadtteil“Die soziale Spaltung der Stadt zeigt sich auch und ganz besonders bei der Gesundheitsversorgung und darin, wie alt wir werden. Die Lebenserwartung armer Menschen ist gegenüber reichen Menschen bis zu zehn Jahre geringer. Gerade Kinder sind in Hamburg von Armut in besonderem Maße betroffen. 21,7 Prozent der Hamburger Kinder sind arm. Das bedeutet sie sind im Vergleich zu erwachsenen Hamburgern/ -innen häufiger von Armut betroffen und sie sind auch häufiger von Armut betroffen als im Bundesdurchschnitt.

Krankheit und Armut hängen eng zusammen. Ein geringes Einkommen, eine niedrige Schulbildung, schlechte Wohnverhältnisse, Diskriminierungserfahrungen und Umweltfaktoren machen krank Der Hamburger Morbiditätsatlas aus dem Jahr 2013 belegt das für Hamburg. In den ärmsten Stadtteilen herrscht auch häufig eine hohe Krankheitslast, das heißt Morbidität. Die Krankheitsbelastung ist in den ärmeren Stadtteilen deutlich höher als in den reicheren.

Diese soziale Spaltung wird dadurch verschärft, dass wir auch eine Ungleichverteilung in der haus- und kinderärztlichen Versorgung haben. In der Tendenz sind die Stadtteile mit den reichsten und gesündesten Bewohnern/-innen am besten mit Arztpraxen versorgt und die Stadtteile mit den kränksten und ärmsten Einwohnern/-innen am schlechtesten haus- und kinderärztlich versorgt. Das hat unsere jüngste Große Anfrage zur ambulanten Versorgung ergeben (Drs. 21/18328). Hamburg kann und muss hier an mehreren Stellen ansetzen:

  1. Aufbau von gemeinnützigen oder öffentlich-rechtlichen Stadtteilgesundheitszentren
  2. Entsprechende kleinräumigere Bedarfsplanung, die auch die Faktoren Morbidität, Alter und Geschlecht mit einbezieht. Hier können bis 1.1.2020 neue Bedarfsplanungsinstrumente entwickelt werden
  3. Regelmäßige Aktualisierung des Hamburger Morbiditätsatlas

Gesundheitsversorgung sollte insgesamt nicht erst ansetzen, wenn die Menschen schon erkrankt sind, sondern präventiver gedacht werden. Gesellschaftlich krank machende Faktoren können nur mit einem ganzheitlicheren Konzept behoben werden. Der Aufbau von gemeinnützigen oder öffentlich-rechtlichen, barrierefreien und interdisziplinären Stadtteilgesundheitszentren in den Stadtteilen mit zu geringer ärztlicher Versorgung, hoher Krankheitslast und hoher Armut könnte dem Rechnung tragen. Wichtige Bestandteile eines interdisziplinären Gesundheitszentrums sind neben einer/einem Haus-, Kinderarzt/-ärztin, einer Gynäkologin/einem Gynäkologen auch eine Sozial- und Rechtsberatung, eine psychologische Beratung sowie am Gemeinwesen orientierte Präventionsprojekte, um besonders chronisch kranke Menschen besser versorgen zu können. In ärmeren Stadtteilen mit höherer Krankheitsbelastung besteht auch oft ein größerer gesundheitlicher Beratungsbedarf, der mit einem solch Drucksache 21/18952 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg – 21. Wahlperiode 2 interdisziplinären Ansatz besser aufgefangen werden könnte. Aber auch die Vernetzung und Einbeziehung mit anderen Gesundheitsversorgungsanbietern/-innen wie zum Beispiel Hebammen, Pflegekräften oder Physiotherapeuten/-innen wäre zielführender für eine bessere Versorgung.

Die Stadtteilgesundheitszentren sind barrierefrei zu gestalten Dies sollte mithilfe von Kriterien geschehen, die Menschen mit Behinderungen erstellen und konzipieren (wie zum Beispiel im Leitfaden des Projekts „Barrierefreie Arztpraxen in Hamburg“). So würden die Stadtteilgesundheitszentren den Mangel an barrierefreien Arztpraxen in Hamburg ein wenig abmildern.

Es gibt bereits ein paar Modelle für derartige Gesundheitszentren. Neben Ländern wie Kanada, Schweden oder Finnland, wo gemeindenahe Gesundheitszentren bereits seit Jahrzehnten zur Gesundheitsversorgung gehören, haben sich mittlerweile aber auch in Deutschland, teilweise unterstützt durch das PORT-Programm der Robert-Bosch-Stiftung, erste Initiativen auf den Weg gemacht, interdisziplinäre Gesundheitszentren in Stadtteilen mit hoher Armutsquote aufzubauen (zum Beispiel das Gesundheitskollektiv in Berlin oder die Poliklinik Veddel in Hamburg).

Auf Landesebene können neue Bedarfsplanungsinstrumente bis zum 01.01.2020 entwickelt werden, die sich an Morbidität, Alter und Geschlecht orientieren. Außerdem können die Planungsbereiche auch anders zugeschnitten werden als bisher. Bislang wurde das sozial gespaltene Hamburg als eine einzige Planungseinheit betrachtet. Das ist angesichts der ungleichen Versorgung in reichen und armen Stadtteilen aber problematisch.

Die letzte Veröffentlichung der Daten zur Morbidität für Hamburg stammt aus dem Jahr 2013. Um Gesundheit dauerhaft für alle zu verbessern, braucht es eine Datengrundlage, um die Krankheitsbelastung in einem regelmäßigen Turnus zu erheben und zu veröffentlichen.

Unsere Große Anfrage (Drs. 21/18328) belegt das Ausmaß der sozialen Spaltung in der ambulanten Gesundheitsversorgung in Hamburg.

Exemplarisch hier ein Beispiel für den Zusammenhang von Krankheitsbelastung, sozialer Ungleichheit und ärztlicher Unterversorgung: In Steilshoop, dem ärmsten aller Stadtteile Hamburgs ab 5 000 Einwohnern/-innen, leben 47,7 Prozent der Kinder von Sozialhilfe. Gleichzeitig ist Steilshoop dem Morbiditätsatlas von 2013 zufolge einer der Stadtteile mit der höchsten Krankheitsdichte Hamburgs. In Blankenese, dem drittreichsten Stadtteil Hamburgs (aller Stadtteile ab 5 000 Einwohnern/-innen), leben nur 0,8 Prozent der Kinder von Sozialhilfe und die Krankheitsdichte ist mit am geringsten in Hamburg. In Blankenese kommen 844 Kinder auf einen Kinderarzt, in Steilshoop kommen 3 943 Kinder auf eine Kinderärztin.

Die soziale Spaltung der Stadt zeigt sich ganz besonders bei der Versorgung mit Kinderärzten/-innen. 36 der ärmsten Stadtteile, in denen mindestens 20 Prozent der Kinder von Sozialhilfe leben, haben einen kinderärztlichen Versorgungsgrad, der teilweise unter 50 Prozent liegt. Nach der Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses bedeutet das eine Unterversorgung. In den drei reichsten Stadtteilen (Groß Flottbek, Wellingsbüttel, Blankenese), in denen nur maximal 3 Prozent der Kinder von Sozialhilfe leben, ist dagegen die kinderärztliche Versorgung sehr gut (mit einem Versorgungsgrad von 183 bis 242 Prozent).

Ähnlich ist es bei der hausärztlichen Versorgung. In den reichsten Stadtteilen gibt es keine hausärztliche Unterversorgung. Bei den ärmeren Stadtteilen, in denen mindestens 10 Prozent der Menschen von Sozialleistungen leben, sieht es hingegen ganz anders aus, zwei Drittel dieser Stadtteile sind mit einem Versorgungsgrad von unter 75 Prozent hausärztlich unterversorgt.

Um die soziale Spaltung der ambulanten Gesundheitsversorgung abzumildern und Gesundheitsversorgung präventiver zu denken, brauchen wir barrierefreie und interdisziplinäre Stadtteilgesundheitszentren in öffentlich-rechtlicher oder gemeinnütziger Trägerschaft in den Stadtteilen und Stadtteilclustern mit höherer Krankheitsbelastung, hoher Armut und haus- oder fachärztlicher Unterversorgung.

 

Die Bürgerschaft möge deshalb beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

  1. ein Konzept für den Aufbau von interdisziplinären, barrierefreien Gesundheitszentren in gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Trägerschaft in den Stadtteilen beziehungsweise Stadtteilclustern mit hoher Morbidität, hoher sozialer Belastung und einem Mangel an haus- und kinderärztlicher sowie psychotherapeutischer Versorgung zu erarbeiten,
  2. im Rahmen der Landeskonferenz Versorgung und in anderen Gremien darauf hinzuwirken, dass Hamburg aufgrund sozioökonomischer und Morbiditätsfaktoren in kleinräumigere Versorgungsgebiete aufgeteilt wird und die Bedarfsplanung durch die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg entsprechend angepasst wird,
  3. eine Aufhebung der Zulassungsbeschränkung von Arzt-/Ärztinnensitzen nach § 103 Absatz 2 SGB V in Gebieten mit Mangel an haus-, kinder- oder fachärztlicher Versorgung zu prüfen und auf die Aufhebung der Zulassungsbeschränkung in diesen Gebieten hinzuwirken, 4. alle fünf Jahre die Morbidität wie im Morbiditätsatlas von 2013 für alle Stadtteile zu veröffentlichen und die finanziellen und personellen Mittel dafür zur Verfügung stellen, 5. der Bürgerschaft bis zum 30. April 2020 zu berichten.

Mit der Drs. 21/18366 hat die Sozialbehörde (BASFI) Modellrechnungen vorgelegt, wie viel Geld im Hamburger Haushalt durch öffentlich geförderte Beschäftigung nach dem Teilhabechancengesetz voraussichtlich eingespart wird. Für 2020 werden bei sehr zurückhaltender Berechnung 0,7 Millionen Euro erwartet. Gleichzeitig sollen diese eingesparten Mittel nicht gesondert für soziale Beschäftigungsprojekte eingesetzt werden. Begründet wird dies damit, dass weiterhin die Programme STAFFEL und FAV (§ 16e SGB II a. F.) aus Landesmitteln unterstützt würden. Auch für Beschäftigungsverhältnisse nach § 16i SGB II seien 2019 Mittel in Höhe von 1,65 Millionen Euro bereitgestellt worden. Die BASFI werde dieses Engagement 2020 fortsetzen. Die eingesparten Mittel würden also bereits in diese Finanzierungen fließen.

Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass im Jahr 2020 sowohl STAFFEL wie auch FAV bis zum Jahresende auslaufen werden. Die Stellen im Rahmen von FAV werden monatlich abgebaut (siehe Drs. 21/16767 und 21/17497). Dies bedeutet auch, dass der Hamburger Finanzierungsanteil kontinuierlich sinkt. Zudem hat der Senat ausgeführt, dass soziale Stadtteilprojekte mit Beschäftigten nach dem Teilhabechancengesetz nun nicht mehr, wie ursprünglich angekündigt, über eine städtische Förderrichtlinie gefördert werden, sondern ausschließlich über den ESF (siehe Drs. 21/18277). Die erforderliche Kofinanzierung wird hier in erster Linie über die Lohnkostenzuschüsse aus Bundesmitteln erreicht. Hamburger Mittel stecken so vor allem noch im Programm Tagwerk. Für die sozialen Stadtteilprojekte an sich bedeutet das also weitere Mittelkürzungen.

Abgesehen davon täuscht die Darstellung der BASFI darüber hinweg, dass in jedem Fall Mittel eingespart werden, das heißt weniger ausgegeben wird. Es ist angesichts der prekären Finanzierungssituation sozialer Stadtteilprojekte mit geförderter Beschäftigung untragbar, dass diese weitere Kürzungen hinnehmen müssen, obwohl die Stadt Geld einspart.

Die Bürgerschaft möge daher beschließen:

Der Senat wird aufgefordert,

  1. ab dem Jahr 2020 die im Landeshaushalt durch geförderte Beschäftigung eingesparten Mittel für Unterkunft und Heizung vollständig und zusätzlich zur Förderung von sozialen Stadtteilprojekten, bei denen zugleich Menschen in geförderter Beschäftigung tätig sind, einzusetzen;
  2. schnellstmöglich transparente Kriterien für eine ergänzende Förderung von Projekten nach Ziffer 1. für die Laufzeit der Beschäftigung aus Landesmitteln zu entwickeln und nach diesen Kriterien die Mittel zu vergeben sowie die Vergabe der Mittel für die Laufzeit der Beschäftigung zuzusagen;
  3. der Bürgerschaft bis zum 31.12.2019 über die Umsetzung zu berichten.

Foto: Huhu Uet alias Frank Schwichtenberg (CC Wikimedia Commons) / „Polizei“ (CC BY-SA 2.0) by Eoghan OLionnain