Nach 100 Jahren: Die Republik muss im Rathaus sichtbar werden

20180802_kaiser-1-300x300 Vor hundert Jahren wurde die Monarchie in Deutschland abgeschafft. Aber im Hamburger Rathaus weht noch immer der Geist des Kaiserreichs. Besonders sichtbar ist das im Kaisersaal, dem zweitgrößten Saal des Rathauses, der 1895 anlässlich eines Besuchs von Kaiser Wilhelm II. eingeweiht wurde.  Wir wollen, dass damit Schluss ist. In einem Antrag für die nächste Bürgerschaftssitzung fordern wir die Umbenennung des Kaisersaals in Republikanischer Saal. „Das Hamburger Rathaus ist groß vor allem in dem, was es nicht zeigt“, sagte unser kulturpolitischer Sprecher Norbert Hackbusch in einer Pressekonfererenz.

Im Rathaus gibt es keine Spuren der Revolution von 1918/19 und der Arbeiterbewegung. Die Umwandlung in eine demokratische Republik wird nicht einmal erwähnt.  Dabei stellt die Revolution einen Bruch in der Verfassungsgeschichte Hamburgs dar, weil 1919 erstmals alle erwachsenen Bürgerinnen und Bürger das Hamburger Parlament wählen konnten – was im autokratischen Stadtstaat erst ab 1860 allenfalls fünf Prozent der Bevölkerung, nämlich den Grundbesitzern  und Vermögenden, möglich war. Aber weder die Frauen- noch die Arbeiterbewegung, die diesen Fortschritt erst erzwangen, sind im Rathaus sichtbar.

Der einzige Hinweis auf die Revolutionszeit im Rathaus ist eine Ehrung des blutigen Militäreinsatzes gegen die Bevölkerung nach den so genannten Sülze-Unruhen: „Rund 10.000 Mann Reichswehr und Freikorps marschierten am 1. Juli 1919 in Hamburg ein, hissten kaiserliche Flaggen und sorgten in den Arbeitervierteln für ein Blutbad“, erklärte auf der Pressekonferenz der Historiker Michael Joho. „Mehrere Dutzend Tote gingen allein auf das Konto des späteren Kapp-Putschisten Lettow-Vorbeck.“ Noch 1969 ließ der Senat die Gedenktafel für die reaktionären Militärs mit Blumen schmücken – ihre Hamburger Opfer werden bis heute nicht erwähnt.

„Die Stadt hat sich in den letzten 200 Jahren durch Industrialisierung und Handel von Grund auf verändert“, erinnerte der Sozialhistoriker Dr. Jürgen Bönig„Bürgerschaft und Senat waren im 19. Jahrhundert den Folgen dieses Wandels nicht gewachsen – erst die Bevölkerung, die Arbeitenden erzwangen durch Demonstrationen, Streiks und Aufstände angemessene Reaktionen. Deren demokratische und republikanische Bestrebungen, die für das ganze Land wichtig waren, sollten endlich im Rathaus sichtbar werden.“

Neben der Neubenennung des Kaisersaals beantragen wir unter anderem die Anbringung mehrerer Gedenktafeln, etwa für Helene Lange oder den Arbeiter- und Soldatenrat, sowie einen Wettbewerb für Hamburger Schüler_innen, um den Übergang zur Demokratie in der Hansestadt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.

Wer sich an der Debatte beteiligen will: Am Mittwoch, 07.08. um 18:00 Uhr diskutieren wir mit Historikerinnen und Historikern über Die Revolution und das Hamburger Rathaus – natürlich im „Kaisersaal“. Eintritt frei, barrierefrei erreichbar.

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