Viel Schatten, wenig Licht: Journalist berichtet über italienische Flüchtlingspolitik

Mitte November hatten wir einen besonderen Gast aus Italien zu Besuch: Stefan Galieni, Journalist und einer der größten Experten in Sachen italienischer Flüchtlingspolitik, hat im ehrwürdigen Kaisersaal des Hamburger Rathauses über die Lage in seinem Land berichtet: Seit Jahren steht die Flüchtlingspolitik Italiens massiv in der Kritik. Riesige Lager, sogenannte Hotspots, in denen tausende Menschen festgehalten werden, verzweifelte Geflüchtete, die ohne jegliche soziale oder medizinische Unterstützung bleiben und am Ende allzu oft ohne feste Unterkunft auf der Straße landen. Begleitete wurde Galieni von dem Fotografen Antonino Condorelli, während Esther Koppel, seit 40 Jahren Wahlitalienerin, übersetzte.

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Willkommens-Kommunen als positive Beispiele

Die Veranstaltung begann mit einer Diashow von Condorelli, in der wundervolle, aber ebenso verstörende Bilder von Menschen vor den europäischen Außengrenzen gezeigt wurden. Über eben diese Außengrenzen sprach Galieni später: Neben einigen bekannten, schrecklichen Fakten – etwa die hohe Zahl der 2016 im Mittelmeer Ertrunkenen und die unerträgliche Situation in den italienischen „Hotspots“ – erzählte er auch von einem alternativen System der kommunalen Aufnahme, das in Italien in einigen Gegenden bereits praktiziert wird. Dabei werden Geflüchtete über ein spezielles Programm gezielt in solchen Kommunen angesiedelt, in denen die Bevölkerung altert oder aus denen sie wegzieht. Den Migrant_innen wird dort eine Arbeitsstelle und eine Wohnung vermittelt, außerdem besuchen sie Sprachkurse. Gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft werden die verfallenen Dörfer schließlich wieder aufgebaut und die Migrant_innen weiterqualifiziert. Nach zwei Jahren endet das Programm – und die Migrant_innen sind nach Ablauf diese Zeit bereits besser gewappnet, um an einem anderen Ort Arbeit zu finden.

„Ankommen auf Augenhöhe!“

„Auch wenn nicht alles perfekt ist in diesen Dörfern; es ist eine win-win-Situation für alle“, sagte Galieni. An dem Programm beteiligt seien vor allem süditalienische Kommunen. Das liege vor allem an der sets praktizierten Solidarität innerhalb armer Bevölkerungsschichten – und daran, dass im südlichen Italien die große Mehrheit der Bevölkerung selbst einen Migrationshintergrund habe.

„Besonders bemerkenswert an diesen Kommunen scheint mir, dass die Geflüchteten als Subjekte ihrer eigenen Zukunft und nicht als Objekte einer Verwaltung betrachtet werden. Geflüchtete sind Träger von Rechten und nur wenn man sie als solche betrachtet und ihnen Angebote für ihr zukünftiges Leben macht, kann der gesamt Prozess des Ankommens auf Augenhöhe geschehen“, erklärte dazu Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion.

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Stefano Galieni, Jahrgang 1960, ist einer der größten Experten für italienische und europäische Flüchtlingspolitik. Seit Anfang der 1990er Jahre beschäftigt er sich mit den Themen Immigration und Rassismus. Er arbeitet für zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften, darunter „Liberazione“ und „Rivista del Volontariato“.
In den letzten Jahren liegt sein Hauptaugenmerk auf den Lagern, in denen Flüchtlinge in Italien festgehalten werden und der Ausgrenzungspolitik, die Flüchtlinge und Roma und Sinti in Italien erfahren müssen. Er wendet sich gegen Rassismus auch auf institutioneller Ebene und arbeitet an der Ausarbeitung von regionalen und nationalen Gesetzen mit, die eine Gleichstellung aller Bürger garantieren sollen. Er ist leitendes Mitglied der Menschenrechtsorganisation „LasciateCIEntrate“ und Koordinator der Redaktion der online-Zeitschrift „Corriere delle Migrazioni“.