Plenarprotokoll 20/41: Arme ärmer, Reiche reicher – umfairteilen und soziale Spaltung bekämpfen!

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Dieser Beitrag von Herrn Bläsing war

(Ksenija Bekeris SPD: … vernachlässigenswert!)

mir ein bisschen zu mau,

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

aber ich möchte gerne auf Frau Wolff eingehen. Frau Wolff, ich habe den Eindruck, das ist noch die Klippschule der Politik gewesen. Das verschönernde Vorwort zu lesen und dann zu sagen, das fasse den Armuts- und Reichtumsbericht sinnvoll zusammen, ist doch wirklich Vorschule. Wie soll ich das sonst nennen?

(Beifall bei Mehmet Yildiz DIE LINKE)

Sie müssen lesen, was darin steht, und dann kommen wir weiter.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und bei Phyliss Demirel GRÜNE)

Das entscheidende Moment, das dieser Armutsund Reichtumsbericht doch gerade aufzeigt, ist, dass man mittlerweile zum Teil trotz Arbeit arm ist in dieser Gesellschaft. Das wird da ausgeführt, damit müssen wir uns auseinandersetzen und auch Sie, auch wenn Sie das nicht wollen. Ich möchte Ihnen einige wichtige Fakten, die dort enthalten sind, noch einmal vor Augen führen. Uns wird immer so schön gesagt, wir müssten alle den Gürtel enger schnallen. Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sagt deutlich, dass wir in den letzten 10, 20 Jahren kräftig an Reichtum in dieser Gesellschaft dazugewonnen haben, und nicht, dass wir alle den Gürtel enger schnallen müssen. Das Problem ist bloß, dass diesen Reichtum nur 10 Prozent – wenn nicht nur 1 Promille, je nachdem, was man dort sieht – bekommen haben. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal und das müssen wir hier diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen das vor allen Dingen deswegen diskutieren, und das ist mir das Wichtige, weil hinter diesen dürren Zahlen, die dort präsentiert werden, sich doch die gesellschaftliche Realität und das Leben von Millionen Menschen in dieser Gesellschaftdarstellen. Wir gehen unheimlich gern darüber hinweg, weil in der Regel alle, die hier sitzen, mit Armut nicht so viel zu tun haben. Hier werden allgemeine Reden wie die von Herrn Bläsing gehalten, statt sich damit auseinanderzusetzen. Ich verlange von Ihnen, sich damit auseinanderzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es ist von meinen Vorrednern schon gesagt worden, dass es ein Phänomen ist, dass vor allen Dingen die Reichen dabei gewonnen haben, und zwar massiv gewonnen. Darüber könnte ich auch gut schimpfen, das wurde aber schon gemacht. Ich fände die Tatsache an sich gar nicht so schlimm, dass sie so viel dazu bekommen haben, aber das, was uns von der Volkswirtschaft so gern erzählt wird, ist nicht passiert, nämlich dass die da unten davon auch irgendetwas abbekommen. In der Volkswirtschaft nennt man das den „Trickle-down-Effekt“, das bedeutet, die oben bekommen etwas und irgendetwas fällt schon nach unten durch.

(Olaf Ohlsen CDU: Neiddebatte!)

Das Problem im Bericht ist die Bilanz der letzten 10 bis 20 Jahre, dass die untersten 50 Prozent in dieser Gesellschaft vor 20 Jahren noch 4 Prozent des Volkseigentums besaßen und im Jahr 2008 nur noch 1 Prozent. Das ist aktiver Kampf von oben gegen unten, und die unten bezahlen die oben. Das ist viel schlimmer als alles, was bisher da gewesen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Bläsing, sehen Sie sich die Zahlen an, denn der Bericht sagt noch etwas ganz anderes. Er besagt, dass in den letzten 10 Jahren das Vermögen insgesamt um 1400 Milliarden Euro – das können wir uns gar nicht vorstellen – in der Gesellschaft angewachsen ist. Aber der Staat hatte dagegen 800 Milliarden Euro weniger als vorher zur Verfügung. Das heißt, es ist nicht so, dass der Staat gemästet ist, sondern genau das Gegenteil ist der Fall. Die Privaten sind gemästet und der Staat ist arm geworden. Das zeigt dieser Bericht auch, und damit müssen Sie sich auseinandersetzen.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Ksenija Bekeris SPD)

Meine Damen und Herren! Das Ganze ist kein Naturgesetz und es ist nicht irgendwie passiert; auch das sagt dieser Bericht. Das ist die Bilanz der letzten 10 bis 20 Jahre Politik auf Bundesebene, das ist die ganz einfache, betriebswirtschaftliche Bilanz. Sie hat dazu geführt, dass die Reichen reicher geworden sind, und zwar kräftig, dass der Staat ärmer geworden ist und dass den unteren 50 Prozent praktisch das Geld aus der Tasche gezogen wurde. 75 Prozent ihres Einkommens, das ist ein gesellschaftlicher Skandal und den müssen wir aufheben. Das ist Aufgabe für jeden, der Politik betreibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses jetzt vorhandene Unrechtsgefühl besteht auch in der Gesellschaft, und das zeigt dieser Bericht. Es ist Ihre politische Aufgabe, das zu verändern. Deswegen verlange ich von Ihnen allen, am Sonnabend um 12 Uhr auf dem Rathausmarkt bei der Demonstration „UmFAIRteilen“ mit dabei zu sein. Das ist jetzt eine wichtige politische Aufgabe.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweiter Beitrag:

Dora Heyenn DIE LINKE:* Herr Präsident, meine Damen und Herren!
In dieser Debatte sind schon viele Zahlen genannt worden, und zwar sehr erschütternde Zahlen. Vor 20 Jahren hat die Kirche angefangen, darauf hinzuweisen, dass wir in der Bundesrepublik eine neue Armut zu erwarten haben. Die Sozialverbände haben sich dem relativ schnell angeschlossen und darauf aufmerksam gemacht, dass etwas getan werden muss. Sie sind verpönt worden und was ist passiert? Die Armut – das haben wir gerade gehört – hat ständig zugenommen. Jetzt ist die neue Armut in aller Munde und die Politik hat nichts gemacht. Seit 2004 haben ver.di, andere Gewerkschaften und DIE LINKE – damals noch als WASG – einen gesetzlichen Mindestlohn gefordert. Die SPD war der Auffassung, das bräuchten wir nicht;

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir sind schnell auf Kurs gekommen!)

ich möchte nur an Herrn Müntefering erinnern. Wir haben immer noch keinen Mindestlohn. Immerhin sind wir so weit, dass bis tief in die CDU hinein Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn vertreten werden. Wir kommen an einem gesetzlichen Mindestlohn nicht vorbei, wenn wir Menschen nicht einfach abhängen wollen. Prekäre Beschäftigung ist zwar mehrfach problematisiert worden – und ich bin sehr dankbar, dass das „Hamburger Abendblatt“ das aufgegriffen hat –, sie hat sich aber, während wir sie diskutierten, immer weiter ausgebreitet. Ganz schlimm ist, dass der Niedriglohnsektor, der sich Ende des letzten Jahrtausends nach der Deregulierung langsam herausgebildet hat, immer mehr zunimmt. Jeder zweite neue Arbeitsvertrag gehört inzwischen zu einem prekären Arbeitsplatz. Insofern kann ich verstehen, dass sich viele Verbände aus Wut und Enttäuschung darüber, dass nichts gegen diese soziale Ungerechtigkeit in der Gesellschaft getan wird, zu einem gemeinsamen Bündnis zusammengefunden haben, aufstehen, auf die Straße gehen und versuchen, der Politik ins Stammbuch zu schreiben, dass endlich etwas getan werden muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Was Sie hier ausgeführt haben, Frau Wolff, das kann ich eigentlich nur unter blankem Zynismus abtun. Es gibt 35 500 Aufstocker in Hamburg, und die sind – Herr Rose hat darauf hingewiesen –
nicht alle im öffentlichen Dienst beschäftigt, die arbeiten auch in Ihren wohlgelobten mittelständischen Unternehmen. 20 Prozent aller Beschäftigten in Hamburg arbeiten im Niedriglohnsektor,

(Dietrich Wersich CDU: Sie wissen, dass der bis 11 Euro geht!)

und auch die sind nicht alle im öffentlichen Dienst beschäftigt, sondern genauso in der Privatwirtschaft zu finden. Wenn Sie das nicht wahrnehmen wollen, dann ist das wirklich blanker Zynismus. Frau Hajduk hat zu Herrn Bläsing gesagt, er sei geistig nicht aktiv genug. Ich nehme an, damit haben Sie die FDP insgesamt gemeint, oder?

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Dazu kann ich nur sagen, wer die Realitäten der Spaltung unserer Gesellschaft, die täglich in den Zeitungen veröffentlicht werden, nicht wahrnimmt, der ist ideologisch total verbrettert und hat einen dicken Balken vorm Kopf.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und bei Christa Goetsch GRÜNE – Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP: Da sind Sie Expertin, Frau Heyenn!)

Jetzt zur Folklore, Herr Heintze. Ich habe das einmal nachgucken lassen, weil ich elektronisch nicht so bewandert bin wie andere in meiner Fraktion: Folklore heißt nichts anderes als Wissen des
Volks. Von daher ist mir Folklore bedeutend lieber als Ideologie.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Dass Sie die Chuzpe haben, sich hier hinzustellen und den Landesbetrieb Gebäudereinigung anzugreifen, wo Sie als CDU gegen den Willen der Bevölkerung den LBK privatisiert haben und sich jetzt darüber aufregen, dass es Rückkehrer gibt, ist auch wieder blanker Zynismus.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Wir freuen uns, dass die GRÜNEN und auch die SPD an dem bundesweiten Aktionstag teilnehmen. Trotzdem kann ich Ihnen nicht ersparen, noch einmal auf eines hinzuweisen: Dass wir in dieser Situation sind, in der sich unsere Gesellschaft befindet, hat natürlich weitreichendere Ursachen, als Herr Bläsing es dargelegt hat. Wir haben es in den letzten 15 Jahren mit einer Steuersenkungsarie zu tun gehabt, an der auch die SPD und die GRÜNEN beteiligt waren. Das war ein Riesenfehler und muss umgekehrt werden.

(Robert Bläsing FDP: Die Steuereinnahmen sind trotzdem gestiegen!)

Ich freue mich, dass Sie sich mit uns auf den Weg begeben und Steuererhöhungen fordern. Es muss eine gerechte Steuer geben und es muss auch die Vermögensteuer geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich freue mich, dass Senator Scheele gesagt hat, am Arbeitsmarkt müsse wieder Ordnung hergestellt werden. Die Deregulierung des Arbeitsmarkts ist das Ergebnis der Agenda 2010, an der Sie beteiligt waren; das muss alles zurückgedreht werden. Wir hoffen, dass wir da auf einen guten Weg kommen. Der ver.di-Vorsitzende Herr Abel hat gesagt

(Glocke)
– ich bin gleich fertig –:
„Glaubwürdigkeit erlangt man nicht durch Erklärungen, sondern nur durch politisches Handeln.“ Ich fordere SPD und GRÜNE auf, gemeinsam mit uns endlich dafür zu sorgen, dass wir wieder zu einer sozialen Gerechtigkeit in diesem Land zurückfinden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Andreas Dressel SPD)

Dritter Beitrag

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Ich wurde von Herrn Heintze persönlich angesprochen und möchte ihm natürlich gern antworten. Wir haben mit dem Armuts- und Reichtumsbericht eine Bilanz der Politik der letzten zehn oder zwanzig Jahre in harten Zahlen vorliegen. Damit muss man sich auseinandersetzen. Herr Bläsing, wir beide werden uns zusammensetzen und eine gemeinsame Erklärung dazu verfassen, was die fehlenden 800 Milliarden Euro bedeuten. Dann werden Sie Ihre Klatscher nicht mehr bekommen, da bin ich mir sicher. Aber das ist mir jetzt nicht so wichtig.
Herr Heintze, es ist völlig richtig, 1998 habe ich persönlich Wahlkampf für Rot-Grün gemacht. Ich habe gesagt, es wird mehr Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft geben. Ich bin damit auf die Schnauze gefallen, bin bei den GRÜNEN ausgetreten und habe gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Insofern habe ich da eine ordentliche Bilanz.

(Robert Bläsing FDP: Mal wieder!)

Ich will noch einmal darauf eingehen, was mir das Wichtigste an den vorliegenden Zahlen ist und was ich bei Ihren Ausführungen am meisten vermisst habe. Der härteste Fakt ist doch, dass 50 Prozent der Gesellschaft jeden Tag unter schlechten Bedingungen rackern. Sie strengen sich an, sie leisten etwas, Herr Bläsing, aber sie bekommen immer weniger. Vor 20 Jahren haben sie 4 Prozent des Volkseigentums besessen, 2008 war es nur noch 1 Prozent. Das ist ein dramatisches Zeichen für unsere Gesellschaft, und da kann man nicht sagen, es gehe dabei nur um die bösen 10 Prozent, die sowieso nichts leisten. Es ist die Mitte dieser Gesellschaft, die betroffen ist, und damit müssen Sie sich auseinandersetzen, das zeigen die Fakten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Daniel Gritz und Dr. Isabella Vértes-Schütter, beide SPD)

Dann muss ich leider noch einmal auf die Politik der SPD zu sprechen kommen. Es ist völlig richtig, wenn Sie sagen, die Einführung des Mindestlohns sei ein wichtiger Schritt, wir müssten etwas machen. Ich möchte mich noch einmal beim „Hamburger Abendblatt“ für die tolle Wochenendbeilage bedanken; da haben wir einiges abzuarbeiten.

(Olaf Ohlsen CDU: Schleim mal nicht rum!)

Was wir aber bei den laufenden Haushaltsberatungen vorgelegt bekommen, ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Mit der Beschränkung für die Zuwendungsempfänger in dieser Stadt auf ein Plus von 0,88 Prozent, obwohl alle wissen, dass aufgrund der anstehenden Tariferhöhungen mehr Geld für das Personal gebraucht werden wird, legen Sie, Herr Scholz und die Mitarbeiter Ihrer Behörden, den Zuwendungsempfängern unter der Hand nahe, doch einfach aus dem Tarifvertrag auszutreten,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt so nicht!)

um flexibel genug zu sein, in dieser Lage zurechtzukommen. Das können Ihnen etliche bestätigen; wir alle kennen Beispiele. Fragen Sie einfach die Zuwendungsempfänger im Kita-Bereich oder in den Bücherhallen. Das ist die Realität, und das ist eine Kriegserklärung an die Gewerkschaften in dieser Stadt.

(Beifall bei der LINKEN)

Es widerspricht auch dem, was Sie so groß angekündigt haben. Nehmen Sie das zurück, dann wäre schon ein Schritt getan, um diesen Skandal, der im Armuts- und Reichtumsbericht deutlich geworden ist, in dieser Stadt zu verändern. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss Demirel und Christa Goetsch, beide GRÜNE)