Plenarprotokoll 20/86: Hamburg muss sich dafür einsetzen, die Geheimverhandlungen zu stoppen und das geplante Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP zu verhindern!

Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Was wir erleben, ist eigentlich unvorstellbar. Seit Mitte 2013 verhandeln EU und USA über ein Transatlantisches Freihandels- und Investitionsabkommen, kurz TTIP, 

(Dietrich Wersich CDU: Und Sie sind nicht dabei!)

welches weitreichende Auswirkungen auf Hunderte Millionen Menschen hat, und diese Verhandlungen werden geheim geführt. Während die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird, sogar gewählte Parlamente ihrer Rechte weitgehend beraubt und Zuständigkeiten auch der Landesparlamente und der kommunalen Selbstverwaltung beseitigt werden, sind 600 Vertreter der Wirtschaftslobby dabei und können ihre Positionen und Forderungen einbringen.
Das widerspricht allen Grundsätzen von Transparenz, Demokratie und Partizipation.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Öffentliche Angelegenheiten brauchen das Licht der Öffentlichkeit. Wer geheim hält, hat seine Gründe, und zwar keine guten. Das ist umso schlimmer, als es in der EU doch ohnehin keinen Überfluss, sondern einen Mangel an Demokratie und demokratischer Mitwirkung gibt. So kann man die Zustimmung zur Europäischen Union wirklich völlig erledigen.
Einiges ist bekannt geworden, was schlimmste Befürchtungen bestätigt; ich beschränke mich auf wenige Gesichtspunkte. Es stimmt, dass die USA und die EU wirtschaftlich eng verflochten sind und es unnötige und auch nicht selten für viele nachteilige Regelungen, bürokratische Hemmnisse und unnötige Vorschriften gibt, Stichwort Medikamentenzulassung. Aber warum legt man solche nachteiligen Regelungen nicht offen auf den Tisch, erörtert und ändert, was nach öffentlicher Debatte geändert werden sollte? Weil es dabei um den Vorteil der Bevölkerungen überhaupt nicht geht.
Es heißt, das Abkommen werde sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken: mehr Wachstum, mehr Wohlstand. Selbst die kühnsten Prognosen bestätigen das nicht. Der Effekt für das Bruttoinlandsprodukt in der EU wird irgendwo im Bereich zwischen 0,3 und 1,3 Prozent angesiedelt – innerhalb von zehn Jahren wohlgemerkt. Ein neues Jobwunder versprechen die Befürworter.
Selbst wenn es zum Beispiel in Deutschland, wie prognostiziert, 180 000 neue Arbeitsplätze geben würde, wie viele Arbeitsplätze würden infolge von TTIP und verschärfter Konkurrenz gleichzeitig vernichtet? Unter dem Strich bliebe nicht viel und selbst wenn, so überwiegen die Nachteile bei Weitem, denn positive Effekte werden zu 80 Prozent von der Reduzierung sogenannter nichttarifärer Maßnahmen erwartet.

Und das ist des Pudels Kern: Nichttarifäre Maßnahmen sind zum Beispiel vergleichsweise gute Standards im Arbeitsschutz, im Gesundheits- und Umweltschutz und bei den Verbraucherrechten. In vielen Bereichen sind europäische Standards besser als US-amerikanische, in anderen Bereichen sind sie schlechter. Hier soll angeglichen werden, und zwar nach unten und nicht nach oben. Mögliche geringfügige wirtschaftliche Effekte würden also mit großen sozialen Kosten erkauft – hier wie in den USA. Ein Beispiel: Die gesetzliche Krankenversicherung warnt davor, dass sich der Arbeitsund Gesundheitsschutz verschlechtert. Der betriebliche Arbeitsschutz oder Leistungen etwa zur Heilbehandlung und Rehabilitation würden, so die Befürchtung, als Handelshemmnisse gewertet. Höhere Standards, zum Beispiel bei der betrieblichen Prävention, seien kaum noch zu erreichen.
Bestandteil des Abkommens soll nicht zuletzt ein Investitionsschutz sein. Konzernen wird das Recht eingeräumt, gegen die Stärkung von Arbeitnehmerrechten oder von Gesundheits-, Umwelt- undauch Sozialstandards juristisch vorzugehen. Was da droht, ist wirklich der Hammer. Kommt es zu Konflikten zwischen Investoren und Staaten, können die Investoren private Schiedsverfahren vor drei Anwälten anrufen, von denen sie einen selbst einsetzen. Rechtliche Streitentscheidungen werden privatisiert. Das Rechtsstaatsprinzip wird ausgehebelt.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das gibt es jetzt schon: So verklagt derzeit Vattenfall die Bundesrepublik wegen des beschlossenen Atomausstiegs auf 3,7 Milliarden Euro Schadenersatz, möglich auf der Grundlage eines Handelsabkommens zwischen Deutschland und Schweden.
Durch TTIP könnten zukünftig 75 000 Unternehmen mit Sitz sowohl in der EU als in den USA im Streitfall Schiedsverfahren anrufen. Nach bisherigen Erfahrungen beträgt die Erfolgsquote klagender Unternehmen 70 Prozent.
Nicht nur im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitnehmerrechte sind erreichte Standards bedroht. Entsprechendes gilt für Umwelt- und Gesundheitsstandards und den Verbraucherschutz, etwa die Lebensmittelsicherheit. Auch die kommunale Daseinsvorsorge, die Wasserversorgung und
Abwasserentsorgung, Abfall, ÖPNV, soziale Dienstleistungen, Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge im Kulturbereich und, und, und, all das droht unter die Räder des Freihandelsabkommens zu geraten. TTIP betrifft auch Hamburg und die hier lebenden Menschen in vielen Lebensbereichen. Wir, der Senat und die Bürgerschaft, dürfen nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE fordert: Stoppt diese Verhandlungen und lasst uns das gemeinsam machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweiter Beitrag

Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren! Ich freue mich natürlich über die sehr engagierte und kontroverse Debatte. Ich möchte deutlich sagen, dass die GRÜNEN und wir sie angestoßen haben durch unsere Anträge und dadurch, dass wir das Thema zur Aktuellen Stunde angemeldet haben. Herzlichen Dank an diese beiden Oppositionsfraktionen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Was hier gilt, gilt auch auf EU-Ebene. Es wäre nichts, buchstäblich gar nichts von der EU-Kommission auf irgendwelche Webseiten gestellt worden, hätte es nicht findige Whistleblower gegeben, die Dokumente veröffentlicht haben. Es würde heute kein Mensch über TTIP sprechen, wenn es nicht oppositionelle Kräfte, unter anderem DIE LINKE, angestoßen hätten. Auch die GRÜNEN sind beteiligt, aber auch viele weitere Organisationen wie „Attac“ und so weiter.
Aber, Herr Kluth, es sind keineswegs nur DIE LINKE, die GRÜNEN oder „Attac“ und ähnliche Gruppierungen, die vor TTIP warnen und die Geheimverhandlungen kritisieren. Ich habe mich während der Vorbereitung informiert, wer noch alles einen sehr, sehr kritischen Standpunkt einnimmt. Das sind zum Beispiel die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, der Deutsche Städtetag, die Verbraucherzentrale, der BUND, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die Gewerkschaften, der Börsenverein, die Akademie der Künste und die Aktion „Freiheit statt Angst“. Das sind Institutionen, Organisationen und Verbände, die genau wissen, welche Auswirkungen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen drohen. Deshalb muss man diese Kritik, die wir versuchen, auch ins Parlament zu tragen, wirklich ernst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)

Es gab den Versuch, uns ein wenig US-Feindlichkeit unterzuschieben. Dazu sage ich ausdrücklich, nicht nur in Deutschland oder anderen EU-Ländern, sondern auch in den USA gibt es diese Kritik.
Bürgerrechtsbewegungen, Naturschutzvereinigungen, der Dachverband der Gewerkschaften AFL-CIO, Verbraucherschutzvereinigungen und Kirchen haben vor wenigen Wochen einen Brief an den Handelsminister geschrieben und haben vor TTIP gewarnt und es kritisiert, und zwar, weil auch in den USA Standards eingerissen werden. Es ist natürlich fahrlässig zu denken, in Europa hätten wir die hohen Standards, aber in den USA gäbe es gar nichts. Das trifft in einigen Bereichen zu, in anderen Bereichen ist es umgekehrt. Und deshalb gibt es diesseits und jenseits des Ozeans Kritik.
Um es deutlich zu sagen, wir sind auch für Kooperation. Aber diese Kooperation muss zum Wohle aller stattfinden und darf nicht auf Kosten von irgendwelchen Menschen stattfinden. Herr Kluth, es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie zu den sozialen Kosten vielleicht auch das eine oder andere Wort verloren hätten. Aber ich hatte den Eindruck, das geht an Ihnen völlig vorbei.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe die Sicht aus dieser Gesellschaft eben schon wiedergegeben, und jetzt sage ich Ihnen noch etwas anderes. Dabei beziehe ich mich auf die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung. Das Abkommen, das verhandelt wird und das die Regelungen im transatlantischen Wirtschaftsraum vereinheitlichen soll, richtetsich de facto, vom Ergebnis her, direkt und massiv gegen andere Länder, die nicht daran beteiligt sind, und vor allem gegen die am wenigsten entwickelten Länder. Das ist nämlich der erwartete Effekt, die Exporte der am wenigsten entwickelten Länder in die EU werden zurückgehen. Es gibt Befürchtungen, dass der Rückgang der Exporte das Bruttoinlandsprodukt in diesen ärmsten Ländern um bis zu 3 Prozent schrumpfen lässt. Es ist eine Schande, dass die Vereinigten Staaten und die Europäische Union, die ihre Territorien durch Zäune und sichtbare wie unsichtbare Mauern gegen Flüchtlinge abschotten, gemeinsam daran arbeiten, die Lebensgrundlagen der Menschen in den armen Regionen noch mehr zu zerstören. Auch diese Wirkung von TTIP sollte beachtet werden, und auch das ist ein Grund, warum wir uns gegen TTIP wehren.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Scheuerl, ich finde es wirklich ziemlich zynisch, wenn Sie sich darüber mokieren, dass wir fordern, die Grenzen Europas, dieser Festung, niederzureißen. Sie wollen die volle Bewegungsfreiheit für die Waren und das Kapital, aber wir sagen, für Menschen muss mindestens dasselbe gelten wie für Waren und Kapital.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist jetzt ein bisschen schwer für mich, mich mit der SPD auseinanderzusetzen. Ich könnte mich mit Hunderten von Standpunkten auseinandersetzen, Sie haben hier auch nicht dieselbe Sprache gesprochen. Der eine kritisiert so ein bisschen, der andere gar nicht, der Dritte ziemlich stark und sagt, das werde man auf keinen Fall hinnehmen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Der andere kritisiert Sie!)

Ich finde, Sie sollten sich darüber verständigen, und dann würde ich es auch gut finden, wenn Sie nicht nur meckern, sondern tatsächlich auch mitmachen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir machen mit!)

diese Verhandlungen zu stoppen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage deshalb noch einmal: Diese Verhandlungen müssen gestoppt werden, denn sonst können Sie tausendmal Mindeststandards fordern, aber am Ende wird nichts daraus und dann haben Sie nur die Wahl, Ja oder Nein zu sagen. Ich weiß, wie Sie sich dann entscheiden. Sie werden dann nämlich zustimmen und sagen, dass Sie es leider nicht verhindern konnten.
TTIP macht für uns auch deutlich, dass Europa nicht weniger, sondern mehr Demokratie braucht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu gehört – natürlich mache ich hier auch Wahlkampf –, dass das Europäische Parlament gestärkt werden muss.

(Dirk Kienscherf SPD: Das hätten wir jetzt nicht vermutet!)

Deshalb der Appell nach draußen und gerade auch an alle, die TTIP kritisieren und bekämpfen: Gehen Sie wählen und verändern Sie die Mehrheitsverhältnisse, damit das Europäische Parlament sich einmischt in diese Verhandlungen.

(Beifall bei der LINKEN)