Plenarprotokoll 20/86: Mindeststandards für die öffentliche Unterbringung von Familien in Hotels

Cansu Özdemir DIE LINKE:* Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist mir noch deutlich zu laut.

Vizepräsidentin Kersten Artus (unterbrechend): Mir ist es auch zu laut, ich bitte um Ruhe. Oder verlassen Sie den Raum, dann können Sie draußen sprechen. Herr Jarchow, Frau Suding, ich bitte
wirklich um Ruhe, damit Sie der Rednerin zuhören können. – Frau Özdemir, fahren Sie bitte fort.

Cansu Özdemir DIE LINKE (fortfahrend): – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! 2012 begann der Senat, wohnungslose Familien in Hotels unterzubringen. 2013 waren es 217 und im laufenden Jahr schon 39 Familien. Außerdem werden über 700 Familien in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, in denen es keine abgeschlossenen Wohneinheiten gibt und in denen sanitäre Anlagen sowie Küchen gemeinsam genutzt werden. Ich möchte Ihnen die Situation in den Hotels schildern. Hotel hört sich zwar komfortabel an, ist es aber nicht, wenn wir uns einmal die Bedingungen anschauen.

Es leben drei bis fünf Familienmitglieder in einem Zimmer. Die Mindestgröße ist hier nicht vorgeschrieben, das heißt also, wir wissen gar nicht, wie klein oder groß das Zimmer ist. In manchen Unterkünften gibt es noch nicht einmal eine Gemeinschaftsküche. Die Familien haben keinen Zugang zu Sozialberatungen im Rahmen des Unterkunftsund Sozialmanagements. Sie haben aber auch keine Ansprechpartner vor Ort. Das heißt, die einzige Person, an die sie sich wenden können, ist die Person, die jeweils an der Rezeption steht.

Hochproblematisch ist aber vor allem die Unterbringung von Kindern, auch von Säuglingen, unter solchen Bedingungen. Man kann ganz deutlich sagen, dass unter solchen Bedingungen die Selbstversorgung von Familien, aber auch die alltagsgerechte Ernährung der Kinder und Babys unmöglich ist. Angemessene Spielräume oder Spielmöglichkeiten gibt es auch nicht. Wir wissen nicht genau, wie die Familien ihre Tage dort verbringen in diesen engen Zimmern. Die Bedingungen sind also mangelhaft und nicht familiengeeignet. Deshalb kann auch davon ausgegangen werden, dass hier das Kindeswohl und auch der Schutz der Familien nicht gewährleistet ist. Das wiederum könnte bedeuten – und das wissen die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen –, dass eine größere Anzahl von Kindern über die Jugendhilfe fremdplatziert untergebracht werden muss. Dies würde den ohnehin schon ziemlich gefährdeten Zusammenhalt der Familien noch stärker gefährden. Für uns heißt es ganz einfach, dass Familien mit Kindern, die wohnungslos geworden sind, besonderen Schutz erfahren müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Mit diesem Antrag fordern wir Mindeststandards, die sich an den fachlichen Vorgaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe orientieren, die Ihnen wahrscheinlich nicht fremd sind. Da wird zum Beispiel angegeben, dass abgeschlossene Wohneinheiten mit eigenen sanitären Anlagen und eigener Küche vorhanden sein müssen, ebenso getrennte Schlafräume für Eltern und Kinder, und dass die Wohnfläche 15 Quadratmeter pro Person betragen sollte. Dann werden natürlich auch kleinere, dezentrale Unterkünfte gefordert wie in München. Auf dieses Beispiel weisen wir seit drei Jahren hin. Die SPD hat 2010 in ihrem Antrag zum Thema Wohnungslosigkeit das Münchener Modell selber als Vorbild angegeben, uns in den letzten drei Jahren aber immer kritisiert. Selber an der Regierung glauben Sie jetzt auf einmal, dass das Münchener Konzept „Wohnen statt Unterbringung“ nicht machbar sei.

Ich möchte aber aus Ihrer damaligen Großen Anfrage von Herrn Kienscherf zu den Lebensbedingungen in den Unterkünften zitieren: „Im Fachdiskurs ist unumstritten, dass soziale Hilfen für Wohnungslose dann am wirksamsten eine Normalisierung der Lebenssi-tuation erreichen können, wenn eine zumindest minimale Stabilisierung der Lebensbedingungen erreicht werden kann, hierzu gehört vor allem eine Unterkunft, die eine Privatsphäre bietet und eine Regeneration der Kräfte erlaubt.“

(Beifall bei der LINKEN)

Das würde ich so unterschreiben. Aber schauen wir uns die jetzigen Bedingungen einmal an: Eine Regeneration der Kräfte erlauben solche Unterbringungen, wie wir sie zurzeit in Hamburg haben, leider nicht, ganz zu schweigen von Privatsphäre, denn von abgeschlossenen Wohneinheiten kann nicht die Rede sein. Außerdem fordern wir in unserem Antrag eine Evaluation. Wir möchten gerne wissen, warum in Hamburg immer mehr Familien wohnungslos werden, warum immer mehr Familien mit Kindern untergebracht werden müssen. Wir brauchen diese Evaluation, um zu schauen, wie man hier präventive Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass Familien überhaupt wohnungslos werden.
Das wichtigste Ziel sollte der Senat eigentlich immer vor Augen haben, nämlich dass wohnungslose Menschen, vor allem Familien mit Kindern, wieder in gesicherte Wohnverhältnisse integriert werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen dafür Sorge tragen, dass Familien nicht wohnungslos werden; dazu komme ich noch in der zweiten Runde.

(Finn-Ole Ritter FDP: Zweite Runde?)

Ich habe mir das Interview von Herrn Scheele in der letzten Ausgabe von „Hinz&Kunzt“ durchgelesen. Da sah Herr Scheele ziemlich verzweifelt aus. Sie sagten etwas in der Art, dass Sie nicht weiter wüssten bei der öffentlichen Unterbringung. Das bereitet mir viele Sorgen. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wie Sie jetzt weiter vorgehen möchten mit einem Konzept, das Sie gar nicht haben.

(Beifall bei der LINKEN – Ksenija Bekeris SPD: Vielleicht hat DIE LINKE ja einen Vorschlag!)

Zweiter Beitrag

Cansu Özdemir DIE LINKE:* Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde es wirklich unmöglich, dass Sie sich hinstellen und uns verbieten wollen, über dieses Thema zu sprechen.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Die Art und Weise!)

– Es geht nicht um die Art. Das Thema ist ein sozialpolitisches Dauerproblem in dieser Stadt, und zwar seit Jahren, und Sie können nicht behaupten, dass wir keine Konzepte vorgelegt hätten, nicht bei diesem Thema.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben genug Anträge eingereicht, in denen wir konstruktive …

(Dirk Kienscherf SPD: Nicht Anträge, sondern realistische Konzepte!)

– Dann sind Ihre Anträge genauso unrealistisch gewesen, Herr Kienscherf. Sie können doch nicht sagen, das war damals.

(Dirk Kienscherf SPD: Damals hatten wir weniger Flüchtlinge!)

Man konnte damals schon sehen, dass es eine solche Entwicklung geben wird, so stand es auch in Ihrem Antrag. Das war absehbar, nur haben Sie zu spät reagiert. Dass es nicht einfach ist, Unterkunftsmöglichkeiten zu schaffen, ist uns allen klar. Aber ich bin nicht bei Ihnen, Frau Fegebank, wenn Sie sagen, es hätte eine konstruktive Debatte zu diesem Thema gegeben. Wir haben Anträge gestellt – alle wurden im Ausschuss versenkt. Ich weiß nicht, ob Ihr Antrag angenommen wurde; ich glaube, eher nicht. Dass Sie sich hier so äußern, wundert mich aber gar nicht. Denn als Herr Kienscherf in seiner Großen Anfrage die damalige schwarz-grüne Koalition fragte, ob an den Mindeststandards etwas geändert werden solle oder ob sie verbessert werden sollten, da hat Ihre Regierung gesagt, das sei nicht notwendig, obwohl es auch schon damals notwendig war. Deshalb wundert mich Ihre Reaktion hier nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte auch noch einmal auf den CDU-Abgeordneten Herrn Ploog eingehen. Ein Hotelzimmer ist keine familiengerechte Unterbringung, vor allem nicht mit Säuglingen, weil – das müsste Ihnen bekannt sein – Säuglinge mit der Flasche ernährt werden. Diese Flasche muss auch irgendwo warm gemacht werden, und das passiert nun einmal in einer Küche.

(Unruhe im Hause – Glocke)
Vizepräsidentin Kersten Artus (unterbrechend): Ich bitte die Bürgerschaft darum, Frau Özdemir ausreden zu lassen und ihr zuzuhören. Und ich bitte darum, auch mir zuzuhören und mir Folge zu
leisten. – Danke schön. Frau Özdemir, fahren Sie bitte fort.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Schwer erträglich!)

Cansu Özdemir DIE LINKE (fortfahrend):
– Schwer erträglich sind eher die Argumente, hier zu behaupten,

(Dirk Kienscherf SPD: Wie viele Kinder haben Sie denn großgezogen? – Gegenruf von Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist doch ein Scheißargument!)

dass erstens DIE LINKE keine Vorschläge gemacht habe und zweitens die Hände gebunden seien. Ich glaube nicht, dass die Hände gebunden sind, denn wir haben so viel Leerstand in dieser
Stadt, den man doch umbauen könnte.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Erkundigen Sie sich mal bei Frau Sudmann, die wird Ihnen schwer was husten!)

Wissen Sie, was die Argumentation des Senators war? Dass es viel zu teuer sei, sanitäre Anlagen einzubauen. Am Anfang sagten Sie noch im Sozialausschuss, egal was es koste, Sie würden sich bemühen. Das nenne ich doch einmal eine Argumentation.

(Beifall bei der LINKEN)

Auf einen Punkt möchte ich noch hinweisen. Berechnen Sie einmal die Hotelkosten für eine fünfköpfige Familie. Pro Tag und Kopf sind es ungefähr 25 Euro, das macht für einen Monat etwa
3750 Euro. Da ist doch genug Geld vorhanden, um auch diese leerstehenden Gebäude umzubauen. Ich verstehe nicht, was hier das Problem sein soll.

(Beifall bei der LINKEN)