Plenarprotokoll 20/94: Gemeinsam für Flüchtlinge: Engagement für Zuwanderer stärken

Cansu Özdemir DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir werden der Nachbewilligung zustimmen, aber wir glauben nicht, dass das ausreichen wird. Schauen wir uns die Konflikte in verschiedenen Ländern, in verschiedenen Regionen der Welt an. Es ist abzusehen, dass wir weitere Flüchtlinge aufnehmen werden. Ich bin der Auffassung, dass wir sie aufnehmen müssen, und ich glaube auch, dass das unsere Pflicht ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wenn wir sie aufnehmen, spielt für uns auch eine Rolle, wie wir sie aufnehmen – Stichwort Qualität. Und wenn wir uns die Flüchtlingsunterkünfte in der jetzigen Situation einmal anschauen, dann können wir von einer schlechten Qualität sprechen. 

Dem Zusatzantrag der SPD-Fraktion werden wir nicht zustimmen. Hier stimmt schon der Titel nicht. Nach vier Jahren Regierung sollte es endlich heißen: Wir brauchen eine nachhaltige Strategie für menschenwürdige Unterbringung aller Wohnungslosen, und das als höchste Priorität in dieser Stadt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP)

Die FDP sagt, sie fordere seit Längerem eine Strategie. Wir fordern seit vier Jahren eine Strategie, haben unterschiedliche Anträge eingebracht mit kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Forderungen, wie die Wohnungslosigkeit in der Stadt bekämpft, sprich, wie dafür gesorgt werden kann, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden. Aber man kann, wenn Sie schon von Zusammenarbeit, von Kooperation sprechen, ganz deutlich sagen, dass die SPD-Fraktion diejenige Fraktion war, die sich geweigert hat, mit den Oppositionsfraktionen zu kooperieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP)

Wo wir gerade bei den Standards sind: Herr Dressel äußerte in der Zeitung, auch er fände Zelte untragbar. Das freut mich. Dann ist jetzt für uns der Zeitpunkt da, über Mindeststandards zu sprechen. Es kann nicht sein, dass es in einer Stadt wie Hamburg immer noch keine Mindeststandards bei der Unterbringung von  Flüchtlingen gibt. Ich nenne als Stichwort nur die Schnackenburgallee. Schauen Sie sich die Unterkunft einmal an. Mir hat es, ehrlich gesagt, die Sprache verschlagen. Ich finde, so eine Qualität geht gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn Herr Scheele sich hinstellt und der Presse sagt, es tue ihm alles sehr, sehr leid, aber leider gebe es kein Geld, dann kann ich nur sagen, dass die Not dieser Menschen die höchste Priorität in dieser Stadt sein sollte. Es sollte unsere höchste Priorität sein, diese Menschen, zum Teil Minderjährige, menschenwürdig unterzubringen,

(Kazim Abaci SPD: Das wollen wir!)

aber nicht in Zelten mit 32 Personen und verschiedenen Geschlechtern. Herr Abaci, Sie und Ihre Fraktion tun so, als seien wir alle dafür verantwortlich, dass die Menschen jetzt in Zelten untergebracht werden. Wären Sie kooperationsbereit gewesen und hätten unsere konkreten Forderungen angenommen …

(Beifall bei der LINKEN – Ksenija Bekeris SPD: Welche?)

– Ich kann Ihnen unzählige Anträge zeigen, in denen wir Sie aufgefordert haben, leer stehende Gebäude, Wohn- und Büroräume zu überprüfen. Es freut mich, dass die GRÜNEN diese Forderung aufgenommen haben, obwohl sie sich damals enthalten haben. Ich kann Ihnen sagen, warum wir in dieser Situation sind. Sie können nicht so tun, als hätten Sie damit nichts zu tun.

(Kazim Abaci SPD: Das haben wir nicht gesagt!)

Es gibt zwei wesentliche Gründe, warum wir jetzt in dieser Klemme stecken, erstens Ihre Konzeptlosigkeit. Seit vier Jahren haben Sie kein Konzept vorgelegt.

(Kazim Abaci SPD: Stimmt nicht!)

– Herr Abaci, Sie haben immer kleinere Maßnahmen vorgelegt, aber kein umfassendes Konzept,

(Beifall bei der LINKEN)

weder im Bereich der Wohnungslosigkeit in Bezug auf die deutschen Wohnungslosen, noch in Bezug auf die Flüchtlinge.

(Ksenija Bekeris SPD: Erinnern Sie sich an das Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit?)

– Das ist doch kein Gesamtkonzept, das ist eine Auflistung von kleinen Maßnahmen, die nichts ändern werden.

(Beifall bei der LINKEN und bei Martina Kaesbach FDP – Ksenija Bekeris SPD: Was ist das denn für ein Unsinn, Frau Özdemir!)

Kommen wir zum zweiten Punkt. Es gibt einen weiteren Grund, und das ist Ihre verfehlte Wohnungspolitik in dieser Stadt.

(Zurufe von der SPD)

– Hören Sie doch auf, sich nach vier Jahren immer noch an der schwarz-grünen Koalition abzuarbeiten.

Sie haben 6000 Wohnungen bauen lassen, davon waren nur 600 Sozialwohnungen. Wie soll denn da eine Reintegration stattfinden?

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr Antrag ist wirklich peinlich. Sie fordern uns auf, Ihre Flüchtlingspolitik mitzutragen, ohne dabei mit uns zu kooperieren. Dann werden zwei Zusatzanträge der Oppositionsfraktionen eingereicht, und Sie schauen sich das noch nicht einmal an, sondern sagen gleich, das verwirre Sie alles, Sie kämen damit nicht zurecht, und dann lehnen Sie diese Anträge ab.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal auf die Punkte in Ihrem Antrag eingehen. Punkt 1 und 2 haben für uns Appellcharakter ohne jede Wirkung. Sie appellieren an Ihre eigene Bundesregierung, dass sie Ihnen helfen solle, und wir sollen zustimmen. Im dritten Punkt geht es um das freiwillige Engagement. Wir sind auch dafür, dass Menschen sich in den Flüchtlingsunterkünften engagieren, wir schätzen diese Arbeit und finden sie wichtig. Aber die Freiwilligen, die sich dort engagieren, können doch nicht für Ihre verfehlte Politik einspringen. Es gibt auch andere Bereiche, wo man noch investieren müsste, zum Beispiel in Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, die fehlen, oder in Trauma-Sprechstunden. Das, was angeboten wird, ist für die tausend Flüchtlinge nicht ausreichend.

Zu den Anträgen der anderen Fraktionen. Dem GRÜNEN Antrag werden wir zustimmen. Ich habe es eben schon gesagt, das war eine unserer Forderungen, und das ist es immer noch. Schade nur, dass Sie sich damals enthalten haben, als wir das so in unserem Antrag formuliert haben. Dem Antrag der FDP-Fraktion wollten wir eigentlich, mit Ausnahme der Ziffer 8, ebenfalls zustimmen. Es ist aber so, dass ich manchmal ein gewisses Problem mit dem Ton von Frau Kaesbach habe. Ich habe Ihren Ton nicht angemessen gefunden, und das, was Sie gesagt haben, in Teilen auch nicht. Das war auch schon bei der letzten Debatte so, als wir über die jesidischen Flüchtlinge gesprochen haben. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN – Robert Bläsing FDP: Das ist ja mal eine originelle Begründung!)

– Herr Bläsing, ich wollte es nicht so sagen, aber die meisten Forderungen, die Sie dort stellen, haben wir schon vor Ihnen in unseren Anträgen gehabt, und da haben Sie nicht zugestimmt.

(Robert Bläsing FDP: Noch eine originelle Begründung, die wird nicht besser!)

– Ihre Begründung war auch nicht viel besser, ich glaube, sie war billiger.

(Dirk Kienscherf SPD: Beide schlecht!)

Zur übernächsten Bürgerschaftssitzung werden wir wieder einen umfassenden Antrag einreichen, eine Strategie mit kurz-, mittel- und langfristigen Forderungen,

(Karin Timmermann SPD: Damit kriegt man keine Flüchtlinge untergebracht!)

die Sie sich zu Herzen nehmen sollten. Denn ich glaube, es ist wirklich an der Zeit, langfristige, mittelfristige und kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen und in diese zu investieren, um eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik in dieser Stadt zu haben. Ihre jetzige Politik werden wir nicht mittragen.

(Beifall bei der LINKEN)