Das Budgetrecht der Hamburgischen Bürgerschaft – ein Trauerspiel

von Joachim Bischoff, Bernhard Müller und Norbert Weber

Seit 2015 ist das Haushaltswesen in Hamburg vollständig auf die Doppik, d.h. eine kaufmännische Betrachtungsweise umgestellt. Wesentliche Gründe für die Umstellung waren, dass in der bis dahin praktizierten kameralistischen Haushaltsplanung und -führung weder der Verschleiß des öffentlichen Vermögens (Abschreibungen) noch Rückstellungen vor allem für die Altersvorsorge erfasst waren. Schließlich wurde sich von einer Ausrichtung auf einen produktorientierten Haushalt mit entsprechenden Kennzahlen eine effizientere Ausgabenpolitik versprochen. Die Entscheidung für eine vollständige Umstellung auf die Doppik fiel, obwohl die Frage nach den Produkten, den heranzuziehenden Kennziffern und der Transparenz bis heute nicht geklärt ist.

Durch die Einführung der Doppik sollte der Haushalt „ergebnis- und wirkungsorientiert ausgerichtet“ werden. „Das heißt , Menge, Wert und Folgen der Leistungen werden ins Verhältnis zu den eingesetzten Ressourcen gesetzt. Ziel des NHH (Neue Haushaltsrechnung) ist es, (…) den Haushalt über Ziele und Kennzahlen künftig auf die erwünschten Ergebnisse und Wirkungen des Ressourceneinsatzes (Output und Outcome) anstatt auf reine Zahlungsströme auszurichten. Auf diese Weise soll erreicht werden, knappe öffentliche Mittel wirkungsorientiert einzusetzen, mehr Transparenz im Hinblick auf politische Schwerpunktsetzung zu erzielen sowie Wirkungen staatlicher Maßnahmen und die Entwicklung des Vermögens der Stadt besser abzubilden.“ (Drs. 19/4142, „Mitteilung des Senats zum Haushaltsplan 2009/2010, Einzelpläne 2 und 8.1.“)

In dieser Drucksache heißt es unter 4. Entwicklung und Definition von Kennzahlen: „Die in den Wirtschaftsplänen der Auswahlbereiche dargestellten Kennzahlen wurden aus vorhandenem Datenmaterial (Statistiken, Kosten- und Leistungsrechnungen, Produktinformationen) übernommen. Die Steuerungsrelevanz der zurzeit ausgewählten Kennzahlen wird in einem ständigen Prozess von den Verantwortlichen in und zwischen den Behörden und unter Berücksichtigung der fachlichen Erörterungen in den Ausschüssen der Bürgerschaft zu überprüfen sein. (…)“

Festgehalten werden muss: Der Verständigungsprozess zwischen den Verantwortlichen in der Finanzbehörde und den Vertretern der Bürgerschaftsfraktionen ist nach vielen gescheiterten Versuchen eingestellt worden. Hamburg hat jetzt ein vermeintlich modernes Verfahren beim öffentlichen Haushalt, aber die Transparenz und damit das Budgetrecht des Parlaments ist erheblich verschlechtert. Die wesentlichen Schwachpunkte: Es gibt weder eine befriedigende Kosten-Leistungsrechnung, noch aussagekräftige Kennzahlen. Wenn man sich die gigantischen Kosten für die Einführung dieses Systems vor Augen hält, kann man ohne Übertreibung von einer großen Fehlinvestition sprechen.

Seit 2003 beschäftigt sich die Hamburgische Bürgerschaft mit der Umstellung des kameralen Haushaltswesens auf die an kaufmännische Regeln ausgerichtete Buchführung (Doppik). Seit 2010 werden einzelne Behörden umgestellt.

Die Umstellungskosten bis zum 31. März 2014 betrugen insgesamt 80,2 Millionen Euro. Einschließlich der Reste stehen für das Projekt noch Haushaltsmittel in Höhe von 26,1 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel werden nach derzeitigem Stand voraussichtlich auskömmlich sein. Also 100 Millionen Euro, deren Abgrenzung man noch in Zweifel ziehen kann; faktisch dürften die Aufwendungen weit höher ausgefallen sein.

Es war klar, dass diese komplette und überstürzte Umstellung ab 2010 ihren Tribut fordern würde, weil die Unterschiede zur bisherigen kameralistischen Buchführung beträchtlich sind und damit eine Betrachtung im Vergleich zu den vorangegangenen Haushalten vielfach schwierig ist. Die Zweifel an der Ausgestaltung der Produkte, der Konkretisierung von Kennzahlen und der unverzichtbaren Transparenz für die Abgeordneten, die BehördenmitarbeiterInnen und die politische Öffentlichkeit konnten bisher nicht ausgeräumt werden, sondern haben sich im Gegenteil verstärkt.

Wie berechtigt diese Zweifel sind, kann im neuen Bericht des Landesrechnungshofs nachgelesen werden, der sich mit den steuerungsrelevanten und aussagekräftigen Kennzahlen beschäftigt, die für das doppische System so entscheidend sind. Geprüft wurden die Kennzahlenwerte der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI). »Aus den 155 Kennzahlen wurden 75 ausgewählt und hierzu gemäß den Angaben im Haushaltsplan 2015/2016 die vorgefundenen 67 Istwerte des Haushaltsjahres 2012 und die 72 Istwerte des Haushaltsjahres 2013 überprüft.«

Bei seiner Recherche kommt der Rechnungshof einem ziemlich harschen Befund:

  • Mangelnde rechnerische Richtigkeit

Bei der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration stellt der Rechnungshof fest, dass ca. zwei Drittel der geprüften IST-Werte richtig berechnet waren, ca. 15 Prozent geringe Abweichungen und ca. 15 Prozent Abweichungen von über zwei Prozent aufweisen.

  • Völlig unzureichende Dokumentation des Erhebungswegs

Nur in drei der geprüften 75 Fälle hat der Rechnungshof eine schriftliche Dokumentation vorgefunden, die es ermöglichte, den Rechenweg, die Datengrundlagen und den Auswertungszeitpunkt einwandfrei nachzuvollziehen. In 30 Fällen konnte die Behörde keinerlei Unterlagen hierzu vorlegen. »Die BASFI hat für mehrere Kennzahlen angegeben, dass es jeweils Beschäftigte gebe, die in der Lage seien, die jeweiligen Kennzahlenwerte zu ermitteln. Dies halte sie in einem ersten Schritt trotz fehlender schriftlicher Dokumentation für ausreichend.«

  • Unzuverlässigkeit der Information

Nur bei 24 der75 geprüften Kennzahlen (32 Prozent) erwies sich die Kennzahl als eindeutig beschrieben und nicht weiter erläuterungsbedürftig. Bei 41 Kennzahlen (55 Prozent) ist es jedoch notwendig, eine Erläuterung auszubringen oder die Benennung der Kennzahl bzw. bereits vorhandene Erläuterung im Haushaltsplan zu präzisieren. Bei weiteren zehn Kennzahlen (13 Prozent) weicht die Bezeichnung von der tatsächlichen Berechnungsgrundlage erheblich ab bzw. war die Berechnungsgrundlage nicht mehr vorhanden. Beispiele:

    • »Mehrere Kennzahlen waren mit einer falschen Rechengröße ausgewiesen, wie zum Beispiel bei den Ausgaben für die ›Hilfe zur Erziehung insgesamt‹. Diese betrugen zum Beispiel im Jahr 2013 mehr als 259 Millionen Euro und nicht, wie im Haushaltsplan dargestellt, 259.606 Euro.«
    • Für die Berechnung von Kennzahlen, die Bevölkerungszahlen berücksichtigen, bedient sich die BASFI der Daten des Statistikamts Nord. Es handelt sich zum Teil um Hochrechnungen, deren Ursprungsdaten aus unterschiedlichen Quellen (Volkszählung 1987, Zensus 2011) stammen, oder um Auszählungen des Melderegisters. Die Aussagekraft der Kennzahl ist abhängig von der jeweils genutzten Datenbasis. Lediglich in einem Fall hat die BASFI in der Erläuterung auf die exakte Datenquelle hingewiesen.
  • fehlende Qualitätssicherung

Soweit eine Abweichung der Kennzahlen-Istwerte um mehr als plus/minus zwei Prozent vorliegt (Tz. 525), sieht der Rechnungshof die bisherige Qualitätssicherung als nicht ausreichend an. »Insbesondere hat seine stichprobenhafte Prüfung korrespondierender Kennzahlen (›davon‹) Differenzen in der Summenbildung ergeben: So wird die ›Summe der HzE-Gesamtausgaben‹ aufgeschlüsselt auf die Bezirke und das Familieninterventionsteam. Die Summe der im Haushaltsplan 2015 genannten Einzelergebnisse für 2012 ergibt nicht den Wert für die ausgewiesenen Gesamtausgaben, sondern weicht davon um 9 Mio. Euro ab.«

Mit der versprochenen Transparenz und Effektivität des doppischen Systems ist es also nicht weit her, wenn sich Parlament und Öffentlichkeit bei den von den Behörden ausgewiesenen Kennzahlen nicht auf Richtigkeit, Nachvollziehbarkeit und Qualität verlassen können. Man muss dahinter keine Absicht vermuten, sondern eher ein unausgegorenes System, das selbst die, die damit befasst sind, oft überfordert. Davon zeugen auch die Antworten auf viele kleine und große Anfragen an den Senat. So ist es offensichtlich außerordentlich schwierig, Informationen zu produkt- und damit behördenübergreifenden Politikfeldern zu erhalten. So gab es die letzte zusammenfassende Darstellung der Kosten für die Unterbringung und Integration der großen Zahl der Schutzsuchenden in der Stadt Mitte des Jahres 2014. Und nicht einmal die Haushaltsexperten der Fraktion waren bisher in der Lage, die entsprechenden Planpositionen im Doppelhaushalt 2015/2016 zusammenfassend darzustellen.

Um die Haushaltshoheit des Parlaments wieder herzustellen, muss deshalb eine Verbesserung des doppischen Systems betrieben werden. Zudem sollten den Fraktionen Ressourcen für eine bessere »Übersetzungsarbeit« und Kontrolle zur Verfügung gestellt werden.