Wohnen, Stadtentwicklung, Verkehr: Eine Halbzeitbilanz

von Heike Sudmann

kadDEU_Sudmann2013_0004-300x200 Im Februar 2015 wurde die jetzige Bürgerschaft gewählt, erstmalig für eine Dauer von fünf Jahren. Somit ist es an der Zeit, jetzt eine Halbzeitbilanz zu ziehen. „Meine“ Bereiche Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr standen oft im Fokus der Öffentlichkeit. Im Vergleich zu den Vorjahren wurde der Wohnungsbau gesteigert, Unterkünfte für Geflüchtete geschaffen, Pläne für neue Bahnlinien entworfen. Es hat sich also was getan. Doch ein genauer Blick zeigt Fehlentwicklungen, falsche Versprechungen und keinen notwendigen Politikwechsel. Wobei ich zugeben muss, dass ich unter der Führung von Olaf Scholz und bei dem willigen grünen Anhang der Grünen auch nicht viel anderes erwartet habe. Nachfolgend ein paar Aspekte zu den drei Politikfeldern.

1. Wohnen

Die entscheidende Frage zu Beginn der 21. Legislaturperiode war (und ist auch nach zweieinhalb Jahren unverändert), ob der zunehmende Wohnraummangel und die explodierenden Mieten gestoppt oder sogar zurückgedreht werden können (konnten). Entgegen allen Behauptungen und Zahlentricksereien des Senats ist diese Frage mit einem doppelten NEIN zu beantworten.

Seit Jahren variieren die Schätzungen zur Zahl der fehlenden Wohnungen in Hamburg zwischen 30.000 und 90.000. Allein durch den Zuwachs an Einwohner_innen wird der Mangel verstärkt. Gut 50.000 Menschen sind nach Hamburg gezogen. Bei der durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,8 Personen wären knapp 28.000 Wohnungen nötig. Real sind unter Berücksichtigung der knapp 1.200 abgerissenen Wohnungen in diesen zwei Jahren nur rund 15.500 zusätzliche Wohnungen auf den Markt gekommen1.

Die rasante Entwicklung der Mieten wird durch den alle zwei Jahre erstellten Hamburger Mietenspiegel dokumentiert. Seit 2011 liegt der Mietenanstieg jeweils bei rund 6%. Die steigende Tendenz wird durch das Wohnungsbauprogramm des Senats verschärft. Es kommen immer mehr teure Wohnungen auf den Markt, die nach und nach den Mietenspiegel in die Höhe treiben. 2015 und 2016 betrug der Anteil der freifinanzierten und somit teureren Wohnungen am Neubau 42%, Eigentumswohnungen machten 29% aus, der Anteil der geförderten Wohnungen kam gerade mal auf 28%. Diese Verteilung geht nicht nur völlig an dem Senatsmärchen vom Drittelmix vorbei, sondern ist ein Hohn für die 50% aller Hamburger Haushalte, die so wenig Einkommen haben, dass sie eine geförderte Wohnung beanspruchen könnten.

Die Fraktion DIE LINKE hat vor diesem Hintergrund immer wieder gefordert und beantragt, dass der Anteil der öffentlich geförderten und somit günstigen Wohnungen beim Neubau mindestens 50% betragen muss. Für die bereits vorhandenen Wohnungen brauchen wir eine echte Mietpreisbremse. Leider wurden unsere Anträge immer wieder abgelehnt.

Einen kleinen Erfolg können wir für unser hartnäckiges Eintreten für eine bessere Wohnungspolitik verbuchen. Es gibt mittlerweile im Senat Überlegungen, die Bindungsdauer im Sozialwohnungsbau von 15 auf 30 Jahre zu verlängern. Das ist zwar noch weit weg von unserer Forderung, öffentlich geförderte Wohnungen auf Dauer für Menschen mit wenig Einkommen bereit zu halten. Aber es ist immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

Gemeinsam mit unserer Bundestagsfraktion streiten wir für eine neue Gemeinnützigkeit in der Wohnungswirtschaft. Wohnungen sollen nicht mehr als lukrative Anlageobjekte für Investor_innen dienen, sondern der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit günstigem Wohnraum. Kurz gesagt: Keine Rendite mit der Miete!

2. Stadtentwicklung

Im rot-grünen Koalitionsvertrag findet sich ein sehr richtiger Passus: „Um den galoppierenden Flächenfraß zu stoppen, muss Innenentwicklung Vorrang vor Außenentwicklung haben. Flächenverschwendendes Bauen, Leerstand und Zweckentfremdung müssen wirksam eingedämmt werden. Qualitätsziele für die Innenentwicklung sind Flächeneffizienz, bevorzugte Nutzung von Konversionsflächen, urbane Dichte mit hoher Freiraumqualität.“ (S. 55).

Diese guten Absichten wurden in der Realität leider nicht eingehalten. Laut NABU wurden von 2011 bis heute rund 246 Hektar Stadtgrün überplant, das entspricht der anderthalbfachen Größe der Außenalster.

Die steigenden Zahlen von Flüchtlingen im Jahr 2015 hat der rot-grüne Senat genutzt, um bisherige Tabuflächen zu Wohnbauflächen zu machen, z.B. am Mittleren Landweg im Bezirk Bergedorf, am Haferblöcken beim Öjendorfer See oder in Wandsbek in der Hummelsbüttler Feldmark. In vielen Neubaugebieten, so auch beim geplanten Gebiet Allermöhe III (Oberbillwerder), sollen Einfamilien- und Doppelhäuser entstehen, also die Wohnformen, die den meisten Platz brauchen und am wenigsten Menschen unterbringen. Das ist Flächenverschwendung pur.

Aber woher bzw. wohin sollen die Wohnungen kommen, die in Hamburg fehlen? Die einfache Antwort „neu bauen“ ist nur ein Teil der Lösung. Niemand weiß es genau, doch Schätzungen gehen von mehreren tausend vorhandenen Wohnungen in Hamburg aus, die zweckentfremdet werden. Diese Wohnungen werden nicht normal bewohnt, sondern illegal als Ferienwohnungen genutzt oder aus Spekulations- und anderen Gründen leer stehen gelassen. Das ist verboten, doch die Gefahr erwischt zu werden, ist gering. Für die über 900.000 Wohnungen in Hamburg sind gut 10 (in Worten: zehn) Mitarbeiter_innen der Wohnraumschutzabteilungen zuständig. Unsere Anträge zur Personalaufstockung und Effektivierung werden in schöner Regelmäßigkeit abgelehnt.

Ein anderes Problem, das der Senat ebenfalls nicht angeht, ist der steigende Wohnflächenverbrauch pro Kopf. Selbst wenn die Anzahl der Neubauwohnungen gleich bleibt, muss für die größer werdenden Wohnungen mehr Fläche bebaut werden. Hier sind neue Wohnungsbauformen nötig, die kompaktere Wohnungen mit flächensparenden Gemeinschaftsflächen vorsehen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Senat bis heute kein Konzept zur Umsetzung der hehren Ziele aus dem Koalitionsvertrag hat. Dabei gibt es Trends, die Platz schaffen: der Verzicht auf das eigene Auto macht viele oberirdische Park- und Stellplätze überflüssig. Einkaufsmärkte müssen nicht mehr eingeschossig gebaut werden – eine alte Erkenntnis. Eine Zukunftsvision mit einer nachhaltigen Nutzung von Flächen und dem Erhalt von Grün ist machbar, Herr Nachbar!

Exkurs: Stadtentwicklung und Denkmalschutz

Was bedeutet „Denkmalschutz“ in Hamburg? Wer glaubt, dass sich dahinter ein genereller Schutz für Denkmäler verbirgt, unterliegt einem Irrglauben. In vielen Einzelfällen zeigt sich, dass der von der Fachwelt vor Jahren verliehene unrühmliche Titel „Freie und Abrissstadt Hamburg“ zu keinem Umdenken geführt hat, sondern weiterhin der Realität entspricht. Besonders an Stellen, wo Investor_innen (sich) wirtschaftlich lukrative Geschäfte versprechen, findet der Senat den Denkmalschutz nicht so relevant. Die Cityhof-Hochhäuser, die Schiller-Oper oder der Bunker an der Feldstraße sind die bekannteren Beispiele. Die Landarbeiter-Häuser in Barmbek oder die über 100 Jahre Metallfabrik im Industriegebiet Billbrook sind weniger bekannte Beispiele, bei denen die Wirtschaftlichkeit über den Denkmalschutz erhoben werden. Mit Ausnahme der Schiller-Oper ist die Stadt übrigens Eigentümer_innen der genannten Grundstücke und Gebäude. Eigentum verpflichtet auch die Stadt. Doch die einzige Vorbildfunktion des rot-grünen Senat besteht hier in der Botschaft: Denkmalschutz ist kein Hindernis für wirtschaftliche Interessen.

Exkurs: Stadtentwicklung und Beteiligung

In jeder Rede und in jedem Antrag wird von rot-grün bei passender Gelegenheit die Wichtigkeit von Beteiligung der Bürger_innen betont. Doch echte Mitsprache über das Informieren hinaus findet weder in der Stadtwerkstatt noch in anderen Verfahren statt. Anträge der LINKEn, die den Bürger_innen auch Gestaltungsmacht geben sollen, werden mit Hinweis auf die zuständigen gewählten Politker_innen in Bezirk und Bürgerschaft abgelehnt. Das gleiche Schicksal erleiden auch unsere Anträge zu den Stadtteil- und Quartiersbeiräten. Die ehrenamtlich Engagierten vor Ort sollen nicht auch noch die Briefmarken und Sitzungsräume aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen oder ihre Freizeit für das Schreiben und Verschicken von Protokollen verwenden. Statt jährlich auf das Glücksspiel mit den bezirklichen Geldern angewiesen zu sein, fordern wir eine verlässliche Finanzierung. Rot-Grün ist bisher dazu nicht bereit. Vielleicht sollten sie nochmal in ihren Koalitionsvertrag gucken. Dort steht auf Seite 61: „Die Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen an der Gestaltung ihrer unmittelbaren Lebenswelt über z.B. Stadtteilbeiräte ist ein tragender Bestandteil der Stadtteilentwicklung, auch über die Laufzeit von Förderprogrammen hinweg.“ Also, lesen und umsetzen!

Exkurs: Stadtentwicklung und Olympia 2024

Da war doch noch was. Die aktuellen Geschehnisse zu G20 haben ein anderes Großprojekt in den Hintergrund rücken lassen. Die Olympischen Sommerspiele 2024 sollten nach dem Willen des rot-grünen Senats in Hamburg stattfinden. Der Sport stand dabei nicht so sehr im Vordergrund, vielmehr wurde Olympia als ein Motor für die Stadtentwicklung und das Hamburg-Marketing verkauft. Wie bei den Dieselmotoren lässt sich auch bei Olympia feststellen, dass mit geschönten Werten gearbeitet wurde. Besonders bei den Finanzen wurden die Folgen für Hamburg heruntergerechnet. Heute ist klar, dass der Bund mitnichten bereit war, sich stärker an den Kosten zu beteiligen. Und mittlerweile sollten auch die letzten Olympia-Befürworter_innen begriffen haben, dass mit dem IOC keine ehrlichen Verträge abzuschließen sind, dass die Risiken stets bei der Austragungsstadt liegen. Olympia 2024 wäre zum finanziellen Desaster für Hamburg geworden. Doch die Hamburger_innen waren klüger als Rot-Grün.

Trotz einer millionenschweren Werbekampagne für Olympia, trotz einer überwiegend einseitigen Berichterstattung der hamburgischen Medien über Olympia, trotz einer fragwürdigen Änderung der Verfassung zugunsten eines so genannten Bürgerschaftsreferendums stimmten sie gegen den Olympia-Wahnsinn. DIE LINKE hatte sich übrigens als einzige Bürgerschaftspartei klar und deutlich gegen Olympia gestellt.

3. Verkehr

Viele haben sich gerade von den Grünen eine Verkehrswende erhofft. Der oberflächliche Eindruck, dass der Radverkehr jetzt im Mittelpunkt steht, wird durch die polemischen Angriffe von CDU und FDP verstärkt. Doch die neu entstandenen Radstreifen sind oft nur Flickwerk oder Bruchstücke, mit unzureichender Breite und Abgrenzung zum Autoverkehr. Bis spätestens 2029 soll der Anteil des Radverkehrs in Hamburg auf 25% gesteigert werden. Lächerlich, wenn in Städten wie Kopenhagen heute schon der Radanteil bei über 50% liegt.

Der Fußverkehr spielt im Bewusstsein des Senats übrigens keine Rolle, daran haben auch die Grünen nichts geändert. Dabei wird diese Fortbewegungsart und ihr Potenzial für eine Belebung der Stadt immer noch unterschätzt.

Auch beim Bau von Straßen ist eine Wende nicht in Sicht. Die geplante Autobahn A 26-Ost z.B. wird nicht nur mehr Verkehr erzeugen, sondern auch den Stadtteil Wilhelmsburg zerschneiden. Die geschönten Zahlen über den Hafenverkehr als Begründung für die früher auch Hafenquerspange genannte Autobahn wurden schon lange enttarnt. Doch selbst das Aufmucken der grünen Basis in Harburg hat weder die Grünen noch die SPD zum Nachdenken und Abrücken von diesem irrsinnigen Projekt gebracht.

Bei Bus und Bahn ist auch zwei Jahre nach Beginn der Koalition nicht absehbar, ob und wann die geplanten Bahnanbindungen für Steilshoop und Osdorf/Lurup wirklich kommen. Sicher ist nur die jährliche Preiserhöhung beim HVV. Ein völlig falsches Signal für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV, doch unsere Anträge auf Senkung der Fahrpreise werden beharrlich abgelehnt.

Die Probleme mit der Luftreinheit in Hamburg zeigen, dass eine Verkehrswende bitter nötig ist. Spätestens seit Bekanntwerden der manipulierten Abgaswerte der Dieselautos und der betrügerischen Absichten der Automobilkonzerne müsste auch Rot-Grün erkennen, dass die Gesundheit der Hamburger_innen und der Umweltschutz nicht durch Rücksichtnahme auf die Autolobby erreicht werden können. Doch der im Sommer 2017 vorgelegte Luftreinhalteplan des Senats hat eine klare Botschaft: Wir können über alles reden, aber nicht über eine Einschränkung des schädlichen Autoverkehrs.

1 Zahlen aus der GA 21/9491: 16.243 Wohnungen wurden in den Jahren 2015 und 2016 fertiggestellt (Nr. 2), gleichzeitig wurden 1.186 Wohnungen abgerissen (Nr. 6). Unterm Strich hat sich das Wohnungsangebot um 15.507 Wohnungen erhöht.

Fotos:

Karin Desmarowitz/ „Stau auf der Willy-Brandt-Straße“ (CC BY-NC 2.0) by kevin.hackert