Plenarprotokoll 20/58: Elbphilharmonie: Alle Zeit für den Bürgermeister – Rücksichtsloser Zeitdruck und Maulkorb fürs Parlament

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Bürgerschaftsfraktion der LINKEN hat sich immer intensiv und sehr gut mit den Verträgen, die bisher im Zusammenhang mit der Elbphilharmonie etwas zu tun hatten, auseinandergesetzt. Ich möchte Sie deswegen noch einmal daran erinnern, was die Elbphilharmonie eigentlich für diese Stadt bedeutet. Das hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss doch gezeigt. Es ist nicht nur ein Inbegriff von Geldverschwendung in dieser Stadt geworden, sondern es ist auch ein Inbegriff – und das zeigen die Beratungen des Untersuchungsausschusses – der Arroganz der Macht und der Unfähigkeit der politisch Verantwortlichen geworden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist erschreckend, was wir dort gehört haben, nämlich dass die Leute sich nicht mehr erinnern können an die maßgeblichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Elbphilharmonie. Sie erinnern sich nicht mehr, warum sie sich für was eingesetzt haben bei einem so großen Projekt. Das ist einer der erschreckendsten Momente im Bereich der politischen Macht in dieser Stadt. Es ist erschreckend, dass wir nicht in der Lage sind, die Leute momentan noch irgendwie zur Verantwor-tung zu ziehen, die damals diesen Mist verzapft haben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Dirk Kienscherf SPD: Das stimmt!)

Ich denke, dass wir das einvernehmlich in dieser Stadt feststellen müssen. Aber unter diesen Voraussetzungen finde ich es erschreckend, dass die SPD und der Senat uns nicht genug Zeit geben, uns von unserer Seite aus kritisch mit den neuen Dingen, die dort vorliegen, auseinandersetzen zu können. Sie wissen doch alle, dass die Zeit, die wir momentan dafür haben, nicht ausreicht. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat gesagt, dass eines der wichtigsten Momente sein werde, unabhängige Gutachter zu beauftragen, die, unabhängig von dem, was der Senat sagt, und unabhängig von dem, was HOCHTIEF sagt, sich eine Meinung bilden können. Wir müssen uns nämlich noch an eines erinnern: Peinlich sind nicht nur diejenigen, die die Verantwortung gehabt haben, peinlich war auch noch die Entscheidung der Bürgerschaft damals, diesem Vertrag einstimmig zuzustimmen und nachher dann zu sagen, es hätte keine Opposition gegeben. Das ist auch ein sehr peinlicher Moment, mit dem wir sehr
vorsichtig umgehen müssen. Hieraus müssen wir als Parlament gemeinsam lernen.

(Beifall bei der LINKEN)

Von daher fordern wir unabhängige Gutachten, unabhängig vom Senat. Wir als diejenigen, die über das Geld entscheiden, wollen auch die Möglichkeit haben, uns ein eigenständiges Bild darüber zu machen. Wenn wir das ordentlich abarbeiten, dann reichen diese Wochen nicht aus. Bis dahin bekommt man doch kein vernünftiges Gutachten.

(Beifall bei der LINKEN und bei Jens Kerstan GRÜNE)

Das weiß der Bürgermeister doch eigentlich auch. Der Bürgermeister hat uns selber gesagt, dass esam Ende noch einmal schwierig wurde und am 28. Februar nicht unterschrieben werden konnte, weil noch viele Aspekte zu berücksichtigen gewesen seien. Herr Bürgermeister, die haben auch wir zu berücksichtigen. Sie haben Ihren Zeitplan nicht einhalten können und das geht nun zulasten der Bürgerschaft und der Demokratie. Ich finde, das ist ein riesiges Problem; auf die inhaltlichen Dinge will ich gar nicht weiter eingehen. Der 30. Juni war Ihre Entscheidung, Sie wollten diesen Termin. Fassen Sie den Mut, uns genug Zeit zu geben. Fassen wir den Mut, die Auswirkungen der Elbphilharmonie auf diese Stadt so zusammenzufassen, dass wir die Demokratie stärken, dass wir das unabhängig kontrollieren können und uns nicht durch einen Zeitplan wieder in die nächste Falle locken lassen, denn das war bisher immer das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Die wichtigste Auswirkung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der Sie immer zugestimmt haben, war zu sagen: Es hat immer Zeitdruck gegeben, wir waren nie in der Lage, alles in Ruhe zu beachten. Jetzt haben wir den Zeitdruck wieder. Sie fangen genauso schlecht an, wie die Bürgerschaft es damals gemacht hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweiter Beitrag:

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte hat uns gezeigt, dass die Arroganz der Macht bei der SPD kräftig Nahrung gefunden hat.

(Juliane Timmermann SPD: Oh, das hat mittlerweile schon so einen Bart!)

Ich will das anhand von zwei Punkten deutlich machen. Der eine ist der Zwischenruf gerade und vor allem die Aussage von Frau Kisseler nach dem Motto: Jetzt setzt euch doch einfach mal hin, arbeitet die Akten auf und seid fleißig genug. Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Parlamentariern,

(Beifall bei der LINKEN und bei Jens Kerstan GRÜNE)

die sich über Hunderte von Stunden im PUA damit auseinandergesetzt haben, die sich sehr fleißig mit den verschiedensten Themenbereichen auseinandergesetzt haben. Ich empfinde das uns gegenüber einfach als eine Unverschämtheit.

(Beifall bei der LINKEN und bei Jens Kerstan GRÜNE)

Es kann doch nicht wahr sein, dass ohne ein Argument eine Beratungsfrist bis 30. August ausgeschlagen wird. Wir haben nicht gesagt, dass wir keine Zwänge wollen. Was ist denn das für ein Argumentationsniveau? Eine Frist bis zum 30. August hätte uns in die Lage versetzt, das normal zu behandeln. Dazu wurde kein einziges Argument gebracht. Herr Scholz hat nur gesagt, das gefalle ihm nicht und er möchte, dass es möglichst schnell zu Ende gebracht wird.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt doch nicht!)

Das ist der Bürgerschaft gegenüber nicht würdig.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und bei Dietrich Wersich CDU)

Ich will Ihnen auch sagen, was passieren wird. Sie wissen doch selbst, wie das mit Aktenbergen ist, vor denen wir gegenwärtig stehen und wo wir Schwierigkeiten haben, uns zu orientieren. Ich gebe offen zu, dass ich kein Baufachmann bin und es erstaunt mich, wie der Bürgermeister hier auftritt. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass er meint, der größte Bürgermeister und gleichzeitig der größte Bauspezialist der Stadt zu sein.

(Heike Sudmann DIE LINKE: Bob der Baumeister!)

Den Anspruch habe ich an mich nicht. Ich bin der Meinung, dass ich als Parlamentarier externes Wissen und externe Beratung haben muss. Um das vernünftig organisieren zu können, reicht der Zeitplan nicht aus. Deswegen finde ich es richtig, diesen Zeitplan zu verändern.

(Beifall bei der LINKEN und bei Heidrun Schmitt GRÜNE)

Schon dass der Bürgermeister uns dargestellt hat, HOCHTIEF würde das Claim Management möglichst gering halten, zeigt mir, dass er wohl doch nicht der größte Bauspezialist ist. Claim Management gehört zum Bauunternehmen einfach existenziell dazu, das machen die immer. Sie werden vielleicht nicht in der Lage sein, den Preis zu erhöhen. Dann werden sie sich überlegen – Herr Wankum wird Ihnen dazu etliche Tricks verraten können –,

(Heiterkeit bei der LINKEN)

stattdessen vielleicht die Qualität zu verschlechtern. Wir haben viele Dinge genau zu kontrollieren und riesigen juristischen Beratungsbedarf von Bauspezialisten, die sich damit auseinandersetzen. Das ist meiner Meinung nach absolut notwendig. Ich werde das überhaupt nicht machen können, und das gebe ich auch ehrlich zu.

(Dirk Kienscherf SPD: Na, das ist ja super!)

Frau Kisseler, Ihr Zitat hat mich natürlich noch viel skeptischer gemacht. Wie kommen Sie dazu, Machiavelli in diesem Zusammenhang zu zitieren? Einer seiner wichtigsten Aussagen ist nicht nur „Der Zweck heiligt die Mittel“. Er hat auch gesagt, Täuschung lohne sich,

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der CDU und bei Jens Kerstan GRÜNE und Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

das reiche, um die Macht zu erhalten. Dafür war er der Spezialist. Wie können Sie auf Machiavelli verweisen? Wir werden noch skeptischer. Wir brauchen auf jeden Fall zwei Monate, spätestens nach
diesem Zitat.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Dritter Beitrag: Dora Heyenn

Dora Heyenn DIE LINKE:* Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bürgermeister, Sie haben in Ihrer Rede davon gesprochen, dass nun alles anders sei. Ich kann Ihnen nur sagen, dass vieles auch gleich ist, denn mir ist einiges bekannt vorgekommen. Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Senat ein Vertragswerk vorlegt, zum Beispiel mit E.ON und Vattenfall, und gleichzeitig ein Termin genannt wird, bis zu dem dieses Parlament dem Vertragswerk zuzustimmen hat. Das darf man nicht machen. So geht man nicht mit dem Parlament um, schon gar nicht, wenn man die absolute Mehrheit hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt noch etwas, das mir sehr bekannt vorkommt. In der letzten Legislaturperiode hatten wir teilweise eine andere Regierung,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Teilweise – völlig andere, da bestehen wir drauf!)

und dort wurde immer von einem Festpreis gesprochen. Es dauerte kein halbes Jahr, und dieselben Leute haben gefragt, wie wir so naiv sein könnten zu glauben, dass es bei Bauten dieser Art Festpreise geben könne. Es gab natürlich keinen und stattdessen den nächsten Aufschlag. Nun habe ich mit Interesse in Ihrer Drucksache gelesen, dass es einen neuen Begriff gibt: Globalpauschalfestpreis.

(Dietrich Wersich CDU: Der gilt auch in Amerika!)

Das ist ja sehr glaubwürdig. Die Einnahmen sind gegengerechnet, und dieser Globalpauschalfestpreis liegt jetzt bei 789 Millionen Euro. Auf die Frage, ob die Kosten nun ein für alle Mal begrenzt seien, haben Sie, Herr Bürgermeister – ich zitiere aus dem „Hamburger Abendblatt“ – gesagt: „Ich glaube, dass wir das sichergestellt haben.“ Konkret ist etwas anderes. Sie haben gesagt, dass Sie jetzt etwas Konkretes haben, aber die Salami-Taktik, von der Herr Kerstan gesprochen hat, scheint sich fortzusetzen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Sie haben selbst die Frage aufgeworfen, ob es um eine Milliarde oder um weniger als eine Milliarde geht. Ich möchte diese Frage in den Zusammenhang mit dem stellen, was sonst in der Stadt diskutiert wird. Es ist noch nicht lange her, dass wir eine Haushaltsdebatte hatten und um jede 10 000 Euro für Selbsthilfegruppen und Träger von sozialen Einrichtungen gekämpft haben,

(Dirk Kienscherf SPD: Das wissen wir doch alles! Machen Sie doch mal einen Alternativplan!)

und jetzt geht es darum, hier und dort noch einmal 100 Millionen Euro hinterherzuwerfen. So geht das auf keinen Fall.

(Beifall bei der LINKEN)

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass das Parlament das Budgetrecht habe. Das haben wir, aber bitte schön nicht nur auf dem Papier. Die Abgeordneten müssen auch die Zeit haben zu prüfen, ob es kostengünstiger gewesen wäre, HOCHTIEF zu kündigen. Diese Zeit haben wir jetzt nicht.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Herr Bürgermeister, Sie sprechen davon, dass Sie mit großer Sorgfalt vorgegangen sind – wir schätzen das Engagement der Beteiligten auch sehr hoch ein – und dass Sie sicher sein wollen, dass jetzt alles so funktioniert, wie Sie denken. Genau das wollen die Abgeordneten auch, und dafür brauchen wir Zeit.

(Dirk Kienscherf SPD: Setzen Sie sich mal hin!)

– Wer hat das eben gesagt?

(Dirk Kienscherf SPD: Ich! – Zurufe aus dem Plenum: Nachsitzen!)

– Ganz genau. Dann haben Sie noch einmal auf die Drucksache verwiesen, Herr Bürgermeister, und dass Sie der Bürgerschaft viele Informationen zur Verfügung stellen würden. In einer Risikobeurteilung in der Drucksache machen Sie deutlich, dass es gar nicht anders gehe, als den Vertrag mit HOCHTIEF fortzusetzen. Ich habe mir diese Risikobeurteilung mehrfach durchgelesen, und das ist eine Einschätzung, die man glauben kann oder nicht – nachvollziehen kann man das mit den gelieferten Daten aber überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Letzten Endes mündet Ihre Risikobetrachtung darin, dass die juristischen Auseinandersetzungen womöglich lange dauern würden, sehr teuer wären

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wie bei den Netzen!)

und wir deswegen mit HOCHTIEF weiterbauen müssten. Diese Drohgebärde werden wir in den nächsten Wochen wahrscheinlich mehrfach erleben. Das kenne ich schon von Moorburg, und bei den Netzen werden Sie das auch wieder aus der Mottenkiste holen. Frau Kisseler hat in einer denkwürdigen Diskussion über die Elbphilharmonie gesagt: Keine Spielchen mehr. Wir möchten auch nicht, dass Spielchen mit dem Parlament gespielt werden. Und wenn Sie sagen, Herr Dressel, dass Sie eine Hand ausstrecken, dann frage ich mich, was für eine Vorstellung Sie davon haben. Wir haben zu wenig Zeit. Sie haben die Sachzwänge selbst geschaffen, indem Sie das Datum dort hineingeschrieben haben, und wenn Sie wirklich Ihre Hand ausstrecken und wollen, dass ausreichend Zeit für das Parlament bleibt, das Budgetrecht wahrzunehmen,dann lassen Sie unabhängige Gutachter zu. Stimmen Sie dem zu und geben Sie dem Parlament mehr Zeit bis zum 30. August.

(Beifall bei der LINKEN)