„Für Humanität, Solidarität, Mitmenschlichkeit“

Rede von Bodo Ramelow anlässlich des Newroz-Festes am 27. März 2017 im Hamburger Rathaus

Meine Damen und Herren, am Samstag haben wir in Thüringen, in Eisenach, eines unserer traditionellsten Feste begangen, seit dem 13. Jahrhundert wird dies bereits gefeiert. Der Schlachtruf lautet »Gut Ei, gut Ei und Kikeriki«. Es ist das Frühlingsfest mit dem Namen »Sommergewinn«, das älteste Frühlingsfest, das es in Deutschland gibt. Gemessen an Newroz ist das Fest allerdings noch sehr neu. Denn seit über 3000 Jahren beziehen sich die Menschen bereits auf Newroz – den neuen Tag, das Frühlingsfest, den Beginn eines neuen Jahres. Newroz und der Sommerbeginn liegen nah beieinander und sie gehören beide dem immateriellen Weltkulturerbe an. Bei dem Sommerbeginn in Thüringen wissen das unsere Behörden ganz genau, bei Newroz weiß das der Verfassungsschutz aber nicht so genau. Der meint immer, dass Newroz eine Versammlung von politischen Akteuren sei und man deswegen immer mit besonderer wachsamer Hingabe schauen müsse, ob ein Newroz-Fest in Thüringen stattfindet. Ich habe es dem Verfassungsschutz erleichtert und lade ihn nun immer in die Staatskanzlei ein, damit wir dort gemeinsam das Newroz-Fest feiern können. Denn es ist die gemeinsame Basis, um unterschiedliche Kulturen sich begegnen zu lassen und deshalb bin ich heute auch sehr gerne hierher gekommen. Immerhin steckt im Newroz-Fest auch das Thema »Die sieben Keimlinge«, die man haben soll, oder auch »die sieben Gewürze« und »die sieben Speisen«, die man zusammenbringen soll, damit Newroz ordentlich gefeiert werden kann. Und in der Zahl Sieben steckt auch eine Glückszahl: Die Keimlinge gelten als die Hoffnung für das Zukünftige und sind so wichtig, um etwas Neues, ein neues Jahr oder auch neue Ideen wachsen zu lassen.

Wie wichtig ist es doch, dass wir Weltoffenheit zusammen leben, dass wir uns nicht auseinander dividieren lassen, dass wir uns nicht auf das Gift von Herrn Erdogan einlassen, der derzeit die Türkei umbauen lässt zu einer Präsidialdiktatur, bei der andere Kulturen und Teile, die zur türkischen Kultur und zur türkischen Nation gehören – nämlich die Kurden, die Armenier, die Aramäer, all die verschiedenen Menschen, die zur Türkei gehören – sich jetzt einer Präsidialmacht unterordnen sollen. Einer Präsidialmacht, die ich für inakzeptabel halte: Eine Macht, die darauf aufbaut, Bürgermeister und Abgeordnete, die vom Volk gewählt worden sind, zu verhaften und ins Gefängnis zu stecken, kann für sich nicht in Anspruch nehmen, demokratisch zu sein oder eine demokratische Kultur umzubauen. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass in der Türkei eine Mehrheit mit Nein stimmt. Jeder, der abstimmen kann, möge bitte mit seinen Freunden und Verwandten darüber reden, damit diese Präsidialabstimmung nicht zu einer Präsidialdiktatur führt.

Und, meine Damen und Herren, um ein Thema in der Bundesrepublik Deutschland anzusprechen: Die Türkei gehört mit ihren Soldaten zur Nato. Und ich höre derzeit immer wieder, die Nato sei eine »wertebasierte Verteidigungsgemeinschaft«- doch wenn die Nato eine solche Gemeinschaft ist, welche Werte werden dann gerade in Rojava und in Kobane verteidigt? Unsere Werte der Freiheit sind das nicht! Die YPG-Kämpfer kämpfen dort für die Freiheit ihrer Region, ihrer Heimat und für ihre Nachbarn, die Jesiden, die genauso unterdrückt und verfolgt werden. Ich habe kein Verständnis dafür, dass türkische Soldaten auf Rojava, auf Kobane und auf die Kämpfer der YPG-Stellungen Bomben werfen, dass hier militärische Gewalt angewendet wird. Ich kann nicht akzeptieren, dass mit militärischer Gewalt gegen jene vorgegangen wird, die ihre Heimat verteidigen und die der größten Mörderbande, den IS-Terroristen, entgegentreten und sagen: »Wir sind nicht bereit, unsere Heimat kampflos aufzugeben!« Deshalb sollte unsere Solidarität am heutigen Newroz-Fest Rojava und Kobane gehören.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen im Superwahljahr 2017 vor einer ganzen Reihe von Wahlentscheidungen. Ich würde mich freuen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung deutlich sagt, dass den Hetzern von rechts, ganz egal, in welchem Gewande sie daherkommen, kein Raum gegeben werden darf. Wir haben in Thüringen mit Herrn Höcke denjenigen, der mit seiner Dresdner Rede das Gedenken um 180 Grad drehen will, der das Gedenken an den Holocaust, an den Massenmord der Nationalsozialisten, einfach aus der Welt schaffen will. Der nach vorne schauen und diese Verbrechen der Vergangenheit nicht mehr sehen will. Er will dieses Land umbauen und es auch geschichtstheoretisch neu sortieren. Doch wer die Grenzen zum NS-Terror einebnen will, der darf keinen Platz haben in deutschen Parlamenten! Daher baue ich darauf, dass die AfD möglichst wenig bis gar keine Stimmen bekommt.

Ich wünsche mir ein Land, in dem wir, so unterschiedlich wie wir sind, zusammen leben können. Ich wünsche mir ein Land, im dem wir friedlich zusammenleben. Ich wünsche mir ein Land, in dem die Unterschiedlichkeit unsere Stärke ist. Ich sehe die Bilder um uns herum, diese großen Malereien, die zeigen, dass der Hamburger Hafen einmal ein weltoffenes Tor war – doch man muss eben diese offene Gesellschaft auch leben wollen, in all ihrer Vielfältigkeit, egal, wie die Hautfarbe, Haarfarbe oder Herkunft aussehen mag. Insofern sollten wir uns nun als Menschen zusammenfinden und sagen: Im Mittelpunkt unseres Handels steht die Humanität, die Solidarität, die Mitmenschlichkeit!

Ich wünsche mir ein Europa, das nicht auf Angriffskriege baut, ich wünsche mir ein Deutschland, dessen Exporte nicht auf der Rüstungsproduktion aufbauen. Ich wünsche mir ein Land, von dem keine Kriege ausgehen, sondern ein Land, von dem Frieden ausgeht. Und Deutschland muss ein zentrales Zeichen in Europa setzen dafür, dass nur ein friedliches Europa ein gutes Europa sein kann und nur ein soziales und solidarisches Europa ein Europa der Menschen sein kann.

Ein weiteres wichtiges Thema in Deutschland, auch zur Bundestagswahl: Ich wünsche mir ein Land, in dem Kinder nicht unter Armutsbedingungen ausgegrenzt werden – sondern eines, in dem ein Bildungssystem existiert, in dem jedes Kind, dass das Vermögen, das es im Kopf hat, gewinnbringend einsetzen kann und nicht etwa das Vermögen, das die Eltern im Portemonnaie haben. In einem der reichsten Länder der Welt muss es doch möglich sein, ein solches Bildungssystem aufzubauen, in dem jeder die gleichen Chancen hat und die besten Ergebnisse erzielen kann. Und ich wünsche mir ein Land, in dem wir deutlich machen, dass wir uns gemeinsam aushalten. Ob arm ob reich, unabhängig von der Herkunft: Entscheidend muss sein, wohin du uns gemeinsam bringen willst. Jeder, der in diesem Land solidarisch leben will, muss uns willkommen sein. Deswegen freue ich mich, beim Newroz-Fest in Hamburg zu sein und noch einmal von den sieben Keimlingen zu sprechen: Sieben Keimlinge der Hoffnung, die dieses Land besser, sozialer, solidarischer gestalten helfen. Und deswegen meine Damen und Herren, will ich am Ende noch sagen: Hoffnung ist wie ein Stück Zucker im Tee. Auch wenn das Stück Zucker klein ist, es versüßt alles. Und diese Hoffnung ist es, die wir brauchen. Ein Stück Hoffnung in der heutigen Zeit, dass dieses Land solidarischer und sozialer gestaltet werden kann.

Ich wünsche ein gutes Neues Jahr, alles Gute!