Gründung des “Deutschen Reiches” vor 150 Jahren: Musste dieser Nationalstaat sein?

Zum Jahrestag der Gründung des Deutschen Reiches haben wir im Kaisersaal online über Geschichtspolitik diskutiert. Mit dabei waren Carina Book, Politikwissenschaftlerin Jürgen Zimmerer (Professor für Globalgeschichte an der Universität Hamburg) und Jürgen Bönig, (Soziologe und Historiker), und Norbert Hackbusch (Linksfraktion Hamburg). Moderiert wurde die Veranstaltung von Siri Keil. Hier dokumentieren wir den Mitschnitt.

 

 

Am 18. Januar 1871 rief Otto v. Bismarck im Spiegelsaal von Versailles, Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches aus. Dieser erste deutsche Staat ist nicht als demokratische Republik entstanden, sondern als ein preußisch dominierter Obrigkeits-, Militär- und Nationalstaat. Hier wuchs der Nationalismus der sogenannten Befreiungskriege zur aggressiv-völkischen Überlegenheits-Ideologie heran und entfaltete innen- und außenpolitisch seine fatale Dynamik:
innere Gegner wurden ausgegrenzt, kulturelle Minderheiten bekämpft, der Antisemitismus wurde radikaler, demokratische Bundesstaaten sollten nicht zum “Reich” gehören und das preußische Heer sollte die Einheit in Kriegen erkämpfen. So führte der Weg des Deutschen Reiches vom rassistischen Massenraubmord deutscher Kolonialherren über die “Stahlgewitter” des Ersten Weltkrieges bis zum Grauen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust durch den nationalsozialistischen deutschen Staat.

Die langen Schatten der völkisch-nationalistischen Mobilisierung, die für all diese Entwicklungen nötig war, fallen bis in unsere Gegenwart. Schon längst verfängt wieder die Vorstellung bei populistischen und radikalen Rechten: “Wir sind das wahre Volk.” Identitäre, Burschenschaftler und Rechtspopulisten warnen vor “Überfremdung”, sprechen im Stil der Rassenlehre von einer “Durchmischung” der Bevölkerung und propagieren ein homogenes Volk. 

Wir betrachten die Reichsgründung und den Deutschen Nationalstaat aus der Perspektive der Gegenwart und fragen: Welche Folgen hatte die kriegerische Einigung in einem monarchischen Nationalstaat? Welche Alternativen zu diesem Weg eines größeren deutschen Staates hat es gegeben? Wie wirkt sich die völkisch-nationalistische Ideologie des Kaiserreichs auf unsere Gegenwart aus? Welche Antworten gab es damals und welche gibt es heute?