Kitas schrittweise per Stufenplan öffnen – Rechtsanspruch auf Betreuung ermöglichen

Positionspapier der Fraktion DIE LINKE

little-boy-playing-in-the-sand-6459-300x200 Die aktuelle Debatte in Hamburg, die sich auch mit der Öffnung von Kindertagesstätten beschäftigt, hat bei den Eltern, aber auch Erzieher_innen für Verunsicherungen gesorgt. Unter anderem hatten die Hamburger Grünen die Öffnung der Kitas in einem Positionspapier gefordert, ohne zu erwähnen, wie dies zu erfolgen hat. Bei einer unkontrollierten Öffnung der Kitas, wird ein Kollabieren des kompletten Systems befürchtet. Diese Ansicht wird von vielen Beschäftigten im Kita-Bereich geteilt. So wird Leyla Moysich, Leiterin des SterniParks im Hamburger Abendblatt vom 14.04.20 mit folgenden Worten zitiert: „Die Kitas müssen öffnen. Aber von jetzt auf von null auf hundert zu starten, macht keinen Sinn“.

Der Bürgerschaftsfraktion DIE LINKE ist bewusst, dass die Öffnung der Kitas ein Abwägungsprozess sein muss, der das Wohl der Mitarbeiter_innen und das Kindeswohl in mehrerlei Hinsicht wie zum Beispiel Gesundheit, Versorgungssicherheit und kindliche Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. In diese Richtung äußert sich auch der zuständige Referent des Paritätischen Hamburg Martin Peters im Hamburger Abendblatt: „Zudem müsse es auch klare Ansagen zu Kann- und Muss-Kindern , zu Mitarbeiter_innen aus Risikogruppen, Schutzkleidung und einer schnellen Option, Personal zu testen geben. Nur so werden wir den Grad zwischen verantwortlichen Betrieb und notwendigen Angebot für die Familien dieser Stadt gut hinbekommen.“  Mit dem Start des Einstiegs in die Öffnung der Kitas sollte möglichst schnell begonnen werden, denn die Kinder in den ersten sechs Lebensjahren sind besonders auf Bewegung, Spiel und soziale Kontakte angewiesen. Wenn diese Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden, drohen langfristige Entwicklungsrückstände und Persönlichkeitsstörungen worauf Wolfgang Hammer im Abendblatt richtigerweise hingewiesen hat. Diese Gesichtspunkte gilt es aus unserer Sicht miteinander in Einklang zu bringen.

Im schulischen, aber auch im Bereich der Kitas hat die Corona-Krise gezeigt, dass die soziale Ungleichheit sich verschärfend auf die Situation der Kinder in Hamburg, die von Armut akut betroffen sind, auswirkt. Für viele Kinder stellen sich tagtägliche Fragen, wie z.B. nach einem warmen Mittagessen oder nach individuellen Entfaltungsmöglichkeiten, die die kindliche Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Folglich sind die Kitas in Hamburg als ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und frühkindlichen Bildung zu sehen.

Aus der Perspektive der Eltern ist festzuhalten, dass nach bisherigen wissenschaftlichen Erhebungen ein Großteil der Care-Arbeit von Frauen und Müttern geleistet wird, die häufig zusätzlich einer geregelten Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Diese Situation wird dadurch dramatisch verschärft, dass etwas mehr als 96 Prozent der Kinder (Stand: 02.04.20), die in der Kita einen Betreuungsplatz haben, zu Hause bleiben (müssen).

Es ist davon auszugehen, dass etliche Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket für Hamburg zurzeit nicht abgerufen werden, was z.B. aus dem Wegfallen von Mittagessen in Kita und Schule resultiert. Die Zahlen im Bereich der Kita-Notbetreuung wurden seitens der BASFI mit 3,25 % bzw. 2.700 Kindern angegeben (Stand: 02.04.20). Das Bundesland Berlin hat zu diesem Zeitpunkt 18.000 Kinder (10 Prozent) in den Kitas betreut. Weitere Zahlen aus anderen Flächenländern deuten an, dass Hamburg bisher eine stark unterdurchschnittliche Notbetreuung gewährleistet hat. Wie viele Kinder davon Prio10-Kinder und wie viele Kinder von Eltern aus versorgungsrelevanten Bereichen betreut werden, konnte uns auf Nachfrage seitens der Behörde gar nicht mitgeteilt werden.

Daher schlagen wir einen Stufenplan vor, der es erlaubt, mit einer gewissen Flexibilität von zwei Wochen, ein Hochfahren der Betreuungszahlen in den Hamburger Kitas zu ermöglichen. Dieser Stufenplan soll auf der anderen Seite aber auch ermöglichen, gezielt bei einem erneuten sprunghaften Anstieg der Zahl der Infizierten das Betreuungsangebot im angemessenen und organisierten Rahmen wieder um eine Stufe herunterzufahren. Der Stufenplan ist also keine Einbahnstraße, sondern kann je nach Lagebewertung vor- oder zurückgeschraubt werden. So ein Stufenplan sollte mit den Kita-Trägern in der Vertragskommission diskutiert und weiterentwickelt werden. Mit dem langsamen Hochfahren sollte möglichst schnell begonnen werden.

Der Stufenplan beinhaltet folgende Stufen

  1. Hochfahren der Betreuung von Gruppen, die jetzt schon im Rahmen der Notbetreuung einen Anspruch haben. Also die Kinder mit sozial bedingten Bedarf (Prio. 10-Kinder) und Kinder, deren Eltern einen versorgungsrelevanten Beruf haben. Hier soll die Verpflegung mit einem warmen Mittagessen bereits gewährleistet werden. Dabei sollten die weiter unten angegebenen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden.
  2. Alle Kinder aus dem Elementarbereich mit einer Betreuung von 5 Stunden gewährleisten. (eventuell in Absprache mit den Kita-Trägern nach Altersstufen hochfahren)
  3. Einbeziehung aller Kinder aus dem Krippenbereich in Höhe von 5 Stunden nach dem selben Muster.
  4. Betreuung aller Kindern im Elementarbereich in vollem Umfang
  5. Betreuung auch der Krippenkinder in vollem Umfang = Normalbetrieb

Begleitend sind Rahmenbedingungen zu beachten, die die einzelnen Stufen flankierend begleiten und erst zum Zeitpunkt des Normalbetriebs gelockert werden sollen. Das Vorziehen des Elementarbereichs erfolgt vor dem Hintergrund, dass dann mehr Personalreserven (bessere Personalschlüssel bei den Krippenkindern) vorgehalten werden können. Die entsprechenden Rahmenbedingungen gelten auch für das Hauswirtschaftspersonal. (z.B. anteiliges Hochfahren, Umgang mit Risikogruppen und Erstellung von neuen Konzepten) Auch hier müssen entsprechende Teams gebildet werden und die Lage der älteren Fachkräfte berücksichtigt werden. Nach einer Großen Anfrage 21/1158 der LINKEN waren 2015 rund 52% der Servicekräfte über 50 Jahre alt. Mehr zu den Rahmenbedingungen der Haushaltskräfte beiden Elbkindern finden sich in den Anfragen (21/6624 und 21/10145). Für die Essensversorgung bei anderen Trägern müssen natürlich je nach den gegebenen Bedingungen wie z.B. Essenslieferungen durch Caterer und Größe der Einrichtungen spezielle Konzepte entwickelt werden. (mehr dazu unter Rahmenbedingungen).

Rahmenbedingungen:

  • Zunächst begrenzte Öffnungszeiten der Kitas, die aber die Verpflegung mit einem warmen Mittagessen gewährleistet.
  • Rückstellung der Mitarbeiterinnen aus Risikogruppen für konzeptionelle Arbeiten und andere mittelbare pädagogische Arbeit. In den Hamburger Kitas waren 2019 laut Großer Anfrage 21/19322 von fast 17.100 Beschäftigten rund 4100 50 Jahre und älter (Antwort des Senates auf Frage 17) Im Durchschnitt waren die Beschäftigten laut Senat 39.4 Jahre alt.
  • Das Tragen von Masken ist allen Beschäftigten ausdrücklich zu gestatten
  • Unterteilung der Erzieher_innen in Pools, um Infektionsketten zu unterbinden; Erzieher_innen aus der Krippenbetreuung als ‚Reserve‘ vorhalten. Dieses Vorgehen gilt auch für die zuständigen Mitarbeiter_innen für die Hauswirtschaft und Reinigung
  • Für die Reinigung der Einrichtungen müssen Konzepte entworfen werden, die die neue Lage in den jeweiligen Einrichtungen berücksichtigen. Das kann auch Kooperationen von Kita-Einrichtungen notwendig machen, um die entsprechenden Reserveteams vorhalten zu können.
  • Festlegung von Höchstzahlen (müssen in Absprache mit den Trägern in der Vertragskommission Kita für alle Beschäftigten noch definiert werden) in Kleingruppen abhängig von Größe, Anzahl der Räume.
  • Es ist sicherzustellen, dass die einzelnen Einrichtungen mit ausreichend Schutzmitteln (Masken, Desinfektionsmittel, Handschuhe etc.) für alle Beschäftigten ausgestattet sind. Dies gilt auch für den Eingangsbereich mit Elternkontakt.

Die pauschale Forderung (der Hamburger Grünen) nach einer (unkoordinierten) Öffnung der Kitas kann aus unserer Sicht zu einer Überforderung des Kita-Systems führen. Die Folgen dereinzelnen Schritte müssen einigermaßen absehbar sein. Die bisherigen Antworten aus der BASFI haben gezeigt, dass eine Erfassung der Notbetreuung höchstens sehr grob in absoluten Zahlen erfolgt. Hier muss die BASFI dringend nachsteuern, um ein Kita-Monitoring vor dem Hintergrund der Corona-Krise gewährleisten zu können und einzelne Stufen je nach Lagebewertung zu aktivieren oder zurück zu fahren. Aufgrund der bisherigen Antworten aus der BASFI, muss die Behörde dringend im Kita-Bereich nachsteuern und mehr Zahlen bei den einzelnen Kitas und Trägern erfassen. Nur so wird es überhaupt erst möglich sein eine koordinierte, sozial-ausgewogene Öffnung der Kitas möglich zu machen.

Es bleibt festzuhalten, dass auf lange Sicht der Status Quo auf eine ganze Generation von Kindern nachhaltig negativen Einfluss haben wird. Diese Einschätzung wird auch von Wolfgang Hammer, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Kinderhilfswerk Deutschlands, in einem offenen Brief geteilt:

„Die fehlenden Kontakte zu gleichaltrigen in Einkindfamilien, die Bewegungseinschränkungen durch Sperrung von Spielplätzen und die mangelnde Alltagsunterstützung haben jetzt schon zu einer dramatischen Zuspitzung der Gesundheit und seelischen Verfassung vieler Kinder geführt.“

Daher sind wir der Überzeugung, dass ein Hochfahren der Betreuungsangebote im Sinne des Kindeswohls, aber auch der Gesundheit der Kita-Beschäftigten, unter passgenauen Abwägungen zu erfolgen hat, da die weiteren Entwicklungen bezüglich der Ausbreitung und Bekämpfung der Corona-Pandemie überhaupt nicht absehbar sind.