Mut gegen Armut in Billstedt: „Wir brauchen mehr (Frei-)Räume!“

von Mehmet Yildiz und Yann Chaudesaigues

1f3de1f7-3179-4bc1-927a-d3184e12635f-300x200 Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mut gegen Armut“ war die Linksfraktion mit dem Abgeordneten Mehmet Yildiz in Billstedt und diskutierte mit Einwohner_innen und Vertreter_innen sozialer Einrichtungen darüber, was der Stadtteil braucht. Statt Spielhallen und Shisha-Bars braucht es Angebote für Kinder und Jugendliche, Übungsräume sowie freie Räume für Meinungsaustausch und Mitgestaltung – so der Tenor des Publikums. Jugendliche müssten weit fahren oder würden sich im Billstedt-Center treffen, weil es an anderen Angeboten fehle. Doch an diesen Orten gelte das Prinzip: Wer konsumiert, muss gehen. Freie Räume für eigene Ideen, Projekte oder Wünsche werden den Jugendlichen nicht angeboten.

Auf dem Podium informierten Karin Wienberg vom Stadtteilverein Horner Freiheit e.V. und Lars Omland von der Jugendetage Mümmelmannsberg über die Situation sozialer Einrichtungen in den Stadtteilen. Des Weiteren waren noch Johannes Richter vom Rauhen Haus und Max Bryan (Hamburger Obdachlosenhilfe) anwesend.

Joahnnes Richter gab Anfangs einen kleinen Input zur Funktion sozialer Infrastruktur und sozialer Einrichtungen. Diese sollten in erster Linie die sozialstaatlichen Aufgaben unterstützen, so Richter. Diese soziale Infrastruktur müsse aber immer erkämpft und vor Kürzungen verteidigt werden. Dabei seien diese sozialen Räume (nicht – kommerzielle Orte) extrem wichtig, um politische Bildung zu vermitteln und demokratische Werte durch Mitgestaltung zu erlernen. 

Finanzielle Probleme:

Zwar habe es keine finanziellen Kürzungen gegeben, aber die finanzielle Ausstattung der Einrichtungen sei an die laufenden Kosten in den letzten zwanzig Jahren nicht angepasst worden. Weil es keinen festen Etat gibt, müssen Einrichtungen wie das Stadtteilhaus Horner Freiheit jedes Jahr um eine angemessene finanzielle Ausstattung zittern. Dabei werden die finanziellen Mittel nicht nach den sozialen Bedarfen im Stadtteil, sondern nach der Anzahl der dort lebenden Kinder verteilt und eben nicht nach dem realen Bedarf. Die Stadtteilhäuser schaffen eben auch einen Ort der aktiven Teilhabe, unabhängig vom Geldbeutel. Denn Armut ist in erster Linie die Unmöglichkeit einer gesamtgesellschaftlichen Teilhabe. Die geplanten Stadtteilhäuser, wie zum Beispiel die Horner Freiheit, gehen an den Bedarfen der Stadtteilbewohner_innen vorbei, weil diese nicht wirklich in Stadtteilplanungen mit eingebunden wurden, wie beispielsweise der Bau der U – Bahn am Horner Geest, welche das neu gebaute Stadtteilhaus akut bedroht.  93db24ed-b4ed-4cb1-a5cd-bac3c0c7408f-300x200

Die Folgen: Personalmangel in den Einrichtungen und weniger Geld für Honorare. So haben die meisten Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit weniger als zwei Vollzeitstellen. In den letzten Jahren setzt die Politik eher auf die Förderung von Angeboten, die sich an junge Familien richten, statt auf Angebote für Alle. Zudem würden viel mehr große Einrichtungen, sogenannte „Community-Center“ gefördert, statt vieler kleiner Einrichtungen. Aber gerade die braucht es, so Lars Omland, die Anwohner_innen müssen die Möglichkeit haben sich ihre Angebote aussuchen zu können. Des Weiteren kritisiert er, dass es immer noch kein Stadtteilzentrum in Mümmelmannsberg gäbe. Dafür aber Kioske, Sportbars, Raucherkneipen und Casino´s. In Mümmelmannsberg fehlen Räume oder Gestaltungsmöglichkeiten für Jung und Alt.

Und auch diese möglichen „Community – Centers“ hätten keinesfalls eine Grundfinanzierung, sondern müssten alljährlich um ihre Gelder fürchten. So will der Senat die Sozialpolitik weiterhin de facto „kürzen“ und möglichst sparen, anstatt in eine ausgeglichene soziale und kulturelle Infrastruktur zu finanzieren, die den Bedürfnissen der Menschen vor Ort entsprechen würde. Stattdessen wird der Rotstift weiterin in der Sozialpolitik schonungslos angesetzt, für Großprojekte (Elbphilharmonie, Hafencity), Sportveranstaltungen (Box WM, Ironman, EM – Bewerbung 2024) und bei Bankenrettungen (HSH Nordbank) sind hingegen keine Millionenbeträge zu groß, solange sie nur genug „Prestige“ einbringen!

Fehlende Räume und sonstige Schikanen:

Die Wortbeiträge aus dem Publikum kreisten vor allem um die Problematik angemessener Räume. So berichtete beispielsweise eine Teilnehmerin, dass sie für sich und ihre Tanzgruppe (insgesamt 30 Frauen) seit über einen Jahr versuche, Räume zum Proben zu finden. Vergeblich. Denn die „Horner Freiheit“ hat zwar Räume, diese sind aber meist komplett ausgebucht und in der Regel auch schlicht zu klein.

Welche Steine und Hindernisse einem in den Weg gelegt werden, wenn man sich engagieren möchte, legte Max Bryan von der Initiative Hilfe für Hamburger Obdachlose dar. Ideen und Initiativen scheitern bereits häufig an der Bürokratie. Nachdem einige Bezirksämter (wie das in Eimsbüttel) bereits zusagen für die Nutzung leerer Container zur Unterbringung von Obdachlosen gaben, verweigerte das Bezirksamt – Mitte diesen Schritt. Angeblich gäbe es in Hamburg zurzeit keine Flächen, um die Obdachlosen im Winter in eben diese Container unterzubringen. So verhindert das Bezirksamt eine sinnvolle und absoluten nötigen Bürgerinitiative; die Obdachlosen im Winter von den Straßen zu holen, ehe wieder einer oder mehrere den Erfrierungstod in den Hamburger Straßen finden. Dass dafür überhaupt eine Bürgerinitiative nötig ist, zeigt, wie sehr der Senat diese staatliche Aufgabe vernachlässigt und verharmlost, denn das Winternotprogramm ist finanziell zu schlecht ausgestattet und reicht bei weitem nicht aus, um einen Großteil der Obdachlosen zu erreichen.

Mehr Räume und endlich finanzielle Grundlagen schaffen!:

Das Fazit des Abends lieferte Mehmet Yildiz: „Wir brauchen viel mehr altersbezogene Freiräume und eine solide und dauerhafte Grundfinanzierung der sozialen Einrichtungen in den Stadtteilen. Dringend benötigt werden mehr Vollzeitstellen für die offene Kinder – und Jugendarbeit. Nur so können auch langfristige Projekte von den Stadtteilen und Bewohner_innen umgesetzt werden. So werden wir in der kommenden Zeit eine Schriftliche Kleine Anfrage (SKA) vorbereiten, um die Finanzierungsgrundlagen der sozialen Träger in Billstedt, Horn und Mümmelmannsberg herauszufinden. Auch die Sozialbindungen für die Mietwohnungen müssen verlängert werden, da ansonsten die Anwohner_innen verdrängt werden und den Stadtteil verlassen müssen. Diese Verdrängung wird von den Senat tragischerweise sogar vorangetrieben, andernfalls hätten Sie die Sozialbindungen verlängert!“

Foto: CC by WikiCommons (Oxfordian Kissuth)