Plenarprotokoll 20/27 – Zur Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters

Herr  Präsident,
meine Damen und Herren! Ich bin erschüttert, Frau Suding, dass nach den Erfahrungen, die wir wirtschaftspolitisch in dieser Gesellschaft in den letzten drei, vier Jahren mit der Bankenkrise gemachthaben, immer noch irgendjemand glaubt, dass man mit Neoliberalismus pur Wirtschaftsprobleme lösen kann.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Ich bin auch deswegen so erschüttert, weil das nicht nur Ihre Meinung ist, sondern auch bei einigen CDUlern anklingt und auch in der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ kräftig geäußert wurde. Man hatte den Eindruck, dass es immer irgendwie schwierig wird, wenn der Staat sich einmischt. Dass diese Republik und die gesamte Gesellschaft wirtschaftlich noch so existieren, ist nur durch staatliche Aktivitäten in den letzten Jahren möglich
gewesen. Das haben wir doch gemeinsam festgelegt. Wo wären wir denn, wenn diese Staaten nicht noch einigermaßen Stabilität gegeben hätten? Wir wären völlig abgeschmiert. Also bitte ein bisschen nachdenken, bevor man so etwas sagt.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Ich habe mich über Ole von Beust gefreut,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist ja selten genug!)

weil ich mittlerweile ein paar Dinge nachgelesen habe. Ich frage mich, ob er nach seinen kapitalismuskritischen Reden, die er zum Teil gehalten hat,
nicht auch mittlerweile vom Verfassungsschutz kontrolliert wird.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Das werden wir sehen, wir warten den nächsten Bericht ab. Die staatlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit Aurelius und Beiersdorf waren richtig. Sie  waren nicht nur gut für den Standort, sondern haben sich sogar ökonomisch ausgezahlt.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Genau!)

Wie soll man stärker ausdrücken, dass staatliche Aktivität notwendig und wichtig ist, als durch solche Dinge, die man nachrechnen kann.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Nun kommen wir zur Hapag-Lloyd-Geschichte, die wir im Ausschuss kritisch behandeln werden. Wir werden dort einzelne Punkte diskutieren, zum Beispiel das Thema Hybridkapital, was einige wohlfalsch verstanden haben. Herr Wersich hat auf jeden Fall falsch verstanden, wie das dort verankert ist.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es war einer der großen Fehler von Schwarz-Grün, das darin zu verankern. Aufgrund dessen musste eine Aktivität folgen, und nun sind wir leider im Zugzwang. Schauen wir uns die Argumente noch einmal genauer an; Herr Kerstan hat versucht, diese deutlich zu benennen. Das wesentliche Argument ist, dass sich nichts verändern würde, weil wir mit 10 Prozent sichern können, dass der Standort Hamburg bleibt. Jeder, der sich die gegenwärtigen Aktivitäten im Schifffahrtsbereich anschaut, sieht, was für Riesenschwankungen es dort gibt – zum Beispiel hat Maersk letzte Woche entschieden, 10 Prozent der Schiffskapazitäten stillzulegen, um die Preise einigermaßen halten zu können –, dass wir es mit einer großen krisenhaften Situation zu tun haben und der kleine Standort Hamburg kräftig betroffen sein kann. Das zeigen auch die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Hafen in der Krisensituation in den letzten Jahren. Es ist nicht so, dass sich alles automatisch regelt.

(Finn-Ole Ritter FDP: Tonnagesteuer!)

Die Marktakteure sind so groß, dass ein funktionierender Markt in diesem Bereich schon lange nicht mehr existiert. Man kann davon träumen, aber es
ist nicht so. Das heißt für uns, dass die Krise für den Hamburger Hafen in dem Augenblick, wo eine feindliche Übernahme von mehr als 50 Prozent  erfolgt, durchaus als reale Gefahr existiert. Das wissen wir schon deswegen, weil wir so kräftig kritisieren, dass 25,1 Prozent im Zusammenhang mit den Energienetzen nicht ausreichen, um im Unternehmen wirklich handeln zu können, sondern dass eine kräftige Intervention absolut notwendig ist.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Daher ist das Argument kurzfristig. Sich in dem Zusammenhang mit weiteren Fragestellungen und größeren Bereichen zu beschäftigen, ist notwendig.  Leider ist das Versprechen der Sozialdemokratie diesbezüglich vielleicht nur halb zu halten, unabhängig davon, was sie wollen. Es kann gut sein, dass die Situation der Schifffahrt in zwei Jahren vielleicht wieder gute Entwicklungen zeigt, es kann aber auch sein, dass die Krise noch längere Zeit anhält.

Staatliche Aktivität ist unabhängig davon, ob es ein gutes Investment ist oder ob wir Schaden von der Stadt fernhalten müssen. Wir dürfen eine Intervention nicht nur dann vornehmen, wenn wir versprechen können, dass sie sich ökonomisch für das Unternehmen in Hamburg rechnen wird, sondern wir müssen volkswirtschaftlich für die Stadt Hamburg denken. Das kann auch bedeuten, dass wir einen gewissen Verlust einfahren; diese Gefahr ist durchaus vorhanden, das muss man ehrlicherweise sagen. Trotzdem kann es sich für diese Stadt lohnen. Es ist nicht unbedingt so, dass wir als Unternehmen Geld verdienen können, sondern mit einer Intervention gehen auch gewisse Gefahren einher. Aber ich finde es richtig, diese für den Standort Hamburg und die jetzige Situation einzugehen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Dressel, Sie haben in kleinerer Runde ein kritisches Moment gegenüber dem Senat angeführt, die Frage des Zeitplans.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ich hätte auch gern mehr Zeit!)

– Das ist allgemein richtig. In der kleineren Runde haben Sie gesagt, dass es vielleicht möglich gewesen wäre und der Senat uns mehr Zeit dafür geben muss, solche Fragen zu behandeln.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das kann der Senat aber leider nicht alleine entscheiden!)

– Die Frage ist, wie stark er handelt. Dazu etwas Positives. Heute hat Herr Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ einen Kommentar geschrieben, der nicht  auf unsere Angelegenheit zielt, aber trotzdem trifft. Er stellt die Frage: Tempokratie oder Demokratie? Wir stehen vor dem Problem – die Debatte hat das gezeigt –, dass wir als Parlament die Verantwortung dafür tragen müssen, dass jeder Einzelne von uns in der Lage ist, das zu verstehen, was vom Senat überlegt und vorgeschlagen wird, um beurteilen zu können, ob es richtig ist. Zumindest im Bereich Elbphilharmonie, den ich mir sehr genau angeschaut habe, habe ich nicht den Eindruck, dass jeder alles verstanden hatte, der im Parlament dafür gestimmt hat.

(Beifall bei der LINKEN – Jan Quast SPD: Da wurde auch ganz schön die Unwahrheit gesagt! Das ist das Problem!)

Dass die Sachen, die wir entscheiden, auch von uns verstanden werden müssen, ist eines der wichtigsten demokratischen Prinzipien. Dazu bedarf es Zeit, kritischer Nachfragen und Auseinandersetzungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist im Rahmen dieses Zeitplans, den der Senat uns vorgibt, so gut wie nicht möglich. Der Bürgermeister hat kein kritisches Wort dazu gefunden, noch nicht einmal gesagt, dass wir ganz besonders gefordert sind. Er fordert nur unsere Solidarität, nicht unsere kritischen Fragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist eines der Grundprinzipien, die wir verstärkt wieder in die Demokratie einführen müssen,

(Beifall bei der LINKEN)

dass wir kritische Fragen stellen können, dass wir Zeit haben müssen. Und ich weiß auch – da ist die Kritik von Herrn Kerstan völlig richtig, und Sie können alle leitenden Beamten in den Behörden fragen –, dass es nicht die Stärke dieses Senats ist, kritisch etwas durchzudiskutieren, sondern die Stärke dieses Senats ist es, von oben zu diktieren. Gegenwärtig wird das in Umfragen noch goutiert, aber das wird nicht immer so sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Der zweite kritische Punkt beinhaltet natürlich die Frage der Schuldenbremse. In der Diskussion um das Geld ist der Hinweis von Herrn Dressel falsch, das sei Sache der HGV und es werde knapp gelöst. Wir wissen nicht, wie lange diese Intervention dauert, wie lange dieses Geld dort gebraucht wird. Wir müssen damit rechnen, dass diese Ausgaben in Konflikt mit der Schuldenbremse kommen und dementsprechend kommen sie in Konflikt mit den sozialen Aufgaben dieser Stadt. Wir müssen gemeinsam eine Strategie zur Lösung finden. Ich weiß nicht, wer in diesem Parlament sagen will, wir bezahlen mit dem Geld aus der Jugendhilfe die Kosten, um Hapag-Lloyd zu kaufen. Ich hoffe, dass das auf einheitliche Ablehnung stößt.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Ich hoffe, dass wir in der Lage sind, nicht eine Sache gegen die andere auszählen zu lassen und dass wir einen Weg finden, die Aufgaben, die wir gemeinsam als notwendig für diese Stadt erachten, die im Interesse dieser Stadt liegen – es sind keine großen Füllhörner, die wir ausschütten wollen,  sondern es sind absolute Notwendigkeiten, zum Beispiel in der Jugendhilfe –, gemeinsam anzugehen. Zu den ökonomischen Problemen, die wir in der nächsten Zeit lösen müssen, gehört auch die Frage, wie wir die Einnahmen verbessern können. Wenn wir von solchen Ausgaben sprechen, wie wir sie gegenwärtig zu leisten haben, dann ist das ein zentraler Punkt. Die Jugendhilfe darf nicht den Hapag-Lloyd-Kauf finanzieren, das wäre für uns ein Desaster.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL – Dr. Andreas Dressel SPD: Das tut sie auch nicht!)

Ich will bestimmte Punkte, die in der Debatte angedeutet worden sind, nicht weiter ausführen. Ich denke, dass sie bei der Befragung in den Ausschüssen genauer diskutiert werden müssen, unter anderem die Frage zu dem Wertgutachten. Mein Eindruck ist, dass TUI dabei gut weggekommen ist. Der Börsenkurs unterstützt meine Meinung, der ist bei der TUI-Aktie vor Freude nach oben gehopst.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtet sich DIELINKE jetzt nach der Börse?)

Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Unternehmen nicht damit gerechnet haben, dass TUI so gut aus diesem Deal herauskommen würde. Das ist nur einmal so ein Gedanke, wir werden diskutieren, inwieweit ein Wertgutachten vernünftig ist.
Die zweite Sache, die mich nicht gerade beruhigt, ist die Personalie Kühne. Ich weiß, dass in diesem Saal viele Fans von ihm sitzen,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Die CDU jetzt ja nicht mehr!)

ich selbst bin diesbezüglich ein großer Skeptiker. Die Intervention von Kühne ist für mich auch kein Zeichen dafür, dass es eine richtige Investition ist. Er hat natürlich ein anderes Interesse, er hat ein Logistik-Unternehmen, und in dieses Logistik-Unternehmen passt natürlich die Variante Schifffahrt
fantastisch. Das rechnet sich auch ganz anders, und dementsprechend sind es von seiner Seite völlig andere Überlegungen, dort zu intervenieren. Dies kann nicht die Begründung für eine Aktivität von unserer Seite sein. Wir sollten sehr skeptisch fragen, warum Herr Kühne mit diesem Vertrag so gut gestellt wird. Das gefällt mir bisher noch nicht, das müssen wir uns noch genauer ansehen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Sollen wir das auch noch alles kaufen, oder was?)

Es gibt noch einige Fragen, die wir zu klären haben. Wir sind am Anfang der Debatte, aber ich freue mich darauf. – Tschüss.

(Beifall bei der LINKEN)