Plenarprotokoll 20/30 – Mindestlohngesetz für Hamburg

Tim Golke DIE LINKE:
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!
Sie haben recht – man muss Ihnen etwas zu meckern lassen, bevor Sie gar nichts mehr zu meckern haben –: Dieser Antrag ist in größeren Teilen aus Bremen übernommen, und nicht nur der Antrag. Der Abgeordnete, der vor Ihnen steht, hat viele Jahre seines Lebens, nämlich 19, dort verbracht. So lange wollen wir mit einem Mindestlohn nicht mehr warten.

(Beifall bei der LINKEN)

Fragen wir einmal – Herr Dr. Kluth hat das auch gerade gefragt –, wie viele Beschäftigte das eigentlich betrifft. Das ist eine spannende und auch eine schwierige Frage, da gebe ich Ihnen gern
recht. Nach Schätzungen, die wir nicht alleine gemacht haben – wir haben mit den Gewerkschaften gesprochen –, sind etwa 6000 Beschäftigte im Bewachungs- und Reinigungsgewerbe betroffen. Es geht nicht nur um städtische Beschäftigte und Betriebe im öffentlichen Dienst, sondern auch um Zuwendungs- und Vergabeempfänger und -empfängerinnen. Von daher ist das Ganze schwer zu überblicken. In diesem Sinne Richtung CDU ein kleines Chapeau von mir; Sie wollen genau das herausfinden und dieses Ansinnen  ist durchaus nachzuvollziehen.

Es wurde schon gesagt, dass der Tarifvertrag im Sicherheitsgewerbe momentan auf unterster Stufe – das ist nicht das Ultimo, es gibt Zulagen und zum Teil höhere Löhne – einen Lohn von 7,31 Euro vorsieht. Dafür arbeiten Menschen in Museen oder Gefängnissen, als Reinigungspersonal in Behörden – vielleicht auch in Ihren Büros – und für Caterer bei Veranstaltungen.

(Glocke)
Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unterbrechend):
Herr Abgeordneter, einen Moment bitte.–  Meine  Damen  und  Herren!
Es redet nur Herr Golke, und sonst niemand. – Fahren Sie bitte fort.

Tim  Golke  DIE  LINKE  (fortfahrend):  
Der Senat kauft sich bei Empfängen zum Teil Fremdfirmen ein, und es geht um die Menschen, die uns hier vor unliebsamen Dingen beschützen, nämlich die Menschen, die unten stehen und den Einlass kontrollieren. Das sind „contro“ und „Securitas“ und die sind Teil dieses Tarifvertrags. Wenden wir uns einmal von den Betroffenen ab und richten unseren Blick auf einen anderen Aspekt dieser spannenden Frage, es geht um Existenzsicherung. Es ist nun einmal so, dass bei einem Vollzeitarbeitsverhältnis von 40 Stunden in der Woche bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro
nur1360 Euro brutto herauskommen und bei einem Mindestlohn von10 Euro – das ist leichter auszurechnen – 1600 Euro. Netto nach Steuern und Sozialversicherung sind das in Steuerklasse 1
bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro 1008,23 Euro. Das liegt für Alleinstehende ohne irgendwelche Sonderbedarfe knapp über Hartz-IV, aber auch wirklich nur ganz knapp. Für Alleinerziehende, die in Lohnsteuerklasse 2 sind und etwas mehr, nämlich 1034,71 Euro bekommen würden, liegt es darunter. Das hilft also an der Stelle nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)

Da sind wir auch nicht wesentlich besser mit den 10 Euro, die wir fordern, das kann man deutlich sagen, denn die bedeuten in Lohnsteuerklasse 1 ein Nettoeinkommen von 1136,62 Euro und in Lohnsteuerklasse II von 1174,24 Euro. Das schützt gerade eben vor Hartz-IV oder einem Aufstocken, es schützt nicht davor, Wohngeldansprüche oder Ähnliches in Anspruch nehmen zu müssen. Es schützt auch Alleinerziehende unter Umständen noch nicht vor Hartz-IV, dafür wäre ein Mindestlohn von 10,78 Euro notwendig, den wir gar nicht fordern.
So viel zum Thema, in welchen Größenordnungen wir uns in diesem Parlament bewegen und in welchen Größenordnungen sich diese Gesellschaft bewegt. Wenn der öffentliche Dienst es hinbekommen hat, Tarifverträge abzuschließen, die unter diesen Werten liegen, dann ist das im Zuge des Stichworts „Gute Arbeit“, das der Senat auch vertritt, schlicht und ergreifend traurig.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt weitere Argumente; ein wesentliches ist die Altersarmut. Nach einer ziemlich alten Untersuchung – Quelle sind der Bundestag und die Deutsche Rentenversicherung im Bund – müsste für eine Nettorente von 684 Euro, und das ist wahrlich nicht viel, über 45 Versicherungsjahre hinweg – ich gebe zu, das ist ein ziemlich akademischer Rentner – ein Mindestlohn von 10 Euro gezahlt werden. Das geht nicht mit 8,50 Euro. 8,50 Euro in der Stunde sind, wenn man das einmal hochrechnet, nicht alterssichernd. Von allen Beschäftigten arbeiteten nach deutschlandweiten  Zahlen – Zahlen für Hamburg alleine gibt es nicht – im Jahr 2010, wie uns freundlicherweise die Hans-Böckler-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem IAQ erklärt hat, 16,7 Prozent für unter 8 Euro und sogar 19,9 Prozent für unter 8,50 Euro.

(Glocke)
Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unterbrechend):
Herr Abgeordneter, einen Moment noch einmal bitte. – Jetzt müssen wir eine Stufe weitergehen. Wenn ein allgemeiner Aufruf nicht reicht, dann nenne ich Frau Spethmann, Herrn Kleibauer, Herrn Petersen, Herrn Rickmers und die Dame, deren Namen ich nicht kenne. Ich bitte Sie noch einmal, das Reden einzustellen oder den Raum zu verlassen. – Herr Abgeordneter, Sie haben  das Wort.

Tim Golke DIE LINKE (fortfahrend): 
Vielen Dank. Ich wiederhole das noch einmal: Wir haben einen Lohn von unter 8 Euro bei 16,7 Prozent und einen Lohn von unter 8,50 Euro bei 19,9 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland. Stundenten, Schüler und Praktikanten sind da allerdings eingeschlossen. Bei einem Mindestlohn von 10 Euro wäre nach meinen Schätzungen wahrscheinlich ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung betroffen. Das zeigt das Problem sehr deutlich. In Hamburg sollten diese Zahlen etwas geringer sein, weil Hamburg Gott sei Dank im Allgemeinen im Lohnniveau etwas besser liegt als der Rest des Bundes.

(Christiane Schneider DIE  LINKE: Das Leben ist ja auch teurer!)

– Wobei das Leben natürlich auch teurer ist, völlig richtig, Frau Schneider.
Wenn das alles zu unkonkret sein sollte, dann können wir gerne in den Ausschüssen darüber sprechen, es runder machen und es hier dann noch einmal debattieren oder auch so verabschieden.
Ich habe damit überhaupt kein Problem, Herr Schwieger. Überweisen Sie die Anträge und wir machen das.

(Beifall bei der LINKEN und bei Phyliss Demirel und Antje Möller, beide GAL)

Zum FDP-Antrag: Ihre Argumentation geht schon im Ansatz fehl. Hier wird der Staat nur positiv tätig. Ein Landesmindestlohngesetz bewirkt, das wissen wir alle, keinen allgemeinen Mindestlohn in Hamburg, es kann sich eben nur auf Stellen auswirken, die sich in irgendeiner Weise auf die Stadt als Arbeitgeberin beziehen. Machen wir doch einmal das, was Sie so gern tun, bezeichnen die Stadt als Unternehmen und überlegen uns einmal, nach welchen Grundsätzen ein Unternehmen Verträge mit seinen Vertragspartnern abschließt. Solche Grundsätze können sein, Verträge nur mit bestimmten Partnern abzuschließen, es kann aber auch festgeschrieben sein, Verträge nur mit Vertragspartnern abzuschließen, die garantieren, dass ihre Beschäftigten10 Euro bekommen.
Nichts anderes ist dieses Landesmindestlohngesetz, und in die Tarifautonomie greifen wir damit auf hamburgischer Ebene tatsächlich gar nicht ein. Und wenn man das ifo Institut in Fragen des Mindestlohns zitiert, dann ist das ungefähr so, als würde man das Zentrum für Hochschulentwicklung in Fragen einer kritischen Bewertung von Bachelor und Master befragen.

(Beifall bei der LINKEN – Katja Suding FDP: Das sagen Sie!)

Um das noch kurz abzurunden: Es gibt durchaus kleine und mittelständische Unternehmer und auch Vereinigungen von diesen, die einen Mindestlohn fordern, um nicht durch Dumping-Löhne vom Markt ausgeschlossen zu werden. Die sollten Sie doch eigentlich vertreten.

(Finn-Ole Ritter FDP: Die vertreten Sie doch jetzt! Haben Sie mit denen gesprochen?)

– In der Tat, das habe ich.

(Roland Heintze CDU: 12,50 Euro!)

Zum CDU-Antrag habe ich schon gesagt, dass der Ansatz, Dinge erfahren zu wollen, immer in Ordnung ist. Da Sie aber die 10 Euro nicht prüfen wollen, werden wir uns enthalten. Zum GAL-Antrag: Ich habe begründet, warum wir 10 Euro wollen. Ihr wollt 8,50 Euro; wir werden den Antrag ablehnen. Ganz kurz zum SPD-Antrag: Es ist nicht nachvollziehbar, warum dem Senat ein erneuter Prüfauftrag erteilt wird. Eine Prüfung ist auch bei einer Ausschussberatung möglich. Ich frage mich wirklich, wann die SPD-Fraktion endlich anfangen will, außerhalb des Senats selber zu gestalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind so viele und Sie haben so viele Mittel, und man wird den Eindruck nicht los, Sie können vor Kraft kaum laufen.

(Beifall bei der LINKEN)

2. Beitrag:

Norbert Hackbusch DIE LINKE:*
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Bevor ich zu Herrn Scheele komme, interessiert mich natürlich, was die FDP gesagt hat. Was Sie hier darstellen, ist diese alte Vorstellung davon, dass möglichst geringe Löhne – das heißt 5 Euro, 4 Euro – zu einer möglichst hohen Anzahl von Arbeitsplätzen führen.

(Katja Suding FDP: Das haben Sie falsch verstanden!)

– Genau das ist doch die Grundlage davon, weil Sie das in gewisser Weise umdrehen. Das Interessante daran ist, dass das in den letzten Jahren in dieser Republik völlig widerlegt worden ist, und zwar auf dem Rücken von Millionen Menschen in diesem Land, weil Sie dieses Experiment durchgeführt haben.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Man sollte dabei zumindest nicht vergessen, was dort geschehen ist.  Die Situation, die durch das Experiment der niedrigen Löhne entstanden ist, istvon der Logik her in gewisser Weise eine Auswirkung von Hartz IV.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Richtig!)

Die schlimmsten Auswirkungen von Hartz IV sind nicht die Zwangsmaßnahmen für diejenigen, die auf Hartz IV angewiesen sind, sondern die katastrophalen  wirtschaftlichen  Auswirkungen  sind, dass wir einen riesigen Niedriglohnsektor bekommen haben, eines der größten ökonomischen und sozialen Probleme, die diese Stadt gegenwärtig zu bewältigen hat.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Herr Scheele, Sie sind Spezialist auf diesem Gebiet. Sie und Herr Scholz kennen sich damit lange aus und haben in gewisser Weise die Architektur mit geschaffen. Dementsprechend ist es mir wichtig, dass die Sozialdemokraten, wenn sie schon seit Jahren – oder eher seit Monaten – davon reden, sie wollten das mit dem Mindestlohn jetzt verbessern, was sie damals angerichtet haben, dann aber auch einmal etwas vorlegen müssten und hier nicht so herumstottern, es gebe vier Bereiche, in denen sie sich in diesem Jahr noch irgendetwas überlegen müssten. Das reicht  nicht aus. Dazu müssen Sie ein bisschen mehr vorlegen, weil dies das drängende soziale Problem ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch kurz etwas dazu sagen, was Herr Golke ausgeführt hat. Es hört sich immer so populistisch an, wenn wir 10 Euro fordern.

(Robert Bläsing FDP: Ist es auch!)

10 Euro bedeuten in der Praxis 1600 Euro brutto im Monat, das bedeutet, dass denjenigen Arbeitnehmern 1150 Euro bis 1180 Euro im Monat übrig bleiben. Hier geht es nicht um Luxus, das ist die Grundlage. Wenn ich 40 Stunden die Woche arbeite, muss ich das haben, und wir sollten als Politiker, als Vorbild, das man in der Stadt auch darstellen sollte, sagen, das müsse man hier auch verdienen. Es ist existenziell für diese Stadt und für die Menschen, die wir beschäftigen, dass sie das auch verdienen. Das ist kein Populismus, das ist Realität für viele Menschen und das müssen wir für sie auch verändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine ganz einfache Situation: Gehen Sie ins Museum und sprechen Sie mit den Leuten, die dort die Aufsicht führen. Sie bekommen gegenwärtig 7,31 Euro die Stunde. Das beauftragen wir als Stadt. Das ist unredlich von der Stadt und moralisch nicht zu verantworten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dementsprechend fordere ich diesen Senat auf, das Problem nicht irgendwann in diesem  Jahr, sondern jetzt anzugehen und nicht nur allgemein mit vier Punkten, auch wenn es die richtigen waren, die Sie aufgezählt haben. Nur ein Prüfauftrag seitens der Sozialdemokratie würde der Art und Weise, wie Sie heute über Mindestlohn reden, nicht gerecht. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)