Plenarprotokoll 20/32: Schuldenbremse – Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg

Norbert Hackbusch DIE LINKE:
Frau Präsidentin, meine  Damen  und  Herren!  Ich  muss  zugeben, dass die Debatte, wie sie stattgefunden hat, mich etwas fassungslos macht.

(Zurufe von der SPD und der CDU: Oh, oh! – Dr. Andreas Dressel SPD: Das kann man auch andersherum sehen!)

Ich will das auch begründen. Können Sie sich daran erinnern, was gestern in diesem Haus debattiert worden ist? Ich will Sie kurz daran erinnern. Wir haben ein großes Problem gehabt, das will ich jetzt nicht nennen, mehr bei der SPD und ein wenig bei der  CDU, aber wir haben einiges debattiert. Wir haben zuerst über die Frage des Schulausbaus debattiert und gemeinsam in diesem Haus festgestellt, dass es dort Milliarden von Euro an Investitionsrückständen gibt.

(Finn-Ole Ritter FDP: Trilliarden!)

Die Generationengerechtigkeit, die Sie so schön im Mund führen, wird gegenüber der gegenwärtigen Generation nicht eingehalten, denn sie sitzen teilweise in vergammelten Schulräumen.

(Beifall bei der LINKEN – Olaf Ohlsen CDU: Die sitzen in Containern!)

Wir haben gemeinsam festgestellt, dass diese Kürzung im Jugendbereich unverantwortlich ist. Wir haben gemeinsam festgestellt, dass es bei den Verkehrsinvestitionen Milliarden von Euro an Rückständen gibt, und mussten uns überlegen, wie wir damit zurechtkommen. Und heute kommen die Haushaltspolitiker, nennen ein paar schöne Zahlen und sagen, wir werden das Ganze ambitioniert schon einigermaßen reduzieren. Ich halte es für realitätsfern, wie Sie argumentiert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Einzige, die ein bisschen auf dieses Argument eingegangen  ist – da muss ich sie an diesem Punkt einmal loben –, ist die GAL,

(Christiane Schneider DIE LINKE: Grüne!)

weil sie gesagt hat, dass sie eine Sache nennen könne, wie wir in der Lage seien, diese finanziellen Probleme zu lösen, indem man nämlich den Hamburger Hafen und die wirtschaftspolitischen Aufgaben dort nicht mehr wahrnimmt. Man sollte unter anderem die Hapag-Lloyd-Anteile nicht kaufen. Ich halte das für wirtschaftspolitischen Kinderkram, der dort angedacht wird, aber es ist immerhin noch ein Vorschlag, was man hier tun könnte.

(Zuruf von Finn-Ole Ritter FDP)

Ansonsten gibt es keinen Vorschlag. Ich will Ihnen sagen, worin das Problem eigentlich liegt. Wir haben eine Gesellschaft – auch das wurde eben in der Debatte festgestellt –, die mehr Anforderungen an den Staat hat. Das zeigte nicht nur die Wirtschaftskrise. Das zeigt auch die Situation, die wir gegenwärtig an den Schulen haben, zum Beispiel der multiethnische Unterricht, der dort notwendig ist. Wir haben staatlicherseits höhere Anforderungen durch Familien, die auseinanderfallen. Wir wissen genau – Herr Scheele hat es auch gestern aufgezählt –, wie viele zusätzliche Aufgaben wir im Sozialbereich haben, und zwar nicht, weil dort irgendein Unsinn gemacht wird, sondern weil die Anforderungen in der Gesellschaft da sind. Aber Sie gehen darüber hinweg und sagen, es wären ambitionierte Aufgaben, dies alles zu kürzen. Das geht nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Andy Grote SPD: Können Sie mal eine verantwortliche Kürzung aus Ihrer Sicht nennen?)

Sie sind in dieser Hinsicht unverantwortlich. Dann kommt immer der schöne Verweis auf Griechenland und ob nicht auch hier der Behördenapparat völlig aufgebläht sei. Er ist es nicht, denn alle, die sich den Behördenapparat ansehen, wissen,

(Ole Thorben Buschhüter SPD: Er ist zu klein!)

dass in den letzten15 bis 20 Jahren dort Kürzungspolitik betrieben wurde und die Situation insgesamt sehr schlank worden ist, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Es gibt  eher  das  Problem, dass die gesellschaftlichen Aufgaben durch die Behörden nicht erfüllt werden können. Dazu kommt, dass die Beschäftigten durch die Kürzungspolitik, besonders auch im letzten Jahr, finanziell zur Ader gelassen worden sind. Das heißt, auch dieser Bereich kann nicht herangezogen werden zu weiteren Kürzungsaufgaben.

(Beifall bei der LINKEN  – Zuruf von Olaf Ohlsen CDU)

– Nun warten Sie doch ab, es kommt noch alles. Ich halte auch die Idee, 250 Vollzeitstellen zu reduzieren, für unglaublich. Dabei hatte der Rechnungshof schon ausgerechnet, dass es real 950 Stellen sind. Aufgrund der Tarifsteigerungen, die ausgehandelt und festgelegt worden sind mit der Gewerkschaft, sind wir in einem Bereich von über 1000 Stellen, die dort in den nächsten Jahren jährlich reduziert werden sollen.
Wo sind Sie denn, dass Sie glauben, das durchsetzen zu können? Und was meinen Sie denn, was in dieser Gesellschaft übrigbleibt, wenn Sie dieses Projekt so durchsetzen?

(Beifall bei der LINKEN)

Dementsprechend unterstütze ich den DGB völlig in dem Punkt,

(Finn-Ole Ritter FDP: Na, jetzt aber!)

dass wir ohne strukturelle Einnahmeverbesserungen – nicht irgendwelche kleinen Sicherungen, die Sie hier einschieben – nicht in der Lage sein werden, eine Schuldenbremse vernünftig einzuführen. Diese strukturellen Einnahmeverbesserungen müssen eine wichtige Aufgabe sein. Daher fordere ich Sie – gerade innerhalb der SPD – dazu auf, dieses Problem zu lösen. Wir werden sonst nicht in der Lage sein, diese Schwierigkeiten lösen zu können.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dressel  SPD: Wir brauchen eine Mehrheit im Bundestag!)

(Norbert Hackbusch)Wir werden sehen, wie wir das in gewisser Weise hinbekommen können. Aber wenn das so ist, was bedeutet das politisch, was Sie gegenwärtig mit der Schuldenbremse machen? Ich will es vor allem auch der GAL sagen, die immer versucht, bei sozialen Bewegungen mitzumachen. Politisch bedeutet die Schuldenbremse nichts anderes, als dass Sie diese Umverteilung, die in den letzten Jahren von unten nach oben zugunsten der Vermögenden mit der Entlastung riesiger Milliardenbeträge stattgefunden hat, jetzt auf regionaler Ebene durchsetzen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde das unvorstellbar. Wie wollen Sie da irgendeine Occupy-Bewegung mitnehmen, die sagt, dass 99 Prozent zugunsten von 1 Prozent darunter leiden? Ich weiß, dass Sie es politisch mit durchgesetzt haben.

(Glocke)

Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbrechend):
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Hajduk?

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Gerne.

Zwischenfrage von Anja Hajduk GAL: Sehr geehrter Kollege Hackbusch! Ist es nicht auch einmal eine Ereiferung wert, sich zu überlegen, wer eigentlich der Profiteur der hohen Staatsverschuldung ist, gerade mit Blick auf Ihre große Arm/Reich-Diskussion? Ist es nicht so, dass öffentliche Ausgaben für alle eingeschränkt werden durch hohe Zinsen an Kapitalbesitzer? Haben Sie sich diesen Zusammenhang schon einmal überlegt? Dann überdenken Sie noch einmal Ihre Argumentation.

(Beifall bei der GAL, der SPD und der FDP)

Norbert Hackbusch DIE LINKE (fortfahrend): Die Frage ist völlig berechtigt und die Antwort ist auch relativ einfach. Die Situation führt dazu, dass eine hohe Verschuldung schlecht ist für diejenigen, die normal arbeiten, und gut für diejenigen, die vermögend sind und Zinsen erhalten. Das ist aber keine Begründung für das, was ich eben gesagt habe, dass diese riesige Umverteilung, die über die letzten Jahre stattgefunden hat und an der Sie sogar als Bundestagsabgeordnete beteiligt waren, dass die riesigen Vermögen in diesem Land so gut gestellt worden sind, dass es dort eine Explosion der Gewinne gegeben hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Das jetzt damit zu verteidigen, ist kurzsichtig und ein Trick, den Sie hier formulieren. Es geht um eine gesellschaftliche Umverteilung und diese gesellschaftliche Umverteilung ist die Aufgabe der nächsten Monate und Jahre. Es gibt diesbezüglich noch Hoffnung – Sozialdemokratie, warum seid Ihr so zaghaft? –, Hollande zeigt einen Weg auf, das machen zu können. Wir müssen diese Veränderung durchführen, ansonsten läuft das falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Wirtschaftspolitisch ist das hier noch ein Proseminar, erstes Semester, der neoklassischen Wissenschaften nach dem Motto, die hohe Verschuldung sei gegenwärtig das Problem. Wir haben das Problem, dass es eine Solidität des wirtschaftlichen Wachstums und der wirtschaftlichen Situation nur dann gibt,

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

wenn es einigermaßen solide Haushalte gibt, die groß genug sind und nicht so klein geschmurgelt werden, wie Sie das durch Ihre Verfassungsänderung gegenwärtig machen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist die Aufgabe der nächsten Zeit. Wir brauchen einen kräftigen Staat, ohne ihn geht es nicht. Wir können die Aufgaben dieser Gesellschaft nicht ohne ihn lösen und wir können keine Gerechtigkeit herstellen. Beides läuft bei der Schuldenbremse, die Sie gegenwärtig planen, schief. Mit Hollande und mit Griechenland ist die Geschichte auf der Seite der Linken, und Sie werden sich noch wundern, was mit Ihnen geschieht.

(Beifall bei der LINKEN)