Plenarprotokoll 20/35: Deserteursdenkmal – Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz in Hamburg – Neue Formen des Gedenkens, vernachlässigte Aspekte, Fortentwicklung des Gesamtkonzeptes für Orte des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus 1933

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!
Ich freue mich, Ihnen heute diesen fraktionsübergreifenden Antrag darstellen zu dürfen. Er ist etwas kompliziert formuliert, wie es häufig der Fall bei fraktionsübergreifenden Anträgen ist. Deswegen will ich den Titel kurz vorlesen:“Deserteursdenkmal – Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz in Hamburg – Neue Formen des Gedenkens, vernachlässigte Aspekte, Fortentwicklung des Gesamtkonzeptes für Orte des Gedenkens an die Zeit des Nationalsozialismus 1933-1945 in Hamburg“

Dieser Antrag ist das Ergebnis einer, wie ich übrigens finde, ausgezeichneten Expertenanhörung. Alle, die sich mit diesem Thema ausführlicher beschäftigen wollen, sollten sich das Wortprotokoll durchlesen. Ich finde, es ist ein tolles Beispiel dafür, wie gut dieses Parlament solche Fragen aufzuarbeiten vermag.
In Hamburg gibt es mehr als 150 Kriegs- und Kriegerdenkmale, aber kein Denkmal für Deserteure und andere Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz, kein Denkmal für diese zum Teil sehr mutigen Menschen, die sich dem menschenverachtenden System entgegengestellt haben und auch keine Erinnerung an Wolfgang Borchert, einen der berühmten Söhne dieser Stadt, der an den Folgen der Misshandlung im Militärgefängnis gestorben ist. Er wurde wegen Wehrkraftzersetzung verurteilt.
Hamburg war ein Zentrum der Militärjustiz. Es wurden Hunderte von Menschen wegen unerlaubten Entfernens von der Truppe und Fahnenflucht meist am  Höltigbaum in Rahlstedt oder im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis hingerichtet. Es ist beschämend für uns alle, dass die Forschung zu diesem Thema noch völlig unterentwickelt ist.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und der GAL)

Unabhängig von dem, was wir nun mit diesem Antrag gemeinsam versuchen zu heilen, gilt es auch, die Erinnerung daran wachzuhalten, dass diese mutigen Menschen und ihre überlebenden Familienmitglieder noch jahrzehntelang nach der Niederlage des Faschismus diskriminiert wurden. Die Witwen und Waisen erhielten im Unterschied zu den Hinterbliebenen der Gefallenen keine Kriegsopferversorgung zugesprochen. Erst im Jahr 2002 hob der Deutsche Bundestag alle wegen Fahnenflucht und Zersetzung der Wehrkraft ergangenen Urteile auf. Ludwig Baumann, einer dieser Wehrkraftzersetzer, hat uns in der Expertenanhörung nicht nur seinen Leidensweg als Deserteur dargestellt, sondern auch seinen Leidensweg in Hamburg nach dem Krieg, als er nicht nur von Nachbarn, sondern auch von der Hamburger Polizei als Fahnenflüchtling beschimpft und zusammengeschlagen wurde.
Er schilderte die lange Auseinandersetzung um die Anerkennung als Opfer der Militärjustiz in der Bundesrepublik. Einige Tage vor der Expertenanhörung war Ludwig Baumann in der Ida-Ehre-Schule in Eimsbüttel und hat dort als Zeitzeuge mit den Schülerinnen und Schülern geredet. Diese haben in sehr bewegenden Briefen an den Bürgermeister geschrieben, dass sie den größten Wunsch von Ludwig Baumann, die Errichtung eines Deserteursdenkmals am Kriegsklotz am Dammtorbahnhof zu erleben, mit aller Kraft unterstützen wollen. Die Bürgerschaft nimmt mit dem Antrag diese Aufgabe, die auch uns von den Schülern gegeben wordenist, gern an.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und der FDP)

Meine Damen und Herren! Das tun wir sicher zur Ehre von Ludwig Baumann und seinen Kameraden, aber wir tun es im Wesentlichen auch für uns. Nur eine Gesellschaft, die mit ihrer Geschichte im Reinen ist, wird in der Lage sein, die Aufgaben der Zukunft zu meistern.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Wir bahnen mit diesem Antrag den Weg für die Bildung eines Beirats, der die Entscheidungsgrundlage für ein Deserteursdenkmal schaffen soll. Übereinstimmend befanden die Mitglieder des Kulturausschusses, dass es nicht die beste Lösung sei, irgendwo einen weiteren Stein aufzustellen. Wir wünschen uns einen Ort, der sich durch kreative Lösungen und durch Lebendigkeit insgesamt auszeichnet, weil wir glauben, so am besten das Gedenken  organisieren zu können. In der Expertenanhörung wurden viele Beispiele für ein öffentliches, lebendiges Gedenken genannt, etwa in Köln, München und  vielen anderen Orten. Schon die ersten Andeutungen und Diskussionen dazu im Kulturausschuss geben mir die Sicherheit, dass uns etwas Gutes einfallen wird und dass auch die Auseinandersetzung damit uns allen neue Aspekte und Ideen aufzeigen werden, sodass wir gemeinsam diesen Weg beschreiten können.
Nicht eindeutig festlegen mochte sich der Antrag auf die Frage des Standorts. Allerdings sprach sich so mancher für den Standort Dammtor mit dem 76er-Denkmal, dem Kriegsklotz, aus. Meine Auffassung dazu ist eindeutig. Dieser Kriegsklotz im Zentrum ist eine Schande für diese Stadt.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die unvollendeten Arbeiten von Herrn Hrdlicka, die dazugestellt wurden und es mit dem Denkmal aufnehmen sollten, haben den kriegsverherrlichenden,  selbstbewussten und kräftigen Auftritt nicht gebrochen. Dieser Kriegsklotz ist nicht nur unheimlich und vermittelt Ankömmlingen in dieser Stadt einen schlechten Eindruck, schlimm ist auch, dass Nazis das Denkmal für ihre Werbung nutzen. Das jüngste Beispiel dafür sind die Aufrufe zur Demonstration in Hamburg am 2. Juni dieses Jahres. Immer wieder haben sie in You-tube-Videos auf dieses Denkmal hingewiesen und damit aufgezeigt, dass eine Stadt, wo an so wichtiger Stelle so etwas steht, Nazis einen guten Platz haben. Ich finde, das ist der beste Grund, einvernehmlich daraufhinzuwirken, die Aussage von diesem Kriegsklotz zu brechen.

(Beifall bei der LINKEN, der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Daher wäre ein Deserteursdenkmal an diesem Ort die beste Möglichkeit, zwei Aufgaben gleichzeitig zu lösen. So haben es übrigens alle Experten in der Anhörung gesehen und so sehe ich es auch. Ich hoffe, wir werden diesen Weg finden. – Vielen Dank.