Plenarprotokoll 20/54: Hamburg wächst – doch die Portmonees der Menschen bleiben klamm: Beschäftigte im öffentlichen Dienst, bei Neupack, am Flughafen und im Einzelhandel wehren sich!

Kersten Artus DIE LINKE:* Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Hamburg wächst, das ist eine Tatsache, auch wenn diese oft als Werbeslogan und damit sehr einseitig benutzt wird. Wachstum bedeutet nicht nur, dass alle mehr haben, sondern auch, dass viele immer weniger haben. So wächst der Niedriglohnsektor, und die Einkommen aus abhängiger Arbeit sinken. Sie sind heute niedriger als im Jahr 2000, und das bedeutet zunehmend prekäre Lebenslagen und Armut im Alter.

Daher haben die derzeitigen Streiks, die in Hamburg und anderswo stattfinden, eine große Bedeutung. Wo es keine oder nur schlechte Tarifverträge gibt, sind Löhne und Gehälter auch dort niedrig, wo Tarifverträge nicht direkt gelten. Tarifverträge sichern Transparenz. Wo kein Tarifvertrag gilt, kann der Preiskampf angeheizt und die Konkurrenz unter Druck gesetzt werden. Das nennt sich ruinöser Wettbewerb. Wenn Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände den Abschluss vernünftiger Tarifverträge hinauszögern oder sogar verhindern wollen, dann ist das ein Eingriff in alle Einkommen aus abhängiger Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das führt zu einem Bedeutungsverlust von Arbeit und Arbeitsergebnissen. Es findet eine Entwertung von Arbeit statt. Ich ahne schon, was mir gleich vorgeworfen wird: Das sei Tarifautonomie, damit habe sich das Landesparlament nicht zu beschäftigen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich aber sage Ihnen: Was die gesetzgebende Gewalt in den letzten Jahren alles verschlimmbessert hat, hat nachhaltig in die Tarifautonomie eingegriffen,

(Beifall bei der LINKEN)

und zwar vor allem die Privatisierung von öffentlichem Eigentum, die Möglichkeiten von Betriebsaufspaltung, die Aufweichungen für den Einsatz von Leiharbeit und die Ausweitung von befristeten Verträgen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Was ist die Alternative?)

Es muss sich niemand wundern, wenn die Beschäftigten der Fluggastkontrollen streiken. Die Privatisierung der Sicherheitsdienste und die Stagnation der Löhne haben dazu geführt, dass zum letzten Mittel gegriffen wurde, dem Streik. Wer jetzt die Kolleginnen und Kollegen beschimpft, ist sich dieses Sachverhalts nicht bewusst oder blendet diese Tatsache völlig aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um einen Stundenlohn von 14,50 Euro. Das wären, ausgehend von einer 38-Stunden-Woche, gerade einmal 2400 Euro, die die Sicherheitskräfte dann an den Flughäfen verdienen würden. Das ist keine utopische Forderung, wie Arbeitgeberpräsident Hundt tönt, sondern ein Einkommen, von dem man leben, aber auch nur bescheiden leben kann. Das ist immer noch weniger, als die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft im Monat als Diät rhalten.

Wir sehen anhand des Neupack-Streiks, wohin die derzeitige Gesetzeslage führt. Dadurch, dass Leihkräfte auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt werden können und befristete Einstellungen möglich sind, wird die Auseinandersetzung völlig unnötig in die Länge gezogen. Das vereinbarte Koalitionsrecht wird mit den Füßen getreten, weil ein Unternehmer keine Gewerkschaften mag. Darum geht es aber nicht. Ein Unternehmer hat sich seiner Verantwortung zu stellen, und dafür genießt er in diesem Land große Freiheiten. Die Aushöhlung des Tarifsystems wird massiv genutzt, und die Gesetzeslage wird ausgenutzt und missbraucht.

(Finn-Ole Ritter FDP: Woran sehen Sie das eigentlich? Am Flughafen, oder?)

Wir sehen das im Einzelhandel. Die Arbeitgeber haben dort die Tarifverträge gekündigt. Sie wollen aber nicht etwa ihren Leuten endlich mehr Geld zahlen oder ihnen die nötige Wertschätzung entgegenbringen, nein, sie nennen das „alte Tarifzöpfe abschneiden“. Wer abschneiden will, der will kürzen. Es geht hier also klar darum, sich den Bedingungen von Amazon anzunähern.

(Olaf Ohlsen CDU: Gruner + Jahr sind nicht anders!)

Die Folgen sind für die Betroffenen und die Volkswirtschaft inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Das gilt auch für die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst. Der Senat hat sich aus dem Fenster gehängt und die Lohngestaltung bereits per Haushaltsplan festgelegt, und zwar ohne Tarifverhandlungen. Mehr als 1,5 Prozent dürfen es nicht sein, sonst würde noch mehr Personal als die angekündigten 250 Stellen abgebaut werden. Dem öffentlichen Dienst geht es aber nicht gut. Die Krankenstände sprechen Bände, und auch der Urlaubsanspruch soll der Schuldenbremse zum Opfer fallen. Dazu muss sich die Bürgerschaft verhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer als Parlament glaubwürdig sein will, muss den öffentlichen Dienst stärken und darf ihn nicht schwächen. Die Bürgerschaft trägt Verantwortung. Sie setzt Signale, die für die Stimmung in der Stadt wichtig sind. Sie darf daher nicht stillschweigend hinnehmen, wenn Wachstum und wachsende Stadt einseitig und zulasten der arbeitenden Bevölkerung stattfinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich rufe Sie alle auf, sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, die sich für bessere Einkommen einsetzen und den Mut aufbringen, dafür zu streiken. Sie verdienen unser aller Respekt und keine Beschimpfungen und Missachtungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweiter Beitrag: Norbert Hackbusch

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will auf die Demagogie von Herrn Kluth nicht eingehen, denn ich habe zu wenig Zeit.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Es geht um die Frage, ob es vernünftig ist, wenn DIE LINKE über den öffentlichen Dienst und die Tarifauseinandersetzungen in der Bürgerschaft diskutiert. Ihr Argument ist, dass wir das irgendwo außerhalb behandeln sollen, denn es gebe die Tarifautonomie.

(Katja Suding FDP: Richtig so!)

Aber der Bürgermeister hat dieses Thema zu einem zentralen in der Bürgerschaft gemacht, als er gesagt hat, dass das Ganze auf 1,5 Prozent beschränkt werden solle.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig so!)

Und er hat weiter gesagt, wenn es mehr gebe als 1,5 Prozent, dann würden Stellen im öffentlichen Bereich abgebaut werden.

(Katja Suding FDP: Das macht Sinn!)

Das ist noch stärker im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge bei vielen Trägern mit 0,8 Prozent und 0,0 Prozent. Der Bürgermeister hat also kräftig bei der Tarifautonomie interveniert, und deshalb ist es richtig und gut, hierüber an dieser Stelle zu diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Christa Goetsch GRÜNE)

Das ist Erpressung,

(Beifall bei Dr. Till Steffen GRÜNE)

denn er sagt, dass die Beschäftigten in dieser Stadt so gut verdienen, dass kein weiteres Geld notwendig sei. Das sage ich als Bürgermeister,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie als Bürgermeister!)

sagt dieser Bürgermeister. Das ist ein kräftiger Einschnitt in die Tarifautonomie, und als kleine kämpferische Fraktion etwas dagegen zu sagen ist das Mindeste, was wir in diesem Parlament tun müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie sind denn die Bedingungen im öffentlichen Bereich und wie ist die Beschäftigungssituation bei denjenigen, die dort arbeiten? Wie ist es dabei um diese Stadt bestellt? Sie können mit allen sprechen und feststellen, dass die Leute zu wenig verdienen angesichts der großen zusätzlichen Kosten, die man in dieser Stadt hat. Gerade im sozialen Bereich verdienen die Menschen zu wenig, schauen Sie sich die Situation bei den sozialen Initiativen an. Und dann erpresst dieser Bürgermeister uns und sagt, dass es nicht mehr Geld geben dürfe, sonst würden weitere Stellen abgebaut. Das geht nicht, und dagegen wehren wir uns kräftig.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Rose argumentiert, dass wir leider die Schuldenbremse bekommen und so vorgehen müssen. Herr Rose, Sie haben die Schuldenbremse ohne Einnahmenstärkung beschlossen. Wir haben Ihnen gesagt, dass es Unsinn ist, so vorzugehen. Sich jetzt als unschuldiges Lamm auszugeben, das nichts dafür kann, das ist dumme sozialdemokratische Politik und nicht vernünftig.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Das Grundgesetz gilt auch für DIE LINKE!)

Sie können doch zumindest politisch dagegen agieren und sagen: Wir können es nicht anders machen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das tun wir doch auch!)

– Das tun Sie nicht. Sie versprechen irgendetwas für die Zeit nach den Bundestagswahlen, aber Ihre Versprechen zu den Bundestagswahlen kenne ich; da bin ich oft genug enttäuscht worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Rose. Es geht darum, wie sich der Geschäftsführer eines öffentlichen Unternehmens, der uns gegenüber verantwortlich ist, weil das Unternehmen der Stadt gehört, im Zusammenhang mit dem Streikrecht verhalten hat. Er hat gesagt, das Streikrecht müsse eingeschränkt werden. Das finden Sie auch nicht richtig, aber plötzlich sprechen Sie dann nicht mehr von Ihrer Fraktion, sondern nur von sich, das ist mir ganz genau aufgefallen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte aber auch gerne wissen, was Ihre Fraktion dazu sagt, die die Mehrheit stellt, und Herr Tschentscher als Chef dieses Unternehmens. Er muss etwas dazu sagen, denn es geht nicht an, ein für dieses Land und die soziale Demokratie so wichtiges Grundrecht wie das Streikrecht in dieser Form von einem sozialdemokratischen Geschäftsführer angreifen zu lassen. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Ich glaube nicht, dass er SPD-Mitglied ist!)