Plenarprotokoll 20/65: NEIN zum Netzkauf: Der Volksentscheid hält nicht, was er verspricht!

Dora Heyenn DIE LINKE:* Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Stöver, ich habe Ihnen ganz genau zugehört. Ich hoffe, Sie haben jetzt auch einmal zugehört. Wer schreit hier eigentlich wen runter und wer verunglimpft hier eigentlich Andersdenkende? Das war nicht Herr Kerstan.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Dirk Kienscherf SPD: Nein, überhaupt nicht!)

In dieser Debatte ist es so gekommen wie erwartet. Die Reihe der Tricks, um die Bevölkerung zu verunsichern, wird jetzt massiv fortgesetzt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ihre Verunsicherung ist aufgeflogen!)

Ein Blick auf die Anzeigenseiten der Zeitungen macht deutlich – Herr Kerstan hat den Preis genannt –, dass es bei den Strom-, Gas- und Fernwärmenetzen um viel geht, vor allem geht es um viel Geld.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Da haben Sie ausnahmsweise mal recht!)

In der Tat haben Vattenfall und E.ON bei den Netzgebühren in den letzten Jahren sehr viel Geld verdient, und das wissen Sie ganz genau. Das wollen die Konzerne auch gerne weiterhin. Im Energiesektor ist es schon längst so, dass nicht mehr die Kernkraftwerke die höchsten Renditen sichern, sondern die Durchleitungsgebühren. Nicht umsonst wollen sich E.ON und Vattenfall nach einem erfolgreichen Volksentscheid wieder um die Konzession bewerben. Und wie sagte kürzlich ein Sprecher von Vattenfall? Ich zitiere: „Wir werden wie die Löwen darum kämpfen, das Netz weiter betreiben zu dürfen.“
Und das machen sie ganz bestimmt nicht, Herr Dressel, weil sie damit Defizite einfahren oder weil es ein Zusatzgeschäft ist.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Das hat ja keiner behauptet!)

Ich erwarte eigentlich auch von einem Präsidenten der Handwerkskammer, dass er weiß, dass man damit keine Defizite macht, sondern riesige Gewinne, und nur darum geht es.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Das weiß er auch!)

Dass in solchen Fragen um unterschiedliche Positionen gerungen und in der politischen Debatte hart diskutiert wird, finde ich völlig in Ordnung, aber bitte mit Fairness und ohne Tricks und Halb- und Unwahrheiten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Von diesen erzähle ich Ihnen jetzt.
Erstens: Selbst wenn der Preis für den Rückkauf der Netze 2 Milliarden Euro betragen sollte, wie wir heute schon wieder dreimal gehört haben, bleibt eine Summe von weniger als 1,5 Milliarden Euro zu finanzieren. Bei einem erfolgreichen Volksentscheid greifen nämlich die Rücktrittsklauseln, die in allen Verträgen mit E.ON und Vattenfall festgeschrieben sind. Auch die Energiekonzerne müssen sich an Verträge halten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Und die 543 Millionen Euro fließen dann zurück an die Stadt, nicht in den Haushalt, sondern an die HGV, ein städtisches Unternehmen, denn auch das haben Sie genauso finanziert.
Zweitens: Wenn immer wieder behauptet wird, es hätte keinerlei Vorteile für die Stadt, die Gas-, Strom- und Fernwärmenetze zurückzukaufen, weil es nur Kabel und Rohre seien, dann muss man sich doch fragen, warum Olaf Scholz mit seiner SPD-Mehrheit durchgedrückt hat, dass für ein Viertel der Netze über eine halbe Milliarde Euro gezahlt wurde, und zwar nicht über den Haushalt. Wenn ich Sie jetzt beim Wort nehme, Herr Dressel, dann hat dieser Senat unsinnigerweise eine halbe Milliarde Euro verschleudert, und das muss er bitte erklären.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Gabi Dobusch SPD: Sie müssen mal genauer nachlesen, was da steht!)

Ich möchte auch noch ein Wort zu der Plakatserie der SPD sagen, die gerade angelaufen ist. Was Sie mit dieser Plakatserie machen, ist nichts anderes als Angst schüren.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Plakatserie ist plump und sie ist falsch.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Und wenn Sie schon einer jungen Frau in den Mund legen – ich zitiere –: „2 Milliarden Euro Schulden für Netzkauf? Nicht mit meiner Zukunft“,dann haben Sie wohl vergessen, 800 Millionen Euro für die Elbphilharmonie, 440 Millionen Euro für die Aufstockung von Hapag-Lloyd und die vielen Milliarden für die HSH Nordbank dazuzuschreiben. Das ist reine Stimmungsmache und reines Angstschüren und das ist unlauter und unfair.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von der SPD, der CDU und der FDP: Oh!)

Viertens: Für den Fall, dass diese Unwahrheiten, die Sie immer wieder verbreiten, nicht greifen, wird gleich noch ein ebenso falsches Szenario nach einem erfolgreichen Volksentscheid an die Wand gemalt. Es wird behauptet, dass die Wahrscheinlichkeit für ein städtisches Unternehmen sehr gering sei, die Konzessionen zu erhalten, für Vattenfall und E.ON sei sie aber sehr hoch. Sie werden nicht falsch zitiert, denn das haben Sie eben wieder gesagt. Und es wird gleich noch hinterhergeschickt – das haben Sie heute vergessen –, dass Vattenfall gern vor Gericht ziehe. Dann würde es sehr lange dauern und viel kosten, und deshalb sei es besser, wenn man das gar nicht erst mache. Auch das ist nichts anderes als Angstmache.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Die gesetzlichen Anforderungen an einen Netzbetreiber kann und wird Hamburg durch eigene stadtentwicklungs- und energiepolitische Kriterien ergänzen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und was sagt das Bundeskartellamt dazu?)

Ich möchte daran erinnern, dass Bürgermeister Scholz in der Sendung am 1. Juli im Sommerinterview mit Herrn Heuer klar gesagt hat, dass auch eine städtische Gesellschaft den Zuschlag bekommen kann. Ich appelliere an Sie, mit den Unwahrheiten und Tricks aufzuhören. Setzen Sie sich fair mit uns auseinander, dann bemühen wir uns um Mehrheiten.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Dr. Andreas Dressel SPD: Fragen Sie mal das Bundeskartellamt!)

Zweiter Beitrag: Norbert Hackbusch

Norbert Hackbusch DIE LINKE: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte hat vor allen Dingen eines gezeigt. Relativ ruhig, ohne viele Diffamierungen ging es auf dieser Seite des Hauses zu

(Heiterkeit bei der SPD, der CDU und der FDP – Finn-Ole Ritter FDP: Waren Sie draußen, oder wie?)

– vielleicht haben Sie nicht zugehört –, während ich aus den Reihen der CDU hören musste, es sei ein Verbrechen, was dort geschehe, und Ähnliches mehr. Was sind denn das für Schimpfworte?

(Finn-Ole Ritter FDP: Das hat doch keiner gesagt! – Gerhard Lein SPD: Wer hat „Verbrechen“ gesagt?)

– Das wurde von der CDU gesagt, verbrochen, das werden Sie nachlesen können. Was ist denn die Bilanz der Energiepolitik unserer bisherigen Bürgermeister von Beust, Voscherau und Runde? Es hat sich deutlich dargestellt, dass es ein kräftiger Fehler war, die HEW an Vattenfall zu verkaufen.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Wenn das die Bilanz ist, dann müssen wir doch sagen, dass es an und für sich vernünftig ist, wenn die Netze in städtischer Hand sind. Das ist die Erfahrung unserer letzten Bürgermeister und das ist die Erfahrung von uns allen. Als Gegenargument könnten Sie vielleicht noch nennen, dass das zu teuer sei – darauf werde ich gleich noch einmal kommen –, aber dass es vernünftig ist, wenn dieStadt die Netze besitzt und nicht ein solches Unternehmen, das ist doch auch wichtig.
Nun kommt Ihr neues, großes Bündnis, was auch von der Presse gefeiert worden ist, das Bündnis aus IG Chemie, Handelskammer und den verschiedenen Unternehmen, die sich in ihm zusammengeschlossen haben.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das sind auch Menschen und Bürger!)

– Das sind auch Menschen, darum geht es uns gar nicht. Das sind diejenigen, die immer für die Atompolitik demonstriert und dafür gesorgt haben,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist die Schlacht von vorgestern!)

dass über Jahrzehnte unverantwortliche Energiepolitik in diesem Land organisiert worden ist.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Das Ergebnis dieser Energiepolitik ist, dass wir riesige Energieunternehmen bekommen haben, die zu den reichsten Unternehmen Deutschlands gehören: RWE, E.ON und so weiter. Woher haben sie denn ihre Gewinne, wenn nicht von uns? Und was haben sie uns hinterlassen? Einen Atom-Irrsinn, bei dem kein Mensch weiß, wie der Mist, den sie mit ihrer Politik angerichtet haben, wieder abzubauen ist.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Und mit diesen Unternehmen wollen Sie zusammen bauen.

(Zuruf von Dietrich Wersich CDU)

Sie haben das in gewisser Weise noch mit unterstützt, aber das ist doch das Entscheidende.

(Frank Schmitt SPD: Wann kommt denn der sachliche Teil?)

Warum, meine Damen und Herren, macht Vattenfall denn solch eine Imagekampagne für sich und ihre Netze? Doch nicht, weil sie die Energiewende durchführen wollen, weil sie so nett zu Hamburg sind oder weil sie vielleicht wieder eine neue Klage einreichen wollen. Es scheint sich wirtschaftlich zu lohnen, das ist das wesentliche Moment. Dementsprechend ist es auch vernünftig, wenn die Stadt Hamburg das macht, denn es scheint sich auch wirtschaftlich zu lohnen, sonst würde diese Kampagne nicht gemacht werden.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Das Dramatische dieser Debatte aber, meine Damen und Herren, Herr Dressel und Herr Scholz, ist die Selbstaufgabe der SPD.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie haben irgendwann versucht, uns weiszumachen, es sei ein Kompromiss, was Sie dort machen. Ihre ganze Argumentation zeigt, dass es kein Kompromiss ist, sondern dass Sie sich Vattenfall an den Hals werfen. Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Herr Bürgermeister, Sie benutzen Formulierungen wie die, dass die Menschen, die dort tätig sind, 24 Stunden an jedem Tag für diese Stadt arbeiten würden.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Richtig!)

Das ist genau die gleiche Wortwahl, die Vattenfall für die Imagekampagne genutzt hat. Das dürfen Sie als unabhängiger Mensch in dieser Form nicht machen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Was? Das ist doch lächerlich!)

Ich will Ihnen eines sagen: Es lohnt sich nicht, sich den Mächtigen an den Hals zu werfen. Alle anderen, die das sehen, finden es peinlich,

(Finn-Ole Ritter FDP: Das ist jetzt auch peinlich!)

und derjenige, dem man sich an den Hals geworfen hat, letztendlich auch. Lassen Sie das, verändern wir die Politik. Denken wir an die klugen Sozialdemokraten, die es in Ihren Reihen gibt und die recht haben mit ihrer Kritik. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)