Plenarprotokoll 20/79: Brandstiftung aufgeklärt? Nach dem Tod von drei Menschen sind viele Fragen nach der Sicherheit von Flüchtlingen offen!

Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Drei Menschen sind am 5. Februar bei einem Brand in einer überwiegend von Flüchtlingen bewohnten Wohnunterkunft in der Eimsbütteler Straße 75 ums Leben gekommen, sie sind qualvoll erstickt. Ein Mann verlor seine ganze Familie, 27 Menschen wurden verletzt, viele erlitten einen Schock. Wir sind traurig und erschüttert – erschüttert auch, weil die Ursache des Brandes Brandstiftung war, für die nach heutigem Wissen ein 13-jähriger Junge verantwortlich ist.
Die Erleichterung darüber, dass ein rassistischer Tathintergrund wohl auszuschließen ist, ist dem Schrecken gewichen, dass es die Tat eines Kindes war, die so viel Leid verursacht hat. Die Brandstiftung scheint nach menschlichem Ermessen aufgeklärt, aber es gibt zu und nach dem Brand eine Reihe von Fragen, die nicht die eigentliche Tat betreffen, Fragen, die die Sicherheitsbedingungen in dem Brandhaus betreffen, Fragen zu den Umständen, die die schreckliche Katastrophe begünstigten, und auch Fragen nach den Wohnund Lebensbedingungen der Menschen in der Eimsbütteler Straße 75, Fragen also, die öffentlich aufgeworfen wurden und beantwortet werden müssen.
Aus welchem Grund der 13-Jährige ausgerechnet im Flur dieses Hauses den Brand legte, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass er den Brand in diesem Haus legen konnte, weil er ohne Weiteres hineingekommen ist, denn die Haustür war offen.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist in vielen Häusern so!)

Nicht erst seit einigen Tagen, nicht erst seit einigen Wochen, sondern seit sehr langer Zeit war die Haustür defekt und nicht abschließbar.

(Olaf Ohlsen CDU: In vielen anderen auch!)

Trotz vielfacher Beschwerden der Anwohnerinnen und Anwohner beim Betreiber der Unterkunft wurde die Haustür nicht repariert. Das Haus stand für jedermann zu jeder Zeit offen. – Ich finde die Unruhe einfach unangemessen für dieses Thema.

(Dirk Kienscherf SPD: Nee, Ihre Rede!)

Auch dass zum Beispiel mehrfach Kinderwagen aus dem für alle zugänglichen Flur gestohlen wurden, führte nicht zur Abhilfe. Das ist unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar,

(Beifall bei der LINKEN)

gerade weil jeder wissen kann, dass Flüchtlinge in Deutschland potenziell von rassistischer Gewalt bedroht sind und dass allein deshalb ein Mindestmaß an Sicherheit gegeben sein muss.

(Beifall bei der LINKEN – Gabi Dobusch SPD: Zäune, was?)

Gründe, aus denen der geringe Aufwand einer Haustürreparatur gescheut wurde, sind nicht erkennbar und nicht vertretbar. Wir haben mit Bewohnerinnen und Bewohnern gesprochen. Der ohnehin enge Flur war vollgestellt mit leicht brennbaren Dingen, zum Beispiel Kinderwagen,

(Dirk Kienscherf SPD: Ja, das ist erlaubt!)

die in den engen und überbelegten Wohnungen keinen Platz haben. Abstellräume gibt es nicht. Das Feuer wurde in einem dieser Kinderwagen gelegt und sprang von dort auf den Stromkasten
über. Zudem waren mit den Kinderwagen dieFluchtwege zugestellt. Fenster im Flur waren nicht zu öffnen, sondern vernagelt. Es gab keine Feuerlöscher, und auch das gehörte zu den sicherheitsgefährdenden Bedingungen in diesem Haus. Die Leitungen waren völlig überlastet, Glühbirnen explodierten häufig, im Flur hingen Kabel aus der Wand – alles Ausdruck des maroden Zustands des Hauses.

(Olaf Ohlsen CDU: Wie in der Schanze!)

Ein Freund der Familie, die ausgelöscht wurde, berichtete uns, dass sich die Wohnung, in der sie untergebracht war, in einem schlimmen baulichen Zustand befand. So sollen die Fenster nicht richtig zu öffnen gewesen sein. Auch das muss aufgeklärt werden. Wir fragen: Wie wurde die Aufsicht über die Bedingungen in der Wohnunterkunft Eimsbütteler Straße ausgeübt? Wie wird die Aufsicht über die anderen Wohn- und Flüchtlingsunterkünfte ausgeübt? Sind seit dem verheerenden Brand Kontrollen durchgeführt worden, um die Sicherheitsbedingungen in den Unterkünften zu prüfen?
Welche Konsequenzen aus der verhängnisvollen Missachtung minimaler Sicherheitsbedingungen werden für die Zukunft gezogen?

(Dirk Kienscherf SPD: Unglaublich!)

Wir dürfen uns nicht mit unverbindlichen Erklärungen abspeisen lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir bekunden unseren Respekt für die Einsatzkräfte der Feuerwehr und Polizei vor Ort, ihre extrem belastende Arbeit und ihre hochprofessionelle Unterstützung für die Bewohnerinnen und Bewohner. Wir fragen aber, wie die Menschen nach dem Brand betreut und unterstützt werden. Nach unserer Kenntnis haben zumindest bis zum Wochenende nicht einmal alle eine neue Unterkunft erhalten.

(Ksenija Bekeris SPD: Das stimmt nicht, Frau Schneider!)

Für Bewohnerinnen und Bewohner, die in der Brandnacht nicht da waren, gab es zum Beispiel keine Anlaufstelle, an die sie sich wenden konnten. Wir haben mit ihnen gesprochen, und es war jemand dabei, der keine Unterkunft bekommen hat, an den sich keiner gewendet hat und der völlig ratlos war, wie er zu einer Unterkunft kommt. Eine wichtige Frage betrifft die Kinder. Die Kinder der Unterkunft, die durch den Brand und den Tod ihrer Nachbarn traumatisiert sind und die jetzt über Hamburg verstreut untergebracht sind, möchten dringend weiter in ihre Schule in der Arnkielstraßegehen. Sie möchten nicht voneinander und von ihren Schulfreunden getrennt werden, sondern den Schrecken gemeinsam und in ihrem gewohnten Umfeld aufarbeiten. Die Schule und die Eltern unterstützen das. Die Eltern der Schülerinnen und Schüler in der Arnkielstraße engagieren sich für einen Fahrdienst, aber die Schulbehörde ist gefragt. Hamburg schuldet das den Kindern.

(Beifall bei der LINKEN)