Protest unterm Regenschirm: St. Georg demonstriert gegen Investoren-Willkür und Mietenwahnsinn

Das war eine tolle Demonstration am gestrigen Abend. 850 TeilnehmerInnen (Wolfgang Rose meinte sogar, ich könne wohl von 1.000 sprechen) sind eine auch mich in dieser Dimension überraschende und begeisternde Zahl. Das war ein nachdrückliches Bekenntnis für den Erhalt unserer Stadtteil-Buchhandlung Wohlers, eine deutliche Positionierung gegen die SpekulantInnen, namentlich Frank Jendrusch, und zugleich auch eine harsche Kritik am galoppierenden Mietenwahnsinn, an Verdrängung und Gentrifizierung in St. Georg und darüber hinaus in der ganzen Stadt. Das war ein Signal für eine andere Stadt(teil)entwicklung, für ein Recht auf Stadt für alle, in der den so genannten InvestorInnen und ImmobilienhändlerInnen die Schranken gewiesen werden.

Entschuldigen möchte ich mich dafür, dass die überraschend große Resonanz die technischen Möglichkeiten der Verstärkung gnadenlos überfordert hat, so dass viele in den „hinteren Reihen“ nur wenig von den erfreulich kurzen und prägnanten Ansprachen auf der Langen Reihe und später auf dem Hansaplatz mitbekommen haben dürften. Entschuldigen möchte ich mich auch bei den vielen, die zwar hätten reden wollen, die ich aber im Interesse einer einigermaßen pünktlich aufbrechenden Demonstratíon (bei nervendem Dauerregen) „bremsen“ musste.

Es sei noch einmal vermerkt, wer bei der Auftaktkundgebung z.T. sehr beeindruckende Worte gefunden hat:

  • Jürgen Wohlers himself, der angesichts der breiten Solidarität mit der Buchhandlung und ihren MitarbeiterInnen kaum mehr sagen konnte als für die Unterstützung zu danken und sich als bewegter St. Georger zu bekennen;
  • Ver.di-Chef Wolfgang Rose, zugleich SPD-Bürgerschaftsabgeordneter, der die Entwicklung St. Georgs zum Spekulationsobjekt kritisierte und soich für ine bundesgesetzliche Regelung zur Deckelung von Kleingewerbemieten aussprach
  • die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft, Heike Sudmann, die an das langjährige Ringen der St. GeorgerInnen gegen Aufwertung und Verdrängung erinnerte und die Parole „Ohne Mix is nix!“ auch auf die kleinen Gewerbetreibenden bezog und ebenfalls einen MieterInnenschutz für sie einforderte;
  • Antje Schellner, die als betroffene St. Georgerin von ihrem Kind erzählte, das seine beiden Lieblingsgeschäfte auf der Langen Reihe – den Hobby- und Spielzeugladen Schellhaß (er muss wegen einer massiven Mieterhöhung zum 30. Juni weichen) und die Buchhandlung Wohlers (sie wird angesichts der Mieterhöhung von 1.400 auf 4.100 Euro zum Ende des Jahres aufgeben müssen) – untergehen sieht und die ängstliche Frage stellt, wie es denn mit dem eigenen Wohnen weiter geht
  • Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke, regelmäßiger Kunde der Buch-
    handlung Wohlers, der sich nachdrücklich gegen die langweilige Ummodelung der Langen Reihe zu einer austauschbaren Straße des Konsums äußerte
  • Peggy Parnass, die die liebenswerten MitarbeiterInnen der Buchhandlung würdigte und sich an den versammelten „vielen tollen Menschen“ erfreute
  • Jonas Füllner, Akteur des Netzwerks Recht auf Stadt und des Büdnisses
    gegen den Mietenwahnsinn, der sich begeistert zeigte über die Breite des Protests und für die Solidarität mit den von Verdrängung bedrohten MieterInnen und kleinen Gewerbetreibenden aussprach
  • Rolf Becker, dessen Grußwort aus fernen Gestaden von seiner Frau Sylvia Wempner verlesen wurde und der mit gewohnt scharfen Worten das Profitprinzip und die latente Zerstörung ganzer Quartiere attackierte
  • Helmut Voigtland, Vorsitzender des Bürgervereins St. Georg, der betonte, zum ersten Mal an einer Demonstration vor Ort teilzunehmen und an den Vermieter appellierte, von der Mieterhöhung Abstand zu nehmen.

Dazwischen trug der Stadtteilchor Drachengold das 1848er-Lied „Sah ein
Fürst ein Büchlein stehen“ vor, ergänzt durch zwei Strophen, die der aktuellen Bedrohung der Buchhandlung Wohlers durch die Spekulation von Immobilienhaien á la Jendrusch gewidmet waren.

Der sich nach der Auftaktkundgebung formierende Demonstrationszug hatte eine stattliche Länge, es war die mit Abstand größte Stadtteildemonstration seit vielen Jahren. Vorneweg wurden die Transparente des Einwohnervereins getragen: „Ohne Mix is nix!“ und „Das Geld kommt, der Geist geht“. Weitere, kurzfristig hergestellte Sandwiches und kleine Solidaritäts-Transparente wurden im Zug mitgetragen. Fehl am Platze – trotz aller Kritik am Polizeieinsatz gegen die AntifaschistInnen am vergangenen Wochenende – war allerdings die Losung „Bullen verpisst Euch“.

Die Abschlusskundgebung auf dem Hansaplatz – direkt vor dem Büro von Jendrusch-Immobilien – ist zu einem kleinen, augenzwinkernden Happening geraten. Der Eröffnung durch den nochmaligen Vortrag des Drachengold-Liedes (dieses Mal stimmten schon – dank verteilter Liedtexte – ein paar mehr ein) folgte eine kleine „Teufelsausstreibung“ – durch das „wegwerfende“ Winken mit Büchern (und Schuhen?) und eine Minute anhaltende Pfeifen in Richtung des Büros des feinen Immobilisten. Danach legten etliche TeilnehmerInnen ausgemusterte Bücher mit verschiedensten Sprüchen vor dem Gebäude ab, z.B. ein Werk mit diesem per Filzer aufgetragenen Motto: „Die Jendruschs können gehen, Wohlers bleibt!“ Einige Sprüche wurden auch verlesen.

Zum Ende der Kundgebung wurde noch einmal angekündigt, den Protest so
lange fortzuführen, bis der Buchhandlung Wohlers ein faires Mietangebot
gemacht wird. Und, so die Subbotschaft der Veranstaltung, ein anderer
Umgang mit dem Stadtteil von Senat und Bezirk zugunsten der hiesigen
BewohnerInnen und der kleinen Gewerbetreibenden – gegen Mietenwahnsinn, Gentrifizierung und Verdrängung – eingeleitet wird.

Ich will noch einmal aufmerksam machen und dafür werben, am kommenden Samstag, den 9. Juni, am großen Stadtteilumzug aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Einwohnervereins St. Georg von 1987 e.V. teilzunehmen. Hier besteht ein weiteres Mal die Möglichkeit, der Solidarität mit der Buchhandlung Wohlers Ausdruck zu verleihen. Der Umzug mit Sambaband, kleineren und größeren, in einem Falle sogar feuerspeienden Drachen, StelzengängerInnen, Luftballonaktion, 25-Jahres-Transparente-Show, Einweihung des August-Bebel-Parks, der Verleihung des Goldenen (Einwohnervereins-) Drachens 2012 und einigen Halts an Orten des Engagements soll die Stärken des Viertels veranschaulichen, soll Spaß machen und unterstreichen, dass wir stark und feurig sind und weiterhin für ein buntes, tolerantes und soziales St. Georg streiten. Ganz wunderbar wäre es, wenn alle Mitmachenden sich mit feuerfarbenen Farben schmücken könnten (z.B. mit einem entsprechend gefärbten Tuch) und alle verfügbaren Drachen mitbringen würden. Startpunkt ist am kommenden Samstag um 14.00 Uhr an der Repsoldstraße (gleich
neben dem Gewerkschaftshaus), Ziel um 16.30 Uhr der St. Georgs Kirchhof, wo gleich anschließend die „silberne Hochzeit“ der beiden Stadtteilpastoren begangen und das diesjährige Stadtteilfest gefeiert wird.