Für eine zukunftsweisende Schule in Zeiten von Corona

school-5058288_1920-e1598691902687-300x164 ECKPUNKTEPAPIER von Sabine Boeddinghaus und Hanno Plass, Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft (August 2020)

Wir sind der Überzeugung, dass es ein „Weiter so“ zurück in die Normalität des Schulalltags weder geben kann noch darf.

Die Corona-Krise lässt alle Probleme, die schon seit Jahren in der Schule existieren, mit vielfacher Verstärkung ins Bewusstsein treten. Bildungsungerechtigkeit, soziale Spaltung, die Koppelung von Herkunft und Schulerfolg, die unzureichende Ausstattung der Schulen; generell die eingeschränkten Möglichkeiten und Fähigkeiten von Schulen, Lehrkräften und Schulgemeinschaften, inklusive Bildung und Beschulung, individuelle Förderung und Begleitung, ganztägige Betreuung und ganztägiges Lernen auch im Sinne der Rechte der Kinder zu realisieren.

Die Antworten der Kultusminister_innen, auch in Hamburg, auf diese Krise sind erschreckend. Sie verkaufen das bisherige Schulsystem als Gegengift zu den verstärkten Problemen während der Schulschließungen plus digitalen Endgeräten für einen Teil der Schüler_innen.

Dass Schulen auch soziale Orte sind, ist unbestritten. Doch die Gesundheit der Schüler_innen, ihre individuellen Lernzuwächse und ihr Wohlbefinden sind kein Gegenstand schulpolitischer Planungen. Das einzige Konzept heißt derzeit: Unterricht nach Stundentafel in voller Klassenstärke. Das ist weder inspiriert noch rückgebunden an die Konzepte und Erfahrungen der Schulgemeinschaften aus der Schließungszeit oder gar über den trostlosen Status Quo hinaus. Darüber hinaus zu denken und zu konzipieren ist aus zwei Gründen jedoch notwendig:

  • Weil auch das Hamburger Schulgesetz an die UN-Konventionen über die Rechte von Kindern und die Rechte von Behinderten angepasst werden muss. Hierzu hat die Fraktion DIE LINKE einen entsprechenden Gesetzesentwurf zur Diskussion vorgelegt (mehr dazu).
  • Weil die Pandemie aktuell noch nicht überwunden ist und Schulen jederzeit mit neuen (Teil-)Schließungen rechnen müssen; weltweit findet der gesamte Bildungsbetrieb unter dem Damoklesschwert der Coronainfektionen statt. Darauf müssen Kultusministerien auch konzeptuell reagieren. Das Arbeitsblatt aus dem Unterricht per E-Mail zu versenden und an einem Tablet ausfüllen zu lassen, ist damit nicht gemeint.

Die folgenden Punkte sollten als Richtschnur gelten, um einem möglichen Konzept für schulische Bildung in Corona-Zeiten als Rahmen zu dienen:

  1. Nach wie vor steht das Recht auf Bildung der jungen Menschen an erster Stelle. Derzeit tritt der Gesundheitsschutz der an Bildung Beteiligten an dessen Seite. Beides muss nun zusammen gedacht und konzipiert werden. Dafür bedarf es der Auswertung und Kenntnisnahme einer Vielzahl zum Teil auch gegensätzlicher wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Gefahr der Infektion und entsprechender Eindämmungs- und Bekämpfungsstrategien sowie einer ausdrücklichen Teststrategie für Schüler_innen und schulische Beschäftigte.
  2. Kleine Lerngruppen mit festen Bezugslehrkräften haben sich international als wirksames Mittel erwiesen, um Bildung in Schule auch unter Pandemiebedingungen zu ermöglichen. Abstandsgebote, gestaffelte Pausen, variabler Unterrichtsbeginn, Verteilung des Lernstoffs auf den ganzen Tag und Projektarbeit gehören ebenso aufgenommen wie die Entschlackung der Lehr- und Bildungspläne, eine Auslagerung auf außerschulische Lernorte (etwa Museen, Theater, Grüne Schuten etc. – auch um den verkleinerten Klassen Räume zu verschaffen) und ein Unterricht, der die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen aufgreift (da diese nicht weniger als Erwachsene von der derzeitigen Lage betroffen sind). Dafür braucht es Spielräume in den Bildungsplänen und Curricula und dazu muss der Leistungsdruck aus der Bildung genommen werden.
    Kleine Lerngruppen böten zudem die Möglichkeit, dass eine Individualisierung der Lerninhalte besser gelingt. Auch würden sie eine Übertragung von Inhalten des Präsenzunterrichts auf den Fernunterricht erleichtern, da es für die Lehrkräfte weniger oft doppelte Arbeit bedeuten würde.
    Die Ausstattung mit Tablets und WLAN für alle Kinder ist für uns Teil der Lernmittelfreiheit.
  3. Schule kann ein Ort offener Bildung werden, in dem sich durch die Lösung vom starren Modell des Unterrichts nach Stundentafel im Klassenraum Möglichkeiten für kreativ-gestalterischen Unterricht ergeben. Dazu könnten die Fähigkeiten anderer, außerschulischer Professionen – vom Handwerk zu den Künsten – einbezogen werden, sofern der Gesundheitsschutz beachtet werden kann. Wichtig wäre auch hier, die Erfahrungen und Konzepte der Schulgemeinschaften aus der Schließungszeit aufzugreifen und positive Beispiele weiterzuentwickeln bzw. Schulgemeinschaften zu befähigen, an diese positiven Beispiele anzuknüpfen. Teil eines offenen Modells sollte wo immer möglich Unterricht in einem Hybridmodell sein, also teils in der Schule, teils vor und mit dem Computer.
    Offene Lernkonzepte, die den Druck aus nationalen wie internationalen Leistungsvergleichen nehmen, würden nicht nur Schüler_innen, sondern auch Lehrkräften größere Spielräume bei der Unterrichtsgestaltung einräumen.
  4. Die Beteiligung der Schulgemeinschaften an den Entscheidungen über den schwierigen Prozess der Schulöffnungen und über die Unterrichtsgestaltung ist notwendig, um die Herausforderungen der Pandemie zu meistern und die Verantwortung gemeinsam zu schultern. Regionale Bildungskonferenzen würden lokale Plattformen bieten, vor Ort die Schulöffnungen mit ihren Problemen und Unsicherheiten zu planen und zu reflektieren. Als verantwortliche Stelle leitet und begleitet die Schulbehörde die Schulen und den Öffnungsprozess. Die behördliche Steuerung muss in einem Rahmen und einer Weise erfolgen, die gerade in dieser belasteten Lage Vertrauen schafft und Unsicherheiten nimmt. Gegenseitiger Respekt und gegenseitige Wertschätzung sollten das Fundament für eine gemeinsame Entscheidungsfindung sein, die von Kritik und Selbstkritik bestimmt ist. Auch hier ist es, genauso wie im konkreten Schulalltag, fundamental, den Druck auf die Institutionen zu mindern, damit schulische Bildung, die sich an den Rechten und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert, im Einklang mit den Anforderungen des Gesundheitsschutzes aller gelingen kann.

Wir wollen betonen, dass schulische Bildung besonders durch die Bindung von Lehrkräften an ihre Schüler_innen gelingt. Diese Bindung ist die Grundlage für die Aneignung von Lerninhalten durch die Schüler_innen. Sie müssen ernst genommen und in den Bildungsprozess eingebunden werden. Sozial belastete Elternhäuser müssen für den digitalen Unterricht ausgestattet werden – mit Endgeräten und Infrastruktur. Die einzelnen Schulen müssen ermächtigt werden, im Falle von Corona-Verdachtsfällen im Sinne der Eindämmung und des Infektionsschutzes zu handeln.

Der Leistungsdruck muss aus den Schulen genommen werden. Dieser sorgt für einen eindimensionalen, starren Unterricht, der in keiner Weise geeignet ist, Gesundheitsschutz und Bildungsgerechtigkeit miteinander zu verbinden. Was wir brauchen, sind offene, an den Kindern und Jugendlichen orientierte Bildungskonzepte.

(Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf weiteres Material: GEW-Hamburg-Eckpunkte, Offener Brief Sichere Bildung für Hamburg; Grundschulverband; Bundesministerium für Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz und weitere Empfehlungen und Handreichungen.)