Pflege am Boden: Strategien gegen den Pflegenotstand in Krankenhäusern

von Anna Rinne, Fachreferentin für Gesundheit, Pflege, Senior_innen und Inklusion

Der folgende Bericht ist im August 2016 im „Mittenmang“ erschienen.

Etwa 50 Personen nahmen am 09. Juli an dem von der DIE LINKE-Bürgerschaftsfraktion organisierten Konferenz „Pflege am Boden? Richtungswechsel. Strategien gegen den Pflegenotstand in den Krankenhäusern“ im Hamburger Rathaus teil.

Chronischer Personalmangel, Arbeitsverdichtung und Stresssituationen gehören zum Alltag in den Krankenhäusern. Der Pflegenotstand ist allgegenwärtig: Immer weniger Pflegekräfte müssen immer mehr Patientinnen und Patienten versorgen. Pflege im Minutentakt gefährdet die Sicherheit der Patientinnen und Patienten sowie die Gesundheit der Pflegekräfte. Es kommt immer häufiger zu Verstößen gegen das Arbeitsschutzgesetz und Hygienerichtlinien. Allein in Hamburg fehlen nach Angaben der Gewerkschaft ver.di 4.000 Pflegekräfte, in ganz Deutschland sind es 70.000. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen – bedingt u.a. durch die Einführung von Fallpauschalen (DRG) – in der zunehmenden Profitorientierung in der Krankenhausversorgung. In den letzten Jahrzehnten wurden Krankenhäuser zu Unternehmen umgebaut, viele, wie auch hier in Hamburg, privatisiert. Diese kapitalistischen Logiken verhindern, dass Kliniken ausreichend Personal beschäftigen und gut bezahlen, wie es für eine gute Versorgung erforderlich ist. Zur Überwindung des Pflegenotstands ist mehr Personal und verbindliche Personalbemessung notwendig. Die Erfahrungen in der Berliner Charité zeigen, dass es möglich ist, durch Arbeitskämpfe und Bündnisarbeit erfolgreiche Veränderungen zu erzielen. Erstmals in der Tarifgeschichte hat die Streikbewegung eine Tarifvereinbarung erkämpft, die verbindliche Mindestbesetzungen auf den Stationen festlegt.

Privatisierung der Krankenhäuser ist undemokratisch

Einleitend sprach Deniz Celik, der gesundheitspolitische Sprecher der DIE LINKE-Bürgerschaftsfraktion, von der Notwendigkeit einer politischen Streikbewegung für eine Mindestpersonalbemessung in den Krankenhäusern, wie einst für die Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Privatisierung der Krankenhäuser gegen den Willen der Hamburgerinnen und Hamburger war falsch und undemokratisch. Krankenhäuser gehören in die öffentliche Hand und das System der Fallpauschalen abgeschafft. Profitorientierung geht auf Kosten der Gesundheit. „Wir wollen die neoliberale Politik im Gesundheitswesen zu Fall bringen!“, kündigte Celik an. Olaf Harms, der ver.di-Landesbezirksvorsitzende Hamburg, unterstützte in seinem Grußwort die Forderung von Celik, dass Krankenhäuser in die öffentliche Hand müssten damit die Versorgung aller Menschen unabhängig vom Geldbeutel gewährleistet werde.

Die anschließenden Eröffnungsreden beleuchteten die Ursachen des Pflegenotstands und zeigten auch einen Ausweg auf. Dr. Nadja Rakowitz vom Verband demokratischer Ärztinnen und Ärzte (vdää) kritisierte das Fallpauschalen-System (DRG) als Hebel zur Ökonomisierung der Krankenhäuser. Vermittels der Fallpauschalen werden Patient*innen zu einem Mittel der Profitsteigerung, wenn ihre Erkrankung für das Krankenhaus denn profitabel sei. In der Folge explodieren die Operationszahlen, da es für diese hohe Fallpauschalen gäbe. Nils Böhlke, Politikwissenschaftler und Gewerkschaftssekretär von ver.di NRW, sprach anschließend über die zunehmende Privatisierung der Krankenhäuser. Nirgendwo anders in Deutschland gäbe es so viele privatisierte Krankenhausbetten wie in Hamburg.

Mehr Druck durch Streiks aufbauen

Axel Hopfmann, Gesundheitsaktivist, wies nach Böhlke in seinem Beitrag darauf hin, dass in Deutschland knapp 20.000 Menschen jährlich durch vermeidbare Fehler in Krankenhäusern sterben, was 5 Mal mehr Menschen seien als im Straßenverkehr. 5% aller Patient*innen erleiden vermeidbare unerwünschte Ereignisse mit einer Schädigung, bspw. Lungenentzündung oder Harnweginfektionen. Klar sei der Zusammenhang mit der mangelnden Pflegepersonalausstattung und der Profitorientierung. Während immer mehr Menschen in Krankenhäusern behandelt werden, sinke die Verweildauer der Patient*innen und immer mehr Personal werde abgebaut. Jan Latza vom Bündnis BerlinerInnen für mehr Personal im Krankenhaus sprach danach über mögliche Strategien einer Durchsetzung einer gesetzlichen Personalbemessung. Bislang seien Strategien, die Bundesregierung vmittels öffentlichem Druck zu einer Kehrtwende zu bewegen, trotz großer Mobilisierungen von ver.di bisher nicht erfolgreich gewesen. Demzufolge könne und müsse verstärkt auf den Druck durch Streiks gesetzt werden, wie es die Charité in Berlin bereits erfolgreich umgesetzt habe. Mit Streiks könne Druck auf die Arbeitgeber*innen ausgeübt werden, aber auch der Pflegenotstand in der Öffentlichkeit mehr zum Thema werden, was wiederum Druck auf die Bundesregierung ausübe.

Erfahrungen aus Warnstreiks

Anschließend wurden die vorgestellten Themen mit Workshops vertieft. Ein Workshop beschäftigte sich mit dem Kampf um Tarife für mehr Personal, den Erfahrungen aus den verschiedenen Bundesländern dazu und der Bündnisbildung. Grit Wolf aus der ver.di-Betriebsgruppe der Charité schilderte, wie sich aus den Auseinandersetzungen an der Charité ein Kreis von Kernaktiven herausgebildet habe und schließlich Tarifberater*innen-Strukturen als stationsgestützte, demokratische Delegiertenebene entstanden seien. Während zu den ersten Treffen nur unter zehn Personen da waren, gab es während des Warnstreiks 70 Tarifberater*innen, die die Arbeit der Tarifkommission begleiteten und die nächsten Schritte diskutierten. Win Windisch, Gewerkschaftssekretär von ver.di im Saarland, berichtete von den Vorbereitungen auf einen Pflegestreik Saar. Auch dort werde systematisch eine Tarifberater*innen-Struktur aufgebaut. Mit Telefonaktionen wurden alle ver.di-Mitglieder in den Krankenhäusern angerufen, womit 350 Tarifberater*innen gewonnen werden konnten. Mit Unterstützung des DGB Saarland konnte ein breites Unterstützer*innen-Bündnis aufgebaut werden. Im Herbst 2016 gäbe es eine Urabstimmung über weitere Aktionen und auch Streikaktionen für 2017 würden ins Auge gefasst. Meike Saerbeck, ver.di-Aktive aus Hamburg, berichtete, wie aus einem Warnstreiktag im April erfolgreich eine Tarifberater*innen-Struktur entstehen konnte. Als nächster Schritt solle eine Notdienstvereinbarung als zentrale Voraussetzung für umfassende Streikmaßnahmen durchgesetzt werden.

Solidarisch für gute Arbeitsbedingungen eintreten

In dem anderen Workshop zu Fallpauschalen, Kostendruck, Privatisierung, Pflegenostand in den Krankenhäusern und einer Bündnisbildung dazu, berichtete Jan Schalauske vom Aktionsbündnis Gemeinsam für unser Klinikum über sein Engagement 50.000 Unterschriften gegen die Folgen der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, d.h. gegen Stellenabbau, für bessere Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und gute Patient*innenversorgung 2012/13 gesammelt zu haben und eine Petition zur Rückführung des UKGM an den hessischen Landtag übergeben zu haben. Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg e.V., Patient*innenvertreter, sprach über Erfahrungsberichte von Patient*innen in privatisierten Krankenhäusern und die Frage der Mobilisierung von Patient*innen für ihre eigenen Interessen. Dr. Nadja Rakowitz ging noch einmal auf die Wichtigkeit ein, die DRGs abzuschaffen als Voraussetzung für eine solidarische, gute Arbeitsbedingungen und Patient*innensicherheit gewährleistende Krankenhausfinanzierung/-versorgung. Nils Böhlke sprach über seine Erfahrungen als Gewerkschafter bezüglich der Kämpfe gegen die Privatisierung der Krankenhäuser in Hamburg. Der Workshop kam zu dem Ergebnis, dass alleinig parlamentarisches Wirken nicht ausreiche, um einen Richtungswechsel bezüglich Rekommunalisierung der Krankenhäuser oder Abschaffung der DRGs zu erwirken, weil hier die Mehrheitsverhältnisse andere sind. Es gehe nur mit dem Druck der Öffentlichkeit. Es gab etwa einen sehr erfolgreichen Volksentscheid von 2004, der sich gegen den Verkauf des LBK aussprach, der von 76,78 % aller Hamburger*innen getragen wurde. Zudem wurde ein Generalstreik in Hamburger privatisierten Krankenhäusern diskutiert, um so politische Mehrheiten in der Bürgerschaft durch Arbeitskämpfe zu umgehen. Einig war man sich, dass noch in Sachen Sensibilisierung dieses Themas und Mobilisierung viel getan werden müsse in der Bevölkerung und bei den Beschäftigten.

Insgesamt war die Konferenz ein gutes Forum zum Austausch über Analysen, Erfahrungen und Strategien, und ein weiterer kleiner Schritt bei dem großen Versuch, in einem breiten Bündnis über eine Personalbemessung die neoliberale Profitlogik zu brechen und wichtige Grundlagen zur Rekommunalisierung von Krankenhäusern zu schaffen, um dem neoliberalen Gesundheitswesen eine Absage zu erteilen und dies zu Fall zu bringen.