Von wegen „Olympia-Reform“: Zum Host-City-Contract für Hamburg

(von Mehmet Yildiz und Özgür Yildiz)

‚Agenda 2020‘ heißt das Reformpaket, mit dem das Internationale Olympische Komitee (IOC) sein Image aufpolieren will. Doch ein Blick auf den neuen Host-City-Contract zeigt: Geändert hat sich wenig. Massive Kosten für die Stadt, Einschränkung der Bürgerrechte – das IOC legt erneut einen Knebelvertrag vor.

Geht es nach dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Thomas Bach, ist der Olympischen Bewegung ein ganz großer Coup gelungen. Bachs Reform, die sogenannte „Agenda 2020“ soll die Trendwende bringen. Zu teuer, zu gigantisch, zu intransparent waren die Olympischen Spiele geworden, zu oft musste die Olympische Familie herbe Niederlagen einfahren, weil die Bevölkerung einer Ausrichtung der Spiele eine Absage erteilt hat. „Es ist hier viel offensichtlicher geworden, wie weitreichend die Agenda 2020 ist“1, beschrieb Bach die Tragweite dieser Reform.

Gesamtschnuldnerische Haftung

Ein genauer Blick auf den für Hamburg gültigen Host-City-Contract (der Gatgebervertrag zwischen Stadt und IOC, kurz „HCC“) indes bietet aber kaum Änderungen der bisherigen Praxis, Gastgeberstädten Knebelverträge vorzulegen. Ein Blick in das Hauptvertragswerk, die „HCC Principles“, bringt Erstaunliches zutage: So heißt es im Absatz „Gesamtschuldnerische Haftung der Gastgeberstadt“, dass „die Gastgeberstadt, das gastgebende NOK (Nationales Olympisches Komitee) und das OCOG (Organisationskomitee) gesamtschuldnerisch für alle ihre Verpflichtungen, Garantien, Zusicherungen und andere Verbindlichkeiten […] unabhängig davon, ob sie einzeln oder gemeinsam eingegangen sind, haften.“2 Es überrascht wenig, dass im gleichen Atemzug das NOK von finanziellen Verpflichtungen ausgenommen wird, gehört der deutsche Vertreter der Olympischen Familie – der DOSB – doch zur Olympischen Gesamtfamilie. Die Gesamthaftung trifft auch dann noch zu, wenn die Einnahmen z.B. aus dem sogenannten Durchführungsbudget („sog. OCOG-Budget“, also der Posten, der unmittelbar für die Durchführung der Spiele benötigt wird) nicht ausreichen, um die von Hamburg kalkulierten Durchführungskosten in Höhe von 3,4 Milliarden zu decken. Sollten die Ausgaben die Einnahmen, z.B. aus dem Ticketverkauf, übersteigen, haftet wieder die Stadt. Damit alle Garantien in vollem Umfang zur Zufriedenheit des IOC eintreten, muss „die Gastgeberstadt, das gastgebende NOK und das OCOG […] sicherstellen, dass alle Behörden des Gastgeberlandes Zusagen, Garantien und Verpflichungen […] beachten und durchsetzen.“3 Ob es Angela Merkel gefallen wird, wenn die Hamburger Senatskanzlei ihr prüfend auf die Finger schaut, bleibt abzuwarten.

Beitrag des IOC: Nichts Neues im Westen

Keine wesentlichen Änderungen beinhaltet auch der finanzielle Beitrag des IOC zu den Durchführungskosten der Spiele (und auch nur hierfür!). Zwar wird – anders als bei vorherigen Spielen – schon während der Bewerbungsphase eine feste Summe vom IOC zugesagt1 (2024: ca. 1,2 Mrd. EUR von kalkulierten 3,395 Mrd. an Kosten), doch ändert es nichts an der bisherigen Praxis, die Budgets so aufzuteilen, dass der Löwenanteil u.a. für den Bau der Sportstätten, der Sicherheit oder der allgemeinen Infrastruktur nach wie vor von der öffentlichen Hand bezahlt werden muss (Senatskalkulation hierfür: 8,951 Mrd.). Noch immer unterscheidet das IOC im HCC zwischen zwei Budgets: Dem OCOG-Budget (Durchführungsbudget) und dem NON-OCOG-Budget (Infrastrukturbudget). Hinzu kommt der dritte große Topf, die sogenannten „nicht-olympiabedingten Kosten“ z.B. für die Räumung und Herrichtung des Kleinen Grasbrook, eine mögliche U-Bahnhaltestelle oder der Umbau des Olympischen Dorfes in (mögliche) Wohnungen. Dieser Posten existiert für den IOC offiziell aber gar nicht, obwohl alle bisherigen Ausrichterstädte allein hier zweistellige Milliardensummen ausgeben mussten. Nach wie vor gilt beim IOC die Devise: Olympiastadien oder Olympisches Dorf haben nichts mit Olympischen Spielen zu tun – selbst wenn der Zentralbau Olympiastadion wie in Hamburg gar nicht erst vorhanden ist. Deshalb werden sie als „Sowieso-Kosten“ bezeichnet und somit mit keinem Cent bezuschusst.

Massive Sicherheitskosten und Einschränkung der Bürger/innen-Rechte

Gleiches gilt auch für die Sicherheit: Sie müssen komplett und mit hohem Aufwand von den SteuerzahlerInnen getragen werden.5 Gleichzeitig muss Hamburg unterschreiben, dass „in der Gastgeberstadt selbst, in ihrer Nachbarschaft oder in Städten, die andere Wettkampfstätten beherbergen oder in der Nachbarschaft (!) ohne die vorherige Zustimmung des IOC keine öffentliche oder private Großveranstaltung, Konferenz oder andere Versammlung stattfinden wird, die Auswirkungen auf die erfolgreiche Planung, Organisation, Finanzierung der Spiele oder deren Wahrnehmung […] haben könnte.“6 Diese Passage bietet erheblichen Interpretationsspielraum. Was gilt als Großveranstaltung oder Versammlung? Hat eine Demonstration gegen die korrupten Gebahren der Sportfunktionäre bereits eine negative Auswirkung auf die Wahrnehmung der Olympischen Spiele und wird somit verboten? Hier werden elementare Grundrechte in die Hände eines Weltsportverbandes gelegt, der jegliche demokratische Grundlage vermissen lässt.

Hintergrundinformationen und eine Zusammenfassung der wichtigsten Argumente gegen Olympia 2024 gibt es hier.  Und das IOC geht sogar noch weiter: Ohne die vorherige Zustimmung des IOC dürfen weder Verhandlungen mit nationalen, internationalen oder regionalen (nicht)staatlichen Organisationen oder mit anderen Staaten geführt werden, die irgendeine Verbindung zu den Spielen haben. Sprich: Ohne Erlaubnis des IOC darf der Senat weder mit dem Deutschen Roten Kreuz, Umweltverbänden oder Gewerkschaften über die Grundlagen medizinischer Hilfe, Umwelt- oder Arbeitssrechtstandarts vor oder während der Spiele reden. Dies erinnert stark an Montreal 1972, als streikende Arbeiter gerichtlich gezwungen wurden, die Olympiabauten rechtzeitig fertigzustellen. Gleichzeitig ist es dem Staat nicht einmal erlaubt, ohne die Erlaubnis des IOC „Einladungen oder Akkreditierungen ausländischer staatlicher oder politischer Persönlichkeiten“ für die Spiele auszusprechen.7 Will heißen: Möchte Bürgermeister Olaf Scholz oder Bundeskanzlerin Merkel einen Staatsgast einladen, muss er oder sie sich das vom IOC erst genehmigen lassen. Dass eine demokratisch gewählte Regierung sich von einem Weltverband, der vornehmlich aus ernannten Aristokraten und Multimillionären besteht, die Erlaubnis für staatliches Handeln einholen muss, ist ein juristischer und politischer Super-GAU. Hier wird Landesverfassung und Grundgesetz weitgehend ausgehebelt.

Steuerbefreiung und Lobbyismus für Sponsoren

Wie auch in vorherigen HCC’s verlangt das IOC weitgehende Steuerbefreiungen und –erleichterungen für sich und seine Sponsoren. So heißt es im Absatz „Steuern“, dass die Parteien darin übereinstimmen, „dass es […] notwendig sein wird, mit den zuständigen Behörden des Gastgeberlandes zusammenzuarbeiten, sodass die Steuergesetzgebung des Gastgeberlandes in einer Weise umgesetzt und angewendet wird, welche die Verwirklichung der Ziele und Ergebnisse […] garantiert, um einer erfolgreichen Planung, Organisation, Finanzierung und Durchführung der Spiele im Einklang mit diesem HCC zu helfen.“8 Gleichzeitig „werden das IOC, jede vom IOC kontrollierte Einrichtung […] von allen direkten oder indirekten Steuern […] freigestellt.“9 Was für den IOC selbst gilt, soll auch im Rahmen weitreichender Garantien für ihre Top-Sponsoren wie Coca-Cola, Visa oder McDonalds und ihre Mitarbeiter gelten.10 Insgesamt liest sich der Absatz wie eine detaillierte Anleitung zur Steuerhinterziehung – und das mit Hilfe des Staates. Gleichzeitig behält sich das IOC vor, garantierte Zahlungen an die Stadt teilweise einzubehalten, um Stadt und OCOG an die Kandare zu nehmen. Nur bei der Zufriedenstellung wird der einbehaltene Betrag nach Gutsherrenart tatsächlich geleistet11

Reformlüge, Sittenwidrigkeit und unkalkulierbare Gefahren

Was großspurig von Senat und Olympischer Familie als großer Reformsprung propagiert wird, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Reformlüge. In wesentlichen Bereichen hat sich tatsächlich nichts geändert. Der „Hamburger HCC“ reiht sich in die Riege vorangegangener HCC’s und bleibt somit ein Knebelvertrag, der die Risiken einseitig an die Stadt delegiert, während die Profite von IOC und Top-Sponsoren eingestrichen werden. Zu Recht verwies der Vizepräsident des Rechnungshofes im Ausschuss darauf hin, dass „trotz der hier und da weichen Formulierung keine wesentliche Abweichung zu dem Vorgängermodell gefunden“ wurde.12 Dies ist dem Senat bewusst. Statt hier aber die Reißleine zu ziehen, versucht er, die Zahlen transparent darzustellen. Allerdings sind weite Kostenpunkte noch immer „geschönt“ und erinnern mehr an einen Blick in die Glaskugel, bspw. bei den Kosten für zentrale Sportstätten oder die Sicherheit. Dass der Senat mit Gesamtkosten von knapp 12 Milliarden Euro rechnet, ist angesichts der Kostenexplosionen, die bisher bei jeder Olympiade eingetreten sind, lediglich eine Kennzahl. Eine Verdopplung ist vor dem Hintergrund des langen Planungszeitraumes bis 2024 weiter nicht unwahrscheinlich und würde bei gleichzeitiger Deckelung durch die Schuldenbremse einen finanziellen Kollaps auslösen. Selbst wenn weite Teile der Belastung–wie erste Anzeichen bereits hindeuten- auf sogenannte „Schattenhaushalte“ abgewälzt bzw. durch den Verkauf städtischer Flächen „eingespielt“ werden sollen, birgt dieses Mega-Event Sprengstoff für den sozialen Frieden in der Stadt.

Obwohl Scholz die „reinen Kosten“ für Hamburg auf 1,2 Milliarden Euro gedeckelt hat, gibt es bis jetzt immer noch keine feste Zusage vom Bund über die Kostenübernahme. Die Ankündigung, alle Zahlen bis zum Referendum am 29.11. offenzulegen, hat sich angesichts dessen als Lüge erwiesen. Vielmehr sollen die Verhandlungen mit dem Bund bis spätestens Februar 2016 abgeschlossen sein. Damit werden die Hamburgerinnen und Hamburger beim Referendum über die Kosten im Dunkeln gelassen. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieses gefährliche Mega-Projekt möglichst früh gestoppt wird, damit die Steuerzahler/innen für 16 Tage 16 Jahre nicht bluten müssen.

1 Reformer Thomas Bach krempelt IOC um. Mittelbayrische Zeitung, 3. August 2015

2 Host-City-Contract – Principles Ziffer 4.1.

3 Ebd. Ziffer 5.2.

4 Ziffer 7.

5 Ziffer 17.

6 Ziffer 14a.

7 Ziffer 14 c. und d.

8 Ziffer 22.1.

9 Ziffer 22.3.

10Ziffer 22.5.

11 II. Beitrag des IOC zum Erfolg der Spiele, Ziffern 8-10

12 Wortprotokoll der öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Sport und Olympia am 9.10.2015, S. 10