Sabine Boeddinghaus
15.05.2015 Deutschland DEU Hamburg - Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Buergerschaft - Sabine Boeddinghaus [ copyright (c) Karin Desmarowitz ,
Karin Desmarowitz

„Wir wollen für ein sozialeres Hamburg investieren!“

Rede von Sabine BoeddinghausVorsitzende der Fraktion DIE LINKE, in der Generaldebatte der Hamburgischen Bürgerschaft zum Doppelhaushalt 2017/18

Eines muss man dem Bürgermeister neidlos zugestehen: Er ist in seiner Politik konsequent – allerdings konsequent unsozial! Bereits in seiner Regierungserklärung brachte er das Kunststück fertig, in einer geschlagenen Stunde kein einziges Wort über die zunehmende soziale Spaltung in unserer Stadt zu verlieren, geschweige denn ein Konzept zu präsentieren, wie der Senat dieser besorgniserregenden Entwicklung gedenkt entgegen wirken zu wollen.

Seitdem ist dem ehemals rein roten Senat ein kleiner grüner Appendix gewachsen. Aber die Grünen leiden leider an  Totalamnesie. Beklagten sie, damals noch in der Opposition, in ihren letzten Haushaltsanträgen selbst noch die sozial ungerechte SPD-Politik und Unterfinanzierung der sozialen Infrastruktur, agieren sie heute frei nach dem Motto „was stört mich mein Geschwätz von gestern“.

Konsequent also die SPD, schmerz- und erinnerungsbefreit die Grünen – so sind wir nun mit dem rot-grünen Doppelhaushalt für die Jahre 2017/18 konfrontiert, der aus unserer Sicht keinerlei Gestaltungswillen zeigt, an den Realitäten und Lebenswirklichkeiten vieler Hamburger_innen nach wie vor vorbei sieht, der unsozial, intransparent, einfalls- und perspektivlos ist. Wir werden ihn ablehnen, weil er keine konsistenten Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen in unserer Stadt gibt. Statt mehr zu investieren, hält der Senat an der Logik der Schuldenbremse, festgeschrieben in der Hamburgischen Verfassung, fest und verschärft die Wirkung dieses Instrumentes zusätzlich noch durch starre Ausgabenobergrenzen in einem Finanzrahmengesetz.

Wir erwarten endlich ein Umdenken, dass nämlich zusätzliche Ressourcen in die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, beim bezahlbarem Wohnen, der Gesundheit-, Pflege- und Energieversorgung, bei geförderten Arbeits- und Ausbildungsplätzen, bei Betreuung, Bildung, Studium und der sozialen und kulturellen Infrastruktur gut angelegte Investitionen in die Zukunft der Hamburgerinnen und Hamburger sind und zur Verbesserung ihres Lebens nachhaltig beitragen.

Investitionen sind bitter nötig – und sie zahlen sich aus

Diese Investitionen würden sich selbstverständlich auch durch steigende Kauf- und Wirtschaftskraft zigfach wieder auszahlen und Folgekosten auf Grund nicht geleisteter präventiver Arbeit würden sich deutlich minimieren.

Und diese Investitionen sind dringend erforderlich und bitter nötig, weil sich die Realität in Hamburg nicht in der Elbphilharmonie oder in der Handelskammer abspielt. Da der Senat die soziale Wirklichkeit in Hamburg partout nicht zur Kenntnis nehmen möchte, hier noch einmal einige Hinweise: Die Zahl der Menschen, die auf Transferleistungen angewiesen sind, steigt stetig. Hamburg liegt hier mittlerweile nach Bremen und Berlin auf dem dritten Platz. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen wächst und bezogen auf die Zahl der Grundsicherungsempfänger_innen ist Hamburg die Hauptstadt der Altersarmut. Darüber hinaus leben mittlerweile 50.000 Kinder im Sozialgeldbezug. Und gerade haben wir herausgearbeitet, dass 2015  durchschnittlich 34.500 Hamburger_innen ihr Erwerbseinkommen mit Hartz IV aufstocken mussten. Tatsächlich sind 350.000 Hamburgerinnen und Hamburger arm. Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander und
die Startbedingungen für Kinder und Jugendliche können gemessen an ihrem jeweiligen Wohnort nicht ungerechter sein.

Angesichts dieser Analyse ist die Logik der Politik der Schwarzen Null fatal und birgt jede Menge an sozialem Zündstoff. Denn der Senat versündigt sich durch die Fokussierung auf eine gedeckelte Ausgabenobergrenze an der heutigen und den nachfolgenden Generationen, weil die Schuldenbremse wie eine Entwicklungsbremse wirkt.

Nach wie vor unterliegt der öffentliche Dienst massiven Sparvorgaben. Sowohl die Stellenplanung als auch die Sachausgaben unterliegen dem „pay as you go“-Prinzip.In vielen Bereichen steht nicht ausreichend Personal zur Erledigung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung. Personalmehrausgaben müssen im Wesentlichen in den Bereichen selbst erwirtschaftet werden, jeder Tarifabschluss rächt sich im nächsten Moment mit Personalabbau. Erst recht nicht zu rechtfertigen ist der rot-grüne Tunnelblick auf einseitige Konsolidierung angesichts historisch niedriger Zinsen und sprudelnder Steuereinnahmen. In dieser Situation lapidar auf die Ausgabenobergrenze zu pochen wird fatale Langzeitwirkungen haben.

Der Haushalt von SPD und Grünen ist verantwortungslos und zutiefst unsozial

Wir sagen, das ist das Gegenteil von guter Haushaltspolitik, es ist einfach verantwortungslos und zutiefst unsozial. Wir haben vor geraumer Zeit zu einer öffentlichen Anhörung zum vorgelegten Haushalt eingeladen und viele Einrichtungen und Verbände aus sozialen und kulturellen Zusammenhängen, aus den Bereichen der Bildung und Betreuung, der Hochschule, aus Gewerkschaften und Jugendverbänden sind gekommen. Sie haben ein eindrückliches Zeugnis darüber abgelegt, wie verheerend rot-grüne Politik in der Stadt wirkt.

Ein roter Faden, der alle Akteur_innen in ihren jeweiligen Arbeitszusammenhängen gleichermaßen betrifft und schwer zu schaffen macht, ist die fehlende Refinanzierung von Tarifabschlüssen und steigender Betriebskosten und die stetig anwachsenden Aufgaben ohne deren angemessene Gegenfinanzierung. Die dadurch entstehenden ganz konkreten Auswirkungen für viele Einrichtungen von Beratungsstellen über Stadtteilkulturzentren bis hin zu Jugendzentren hat ein Teilnehmer sehr eindrücklich geschildert:

Leistungskürzungen,
Einschränkungen der Sprech- und Öffnungszeiten,
Verringerung der Gruppenangebote,
Verringerung bzw. Wegfall von beratenden Unterstützungsangeboten,
Einschränkung von Vernetzungs- und Kooperationsaktivitäten,
Arbeitsverdichtung,
vermehrter Einsatz von Honorar- und 450 Euro-Kräften,
befristete Arbeitsverhältnisse,
hoher Krankenstand,
Arbeitsverdichtung,
zunehmender Stress,
vorübergehende Nichtbesetzung von Stellen und Vakanzen,
Streichung der betrieblichen zusätzlichen Altersversorgung,
Einsparung im Sachkostenbereich und
Vernachlässigung von Investitionen.

Regt sich bei dieser Aufzählung eigentlich irgendetwas bei Ihnen, was über Ihr bloßes Mantra Einhaltung der Schuldenbremse hinaus geht? Haben Sie eigentlich noch den Kontakt zu den Menschen, die unter Ihrer Politik leiden? Ihr Haushalt jedenfalls gibt darauf keinerlei Antworten, abgesehen von marginalen Spielräumen sieht er keine strukturellen Verbesserungen vor – was wirklich eine Schande ist!

Mittelvergabe nach Gutsherrnart

Sie stellen lediglich geringe Zuwächse in einigen Bereichen ein, die allenfalls für einen Inflationsausgleich reichen. Und im Übrigen betreiben Sie eine Haushaltspolitik der 1.000 Töpfe und Fonds, ein wahres Labyrinth von unterschiedlichsten Zuweisungskriterien. Wohl dem, der da noch durchblickt! Für die betroffenen Einrichtungen bedeutet dies in Wahrheit nur zusätzliche Arbeit und weiterhin eine fortdauernde Ungewissheit für die Zukunft, weil es eben keine strukturellen Zuwächse für ihre jeweiligen Budgets gibt, sondern zunehmend ein quälendes andauerndes Provisorium auf Zeit bedeutet. Aber für Sie als Abgeordnete von Rot-Grün dient diese Zuweisung nach Gutsherrenart als hübsches Profilierungsinstrument, mit dem Sie in der Vorweihnachtszeit als vermeintliche Wohltäter_innen durch Ihre Wahlkreise ziehen können. Diese Art von Politik ist kurzsichtig, borniert und ignorant! Und sie ist zudem gefährlich, weil so unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen um zu geringe Mittel konkurrieren müssen. Das ist das Gegenteil von  Fürsorgepflicht des Staates für sozialen Ausgleich in den Stadtteilen.

Sie halten indessen fest an der Ausgabenobergrenze von einem Prozent,
sie fahren die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik zurück,
sie halten am Abbau sozialer Infrastruktur fest,
sie kürzen die eh schon bescheidenen Mittel für das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung und
sie bleiben in Ihrem Haushaltsentwurf den Beweis schuldig, wie der Senat seine Verantwortung dafür übernehmen möchte, Menschen, die auf der Flucht vor Elend und Hunger, Verfolgung und Krieg hierher kommen, dauerhaft menschenwürdig unterzubringen und ihnen eine echte Lebensperspektive zu bieten.

In den Einzelplänen 3.1, 4 und 8.1. bildet sich der erhöhte Bedarf in der Planung jedenfalls nicht ab. Die entsprechende Drucksache 2550 haben Sie im Einzelplan 9.1. hinterlegt, man könnte auch sagen versteckt, und der Mittelabfluss gestaltet sich völlig intransparent und für uns Abgeordnete nicht verifizierbar. Das ist ein völlig inakzeptables politisches Agieren! Wir zeigen mit unserem Leitantrag „Investieren in ein sozialeres Hamburg“, dass ein sozial gerechter und solidarischer Haushalt für Hamburg möglich ist! Wir fordern Sie mit unseren Haushaltsanträgen zum Umsteuern auf:

Investieren Sie in Menschen und nicht in Prestigeprojekte und faule Banken!

Nur DIE LINKE geht die drängendsten sozialen Probleme in der Stadt an

In 22 Anträgen aus allen Einzelplänen mit einem Gesamtvolumen von 427 Millionen Euro für 2017 und 467 Millionen Euro für 2018 stellen wir ganz konkrete Forderungen, die reale Bedarfe in der Stadt aufnehmen. Deren Umsetzung könnte deutlich dazu beitragen, die wachsende soziale Spaltung Hamburgs wirksam schrittweise zu bekämpfen.

Um es noch einmal ausdrücklich zu sagen: Unsere Haushaltsanträge sind kein Wunschkonzert, sondern spiegeln die drängendsten sozialen Problemlagen in unserer Stadt wieder.

Konkret wollen wir unter anderem
– die regelhafte Übernahme von Tariferhöhungen
– jährlich 6.000 neue Sozialwohnungen bauen und das RISE Programm wieder aufstocken
– ein tragfähiges Konzept zur Reduzierung von Obdachlosigkeit durch eine ganzjährige Grundversorgung
– die Hochschulen und die Inklusion an Hamburgs Schulen bedarfsgerecht ausstatten
– in die Qualität der Kitas und die Integration von Flüchtlingskindern investieren
– die bezirklichen Integrationsbeauftragten angemessen ausstatten
– für eine wirkliche Selbstbestimmung und Inklusion von Menschen mit Behinderung sorgen
– die Stadtteil- und Basiskultur und die soziale Infrastruktur kräftig stärken
– die sozialversicherungspflichtige, öffentlich geförderte Beschäftigung ausweiten
– Sportanlagen ausbauen und den Breitensport unterstützen
– die offene Senior_innenarbeit weiterentwickeln
– effizientere Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen
– eine umweltfreundliche und bezahlbare Verkehrsinfrastruktur entwickeln
– den öffentlichen Gesundheitsdienst ausbauen
– die Renten, Sozialversicherung und den Mindestlohn für arbeitende Inhaftierte erhöhen und sichern
– eine_n Polizeibeauftragte_n einsetzen und
– den Datenschutzbeauftragten besser ausstatten.

Dieses zusätzliche Geld in Höhe von rund 894 Millionen für die beiden kommenden Jahre ist eine gut angelegte Investition in eine sozial gerechte und lebenswerte Stadt Hamburg! Damit setzen wir einen deutlichen Kontrapunkt zur kurzsichtigen Politik des Senats, der nach der Devise vorgeht, nicht die Ressourcen folgen den Bedarfen in unserer Stadt, sondern die Bedarfe haben sich an den gedeckelten Ressourcen auszurichten. Mit dieser Politik muss endlich Schluss sein!

Soziale Gerechtigkeit ist finanzierbar – und dringend notwendig

Selbstverständlich spricht sich die Fraktion DIE LINKE gleichfalls für einen auskömmlichen Haushalt aus, daher legen wir in unserem Leitantrag konkrete und machbare Vorschläge zur Verbesserung der Einnahmeseite der Freien und Hansestadt Hamburg vor, um entsprechende Mittel zur Aus- beziehungsweise Gegenfinanzierung unserer Haushaltsanträge generieren zu können. Im Vergleich zu anderen Bundesländern liegt Hamburg mit einer Grunderwerbsteuer von 4,5 Prozent an der unteren Grenze – selbst ein Bundesland im Speckgürtel von Hamburg wie Schleswig-Holstein hat seit Anfang 2014 eine Grunderwerbsteuer von 6,5 Prozent. Wir meinen, eine Erhöhung für das Bundesland Hamburg auf gleichfalls 6,5 Prozent ist angemessen und sachgerecht.

Ebenfalls seit Jahren gilt in Hamburg ein Gewerbesteuerhebesatz von 470 Prozent. Hier halten wir eine moderate Erhöhung auf 490 Prozent für durchaus verkraftbar. Ein effektiver und gerechter Steuervollzug ist Voraussetzung für eine Stärkung der Einnahmen der Freien und Hansestadt Hamburg. In Hamburg herrscht ein nicht länger hinnehmbarer „Zwei-Klassen-Steuervollzug“. Der mangelhafte und einseitige Vollzug der geltenden Steuergesetze geht zulasten der auf eine gute öffentliche Infrastruktur angewiesenen Bürger_innen. Durch mangelhaften Steuervollzug beziehungsweise nicht geahndete Steuerhinterziehung entgehen unserer Stadt jährlich erhebliche Steuereinnahmen.

Insofern ist es zwingend erforderlich, dass die nicht besetzten Stellen in der Betriebs- und Außenprüfung beziehungsweise Steuerfahndung endlich wieder besetzt werden. Man muss es nur politisch wollen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Vorschläge sind realisierbar und würden zu einer erheblichen Einnahmeverbesserung des Hamburger Haushaltes beitragen und somit auch zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Hamburgerinnen und Hamburger. Sie nun reflexhaft abzulehnen, wäre verantwortungslos und ignorant. Ich fordere Sie auf, stellen Sie die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt Ihrer Politik.

Die Menschen haben es verdient!