Wohnen statt Unterbringen: endlich ein nachhaltiges Konzept auf den Weg bringen, das menschengerechtes Wohnen für alle zum Ziel hat

BÜRGERSCHAFT DER FREIEN UND HANSESTADT HAMBURG
Drucksache 20/13161
20. Wahlperiode 24.09.14

Antrag
der Abgeordneten Cansu Özdemir, Christiane Schneider.Heike Sudmann, Dora Heyenn, Norbert Hackbusch, Kersten Artus, Tim Golke, Mehmet Yildiz (DIE LINKE)

Betr.: Wohnen statt Unterbringen: endlich ein nachhaltiges Konzept auf den Weg bringen, das menschengerechtes Wohnen für alle zum Ziel hat

In Hamburg leben derzeit circa 10.000 Flüchtlinge und Wohnungslose in öffentlichen Unterkünften. Zusätzlich existiert die sogenannte verdeckte Obdachlosigkeit in unbekanntem Ausmaß.

Aktuell werden die bis Ende des Jahres benötigten 1.500 Plätze in der Flüchtlingsunterbringung vom Senat im Schnellverfahren durch Anwendung des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) beschafft.

Aufgrund eines Mangels an Plätzen in der Folgeunterbringung müssen viele Flüchtlinge mittlerweile länger als die vorgesehenen drei Monate in der Erstaufnahme verbleiben. Manche befinden sich schon bis zu acht Monaten in der Erstaufnahme, welche um 800 Personen überbelegt ist.

Einigkeit herrscht seit Neuerem zumindest darüber, dass die bislang praktizierte Unterbringung in Zelten inakzeptabel sei. Kritisch zu sehen ist ebenso die vom Senat geplante Nutzung von Wohnschiffen. Die Erfahrungen, die Hamburg bereits in der Vergangenheit mit Wohnschiffen machte, zeigen, dass die beengten Verhältnisse unzumutbar sind. Beengte Unterbringungsverhältnisse wirken sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit der ohnehin sich in schwierigen Lebenssituationen befindenden Menschen aus. Unter diesem Druck können eigentlich alltägliche Konflikte leicht eskalieren.

Von einer qualitativ und quantitativ mangelhaften Unterbringung, welche ihre Grundrechte verletzt, sind ebenso Gruppen von wohnungslosen Menschen in Hamburg betroffen. Sie wurden beispielsweise in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt und werden, teils schon seit Jahren, in Notunterkünften, Gemeinschaftsunterkünften oder in Hotels untergebracht; nicht wenige leben lieber auf der Straße, wenn sie zum Beispiel die Zustände im „Erfrierungsschutz“ unerträglich finden. Von den Fachstellen für Wohnungslosigkeit werden sie wegen fehlendem Wohnraum, in den eigentlich vermittelt werden sollte, immer wieder weggeschickt.

Der Winter steht vor der Tür und eine weitere Auflage des Winternotprogramms ist vorherzusehen – wieder nur eine Maßnahme, die wie ein Pflaster aufgeklebt wird, um das Allerschlimmste zu verhindern.

Festzustellen ist: Der Zuzug von Flüchtlingen in die Hansestadt wird sich fortsetzen – ein Blick auf das politische Weltgeschehen lässt kaum einen anderen Schluss zu. Ebenso ist nicht davon auszugehen, dass die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen – ob mit deutschem Pass, mit Aufenthaltsgenehmigung, oder im Rahmen der EU-Freizügigkeit – abnehmen wird. Darauf ist sich einzustellen und somit bleibt die Frage nach Folgeunterkünften, menschenwürdigen Standards der Unterbringung sowie preiswertem Wohnraum akut.

Mit diesem Antrag soll sich auf folgendes verständigt werden:

– Die oberste Priorität hat die Verhinderung des Verlusts von Wohnraum, damit Wohnungslosigkeit gar nicht erst entsteht.

– Notunterbringung ist ihrem Namen und Charakter nach als Notmaßnahme zu begreifen. Sie muss temporär sein sowie bestimmte Mindeststandards erfüllen, welche wiederum nicht als langfristig zumutbar zu verstehen sind.

– Sofortmaßnahmen, die eine Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten verhindern, sind unterstützenswert.

– Für eine nachhaltige Lösung des Gesamtproblems unterzubringende Menschen in Hamburg sind mittelfristige Maßnahmen festzulegen. Das Ziel muss sein, menschenwürdiges Wohnen für alle zu bieten. Denn dass Hamburg die Ressourcen dafür hat, ist unbestreitbar – sie müssen nur anders verteilt werden, um der zunehmenden sozialen Spaltung entgegenzuwirken.

Vor diesem Hintergrund möge die Bürgerschaft beschließen:

Der Senat wird aufgefordert, ein Konzept aus kurz- und mittelfristigen Maßnahmen mit mindestens folgenden Elementen vorzulegen:

A. Kurzfristige Maßnahmen

1. Grundsätzlich gelten für die Unterbringung von Flüchtlingen die gleichen Standards wie für andere Gruppen von Wohnungslosen.

Bei der Unterbringung von Menschen in den Notunterkünften wird sich zukünftig an den von der BAG Wohnungslosenhilfe e.V. entwickelten Mindeststandards für eine Notversorgung orientiert (vergleichebagw.de/medi/doc/POS_13_Integriertes_Notversorgungskonzept.pdf) Diese sehen beispielsweise als räumliche Anforderungen vor:

– für alleinstehende Wohnungslose: Unterbringung in möblierten Einzelzimmern mit eigenem Sanitärbereich und separater Kochgelegenheit bei einer Raumgröße von mindestens 14 Quadratmetern.

– für Familien und andere Mehrpersonenhaushalte: Unterbringung in abgeschlossenen Wohneinheiten bei einer Wohnfläche von mindestens 15 Quadratmetern pro Person; getrennte Schlafräume für Eltern und Kinder.

2. Die Unterbringung von Familien in Hotels ist so schnell wie möglich zu beenden.

Solange dies noch nicht möglich ist, sind für die Übergangszeit die unter 1. genannten Mindeststandards für die Hotelunterbringung zu gewährleisten.

3. Von der Unterbringung von Flüchtlingen auf Wohnschiffen ist abzusehen. Alle Ressourcen sind aufzuwenden, um zumindest eine Unterbringung in Wohncontainern zu ermöglichen. Solange dies noch nicht möglich ist, sind für die Übergangszeit die unter 1. genannten Mindeststandards für die Schiffsunterbringung zu gewährleisten.

4. Die vom Senat favorisierte Lösung der Nutzung von Gewerbegebieten für die Unterbringung, die nach der gerade erfolgten Änderung des Bundesbaurechtes möglich sein soll, wird nur unter der Voraussetzung umgesetzt, dass diese Gebiete infrastrukturelle Mindestanforderungen wie beispielsweise ausreichende Anbindung an den ÖPNV und Erreichbarkeit von Einkaufsmöglichkeiten aufweisen. Keinesfalls darf es zu einer (weiteren) gesellschaftlichen Isolation der dort untergebrachten Menschen kommen. Dabei sind Gewerbegebiete in Stadtteilen, die bisher wenige Einrichtungen der öffentlichen Unterbringung aufweisen, vorrangig zu berücksichtigen.

5. Das Personal in der öffentlichen Unterbringung ist soweit aufzustocken, dass ausreichende medizinische, psychologische, rechtliche und sozialpädagogische Betreuung sowie die gegebenenfalls notwendige Übersetzung gewährleistet wird.

6. Ehrenamtliches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern wird begrüßt, es darf aber in keinem Fall zu einer Reduzierung des schon zu geringen Personalschlüssels führen.

7. Von einer gemeinsamen Unterbringung von Menschen mit völlig verschiedenen Bedürfnissen ist abzusehen. Es sind vielmehr getrennte Angebote für Zielgruppen wie alleinstehende Frauen, suchtkranke Menschen, Familien et cetera anzubieten.

8. Die Einnahmereste der Jahre 2013/2014 aus dem Bereich der BASFI zur „Integration von Zuwanderern, Bürgerschaftliches Engagement und Opferschutz“ sowie der „Hilfen für Wohnungslose“ werden gezielt diesen Zwecken wieder zugeleitet.

B. Mittelfristige Maßnahmen

1. Gebäude- und Flächenerschließung:

a. Der Senat wird aufgefordert, weiter und verstärkt nach Unterbringungsmöglichkeiten in leer stehenden öffentlichen Immobilien und seit längerem leer stehenden privaten Wohnungen und Häusern zu suchen. Die über 900.000 Quadratmeter leer stehenden Büroflächen sind verstärkt
hinsichtlich ihrer Eignung als Unterkunft zu überprüfen, insbesondere bei den sich in öffentlicher Hand befindlichen Immobilien.

b. Laut dem Leerstandsbericht (Drs. 20/12408) standen zum 31.12.2013 rund 70 öffentliche Gebäude seit über zwei Jahren leer. Es ist zu prüfen, ob diese und die 2014 hinzugekommenen Gebäude für eine Unterbringung, gegebenenfalls auch nur kurzfristig, genutzt werden können.

c. Die in § 9 (3) Hamburgisches Wohnraumschutzgesetz bestehende Pflicht zur befristeten Zwischenvermietung beigeplanten Um- oder Neubauten von Wohnungen ist verstärkt zu überprüfen und durchzusetzen. Mit den Eigentümerinnen und Eigentümern sind Gespräche über Zwischenvermietungen für den Zweck der öffentlichen Unterbringung zu führen.

d. Solange der Senat auf §3 SOG zurückgreift, kann er nicht davon absehen, ihn auch auf Fälle wie unter b. und c. angeführt anzuwenden.

e. Die SAGA GWG muss den zur Verfügung gestellten Anteil von Wohnraum für wohnungslose Menschen dem Bedarf entsprechend erhöhen.

2. Massenunterkünfte abschaffen:

Die bestehenden Kapazitäten an Sammel- und Massenunterkünften sind abzubauen beziehungsweise nur als Maßnahmen zur kurzfristigen und Notunterbringung zu nutzen.

3. Prävention:

a. Es dürfen keine Zwangsräumungen in die Obdachlosigkeit stattfinden.

b. Um präventiv tätig werden zu können, sind die Fachstellen für Wohnungsnot-
fälle personell aufzustocken.

4. Qualitätssicherung:

Es ist ein Verfahren analog dem in Sachsen bereits seit 2010 praktizierten „Heim-TÜV“ auf den Weg zu bringen. Mithilfe dieses Instrumentes kann anhand nachvollziehbarer Kriterien die Unterbringungsqualität in Hamburg regelmäßig gemessen und weiter verbessert werden.

5. Sozialer Wohnungsbau:

a. Der Mindestanteil am Sozialwohnungsbau ist in einem ersten Schritt bei allen Bauvorhaben auf 50 Prozent zu erhöhen.

b. Auf städtischen Flächen muss zu 100 Prozent Sozialwohnungsbau erfolgen.

C. Einrichtung einer Arbeitsgruppe und Erstellung eines Konzepts

Es sollen umgehend alle betroffenen Akteurinnen und Akteure der Stadt – unter anderem die beteiligten Behörden, f & w fördern und wohnen AöR, Wohlfahrtsverbände, Wohnungswirtschaft, Haus- und Grundbesitzer, zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure – in einer „Arbeitsgruppe Unterbringung“ zusammengebracht werden.

Diese hat zum Ziel, auch unter Hinzuziehung externer Expertinnen und Experten, die oben genannten Maßnahmen zu prüfen und weitere Zielsetzungen, Maßnahmen, Standards und eine konkrete Zeitplanung als Bestandteile eines Konzepts zur Unterbringung von Wohnungslosen und Flüchtlingen, zur Verhinderung und zur Beendigung von Wohnungslosigkeit in Hamburg zu entwickeln.

Das Konzept sollte ebenfalls die Belange von Zuwanderinnen und Zuwanderern aus Osteuropa, die zwar keinen Anspruch auf, nichtsdestotrotz einen Bedarf an Unterbringung haben, berücksichtigen.

Die Arbeitsgemeinschaft muss mit entsprechender Weisungsbefugnis ausgestattet sein.

Für die Prozesse der Arbeitsgruppe müssen Personalkapazitäten von der Stadt zur Verfügung gestellt werden.

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Beschluss: Ablehnung; am 05.11.2014 Punkt A.1: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP gegen die Stimmen der GRÜNEN und LINKEN; Punkt A.2: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP gegen die Stimmen der LINKEN bei Enthaltung der GRÜNEN; Punkt A.3: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD gegen die Stimmen der GRÜNEN, FDP und LINKEN bei Enthaltung der CDU; Punkt A.4 und A.6: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD gegen die Stimmen der CDU, GRÜNEN, FDP und LINKEN; Punkt A.5: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und FDP gegen die Stimmen der CDU, GRÜNEN und LINKEN; Punkt A.7: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und CDU gegen die Stimmen der GRÜNEN, FDP und LINKEN; Punkt A.8: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und CDU gegen die Stimmen der FDP und LINKEN bei Enthaltung der GRÜNEN; Punkt B.1.a, B.1.b, B.1.e und B.2: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD gegen die Stimmen der CDU, GRÜNEN, FDP und LINKEN; Punkt B.1.c und B.3.a: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP gegen die Stimmen der GRÜNEN und LINKEN; Punkt B.1.d und B.5: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP gegen die Stimmen der LINKEN bei Enthaltung der GRÜNEN; Punkt B.3.b: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und FDP gegen die Stimmen der GRÜNEN und LINKEN bei Enthaltung der CDU; Punkt B.4: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD und CDU gegen die Stimmen der FDP und LINKEN bei Enthaltung der GRÜNEN; Punkt C: mehrheitlich mit den Stimmen der SPD, CDU und FDP gegen die Stimmen der LINKEN bei Enthaltung der GRÜNEN