Gentrifizierung in Hamburg: Grundstücksverkauf an private Investoren, Büros statt Wohnungen und Mietenexplosion

Ende Oktober hatte die Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Große Anfrage zum Thema Gentrifizierung an den Senat gerichtet, um mehr Informationen über die gesamtstädtische Entwicklung und die Aufwertung und Verdrängung in den Hamburger Stadtteilen Neustadt, St. Georg, St. Pauli, Sternschanze, Altona-Nord und Eimsbüttel zu erhalten. Inzwischen liegt die Antwort vor (Drucksache 19/4468 vom 24.11.2009) und bietet teilweise interessante neue Fakten, enthüllt aber auch, dass der Senat die Zeichen der Zeit bisher nicht mal ansatzweise verstanden hat, wenn er eingangs feststellt, es gäbe „keine Hinweise darauf, dass in diesen Vierteln aktuell ‚größere Teile der Einwohnerschaft‘ von Verdrängung bedroht wären“.

Bestätigt wird in der Drucksache, dass die Mietpreise nicht erst seit dem vor einer Woche veröffentlichten neuen Mietenspiegel steil nach oben gehen. Vielmehr steigen die Mieten schon seit mindestens zehn Jahren an (Frage 12). Gleichzeitig ist die Zahl der Sozialwohnungen von 150.172 im Jahre 2000 auf 105.873 Ende 2009 zurückgegangen, überdurchschnittlich stark übrigens im Bezirk Wandsbek (Frage 15), wo von 2000 bis 2008 auch mit Abstand die meisten Abgeschlossenheitserklärungen als Voraussetzung für die Umwandlung einer Miet- in eine Eigentumswohnung ausgestellt wurden, nämlich 2.737 (Frage 19).

In Hamburg wird zwar gebaut, aber eben vorrangig für die Wirtschaft, nicht für die Wohnbevölkerung: Auf (ehemals) städtischen Liegenschaften sind zwischen 2002 und 2008 insgesamt 508.300 qm Bruttogeschossfläche für Gewerbe, dagegen nur 173.800 qm für Wohnzwecke neu entstanden (Frage 27). Bevorzugt werden bei der Vergabe von Grundstücken eindeutig private Eigentümer und Investoren: Seit 2005 wurde kein einziges Grundstück an die SAGA GWG vergeben, an soziale Träger lediglich zwei, an Genossenschaften 11 und an Baugemeinschaften 28 – Investoren und PrivateigentümerInnen sind hingegen in 526 Fällen bedacht worden (Frage 30).

Dass beim Verkauf von städtischen Liegenschaften in der Freien und Hansestadt immer mehr der Geldbeutel und Spekulantenbegierden und nicht das inhaltliche Konzept oder soziale Aspekte ausschlaggebend sind, zeigt sich auch an der Zunahme der Höchstgebotsverfahren: Sie haben von sechs im Jahre 2007 auf 15 in (alleine bis zum Oktober dieses Jahres) zugenommen (Frage 32). Darüber hinaus liefert die Anfrage konkrete Daten zur Aufwertung in den o.a. Stadtteilen (Fragen 33 bis 104).

Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion DIE LINKE, Dr. Joachim Bischoff, erklärt dazu:

„Die vom Senat vorgelegte Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion veranschaulicht einerseits an verschiedenen Indikatoren, in welcher Form und Größenordnung die Stadt nach privaten Interessen zugeschnitten wird und die innerstädtischen Quartiere entsprechend umgewandelt werden.

Für die betroffenen BewohnerInnen besonders bedrückend und für die Stadtentwicklung politisch fatal ist andererseits, dass der Senat diese ganze Entwicklung im Grunde und allzu offensichtlich begrüßt. So betont er, dass ‚eine starre Festschreibung der jeweiligen Bevölkerungsmischung nicht gewollt und auch nicht möglich ist‘ und geht von einer ‚grundsätzlich gewollten Attraktivitätssteigerung‘ aus. Insofern verwundert auch nicht, dass der Senat für den Begriff und damit letztlich auch für die Phänomene der Gentrification/Gentrifizierung im Handeln der Verwaltung keine explizite Verwendung findet‘. Würde dies der Fall sein, hätte der Senat längst die Notbremse ziehen und sozialen Wohnungsneubau und soziale Erhaltenssatzungen en gros und viele weitere Dinge auf den Weg bringen müssen.

Angesichts der Aussage, es gäbe keine Hinweise auf Verdrängung größerer Teile der Bevölkerung in bestimmten, vor allem innenstadtnahen Vierteln, frage ich mich doch, auf welchem Stern dieser Senat lebt und tagt. Die Ignoranz gegenüber Tausenden BewohnerInnen, die um ihre Wohnung und den Verbleib in ihrem angestammten Quartier bangen, lässt mich nur noch den Kopf schütteln und an der Ernsthaftigkeit des kürzlich vorgelegten Wohnungsbauentwicklungsplans und des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung zweifeln.

Ich setze daher auf diejenigen Gruppen und Initiativen, die sich unter der Parole ‚Recht auf Stadt‘ zusammengeschlossen haben und am 18. Dezember in der Innenstadt ‚für eine grundsätzlich andere – soziale und gerechte – Stadt‘ demonstrieren werden. Und wir werden als LINKSFRAKTION das Thema Gentrifizierung auf der Doppelsitzung der Bürgerschaft am 9./10. Dezember zum Thema machen und einen eigenen Antrag dazu einbringen.“