Plenarprotokoll 20/78: Gesetzliche Grundlagen für Gefahrengebiete ersatzlos streichen!
Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren, Herr Präsident! 51-mal hat die Polizei bisher von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Orte, Straßenzüge und Stadtteile zum Gefahrengebiet zu erklären. Wir von der LINKEN setzen uns seit fünf Jahren kritisch mit dem Instrument des Gefahrengebiets auseinander. Wir haben viele Anfragen dazu gestellt und die problematische Praxis des Gefahrengebiets umfangreich dokumentiert. Jetzt hat im Zusammenhang mit dem letzten, am 4. Januar errichteten Gefahrengebiet die Problematik eine breite Öffentlichkeit erreicht. Das hängt erstens mit der Größe des Gefahrengebiets zusammen. Fast 80 000 Menschen wohnen in dem betroffenen Gebiet, vielleicht noch einmal so viele halten sich am Wochenende dort auf. Zweitens war die symbolische Botschaft des Gefahrengebiets so eindeutig, die politische Absicht hinter dem Gefahrengebiet so offen, dass allen klar war, der Szene – also den kritischen städtischen Milieus in diesen Stadtteilen – sollte die staatliche Macht demonstriert werden. Und drittens sorgte der friedliche, subversive, kreative Widerstand im Gefahrengebiet für große Öffentlichkeit. Ihm und der kräftigen, insbesondere in den großen überregionalen, liberalen Tageszeitungen verbreiteten Kritik sowie der von juristischer Seite vorgebrachten Kritik ist es zu verdanken, dass die Problematik dieses Polizeiinstruments einer größeren Öffentlichkeit deutlich wurde.
(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)
Es ist bezeichnend, dass der SPD-Fraktion in ihrem eilig zusammengeschusterten, handwerklich unglaublich schlechten Zusatzantrag
(Dirk Kienscherf SPD: Was?)
der Begriff „Gefahrengebiet“ nur über die Lippen kommt, wenn sie die GRÜNEN, uns oder das Verwaltungsgericht zitiert.
(Dr. Andreas Dressel SPD: Steht er denn im Gesetz, der Begriff?)
– Nein, aber die Polizei nennt es immer so. Selbst spricht sie von lageabhängiger Kontrollmöglichkeit für die Hamburger Polizei, als könne man durch die Verniedlichung die Problematik aus der Welt schaffen. Was Sie dann an parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten beantragen, ist, mit Verlaub, lächerlich,
(Beifall bei der LINKEN)
das leisten wir mit unseren Anfragen schon seit Langem.
Wir von der LINKEN wollen das polizeiliche Instrument des Gefahrengebiets abschaffen. Von den vielen Gründen, die wir haben, will ich drei wichtige nennen. Erstens ist dieses polizeiliche Instrument ein sehr politisches Instrument, eine Ermächtigung der Polizei, nicht nur in einem bestimmten Gebiet verdachts- und anlasslos Bürger- und Persönlichkeitsrechte einzuschränken, sondern damit Politik zu machen. Nicht nur das letzte Gefahrengebiet hat das überdeutlich gemacht; mehr oder weniger trifft das für sehr viele der bisherigen Gefahrengebiete zu. Wenn die Polizei ermächtigt ist, Zielgruppen festzulegen, um sie dann systematisch zu kontrollieren, wenn sie etwa im Gefahrengebiet St. Georg, das mit Lageerkenntnissen zu Drogenkriminalität begründet wird, viele Zehntausend Platzverweise und Aufenthaltsverbote erteilt hat, dann macht sie natürlich Politik – Stadtteilpolitik. Dann versucht sie, soziale Probleme durch die systematische Vertreibung von Junkies polizeilich – in Anführungszeichen – zu lösen. Damit hat die Polizei Befugnisse, die sie unserer Meinung nach in einer demokratischen Republik nicht haben sollte.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb muss die Ermächtigungsgrundlage aus dem Gesetz gestrichen werden.
Zweitens sind die polizeilichen Ermächtigungen durch das Gesetz nicht, wie zu verlangen, begrenzt und präzise, sondern weitreichend und unpräzise.
(Dr. Andreas Dressel SPD: Sagen Sie mal, was das Verwaltungsgericht dazu sagt!)
Je weitreichender polizeiliche Ermächtigungen ausfallen und je unpräziser sie ausgestaltet sind, desto größer die Gefahr willkürlichen polizeilichen Handelns. Da die polizeilichen Kontrollen nicht aufgrund konkreter Verdachtsmomente erfolgen, sondern verdachtsunabhängig, gibt es keine sinnvollen Kriterien für die Auswahl der zu kontrollierenden Personen. Ich greife einmal einige Zielgruppenfestlegungen der Polizei heraus, die wir in den Antworten auf unsere Schriftlichen Kleinen Anfragen erhalten haben – ich zitiere –: „Personengruppen, die augenscheinlich nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und/oder ihrem Auftreten der linksradikalen/-autonomen Szene zugeordnet werden könnten“
(Olaf Ohlsen CDU: Ist doch okay!)
oder: „16- bis 35-jährige Personen in Gruppen (ab drei Personen), die eine Gefahrenneigung erkennen lassen“
(Olaf Ohlsen CDU: Richtig!)
– dann schaue ich mich hier einmal um, wer eine Gefahrenneigung erkennen lässt –
(Zurufe aus dem Plenum)
oder auch:
„Potenzielle BtM-Dealer im Alter zwischen 16 und 40 Jahren, […]“ – so ein Kriterium – „[…] die wiederkehrend, scheinbar beliebig Präsenz im Gefahrengebiet zeigen“.
Die Kontrolltätigkeit wird also durch Pauschalverdächtigungen geleitet, und infolge davon werden bestimmte Personengruppen, zum Beispiel Drogenkonsumentinnen und –konsumenten, stigmatisiert. Ganze Stadtteile werden als gefährlich stigmatisiert. Weiterhin ist uns zum Beispiel im ehemaligen Gefahrengebiet Bergedorf/Neu-Allermöhe aufgefallen, dass die Kontrollen zu einem überproportional hohen Anteil jugendliche Migranten trafen. Die Gefahr von ethnischer Diskriminierung ist bei dieser Art verdachtsunabhängiger Kontrolle einfach hoch. Dieser Effekt der Stigmatisierung und Diskriminierung ist den verdachtsunabhängigen Kontrollen im Gefahrengebiet eingeschrieben.
Auch deshalb muss die Ermächtigungsgrundlage unserer Auffassung nach aus dem Gesetz gestrichen werden.
(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)
Drittens werden die Ursachen von Kriminalität durch die Errichtung von Gefahrengebieten nicht behoben. Vielmehr tritt ein bekannter Effekt der sogenannten lageabhängigen Kontrollen auf, Beispiel Ottensen. Mit der Aufnahme verdachtsunabhängiger Kontrollen im zweiten Halbjahr 2005 stieg die Anzahl der in der polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Drogendelikte dort um 57 Prozent – Lagebeurteilung natürlich voll bestätigt. Nach Ende dieser Kontrollen sanken die Zahlen wieder um 49 Prozent. Mit anderen Worten: Die Gefährlichkeit eines Gebiets bestätigt sich durch die Kontrolle – ändern tut sich nichts.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Begründung für die gesetzliche Ermächtigung zu verdachtsunabhängigen Kontrollen im Gefahrengebiet hält also der Prüfung nicht stand.
(Dr. Andreas Dressel SPD: Also mehr kontrollieren?)
Auch deshalb muss die gesetzliche Ermächtigung zur Errichtung von Gefahrengebieten unserer Meinung nach aus dem Gesetz gestrichen werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben sozusagen hilfsweise – auch wenn man das, glaube ich, im Parlamentarischen eher nicht sagt – unserem Antrag einen zweiten Punkt hinzugefügt. Es ist in der Auseinandersetzung um das letzte riesige Gefahrengebiet sehr deutlich geworden, dass bei diesem sehr weitreichenden Instrument das Prinzip der Gewaltenteilung weitgehend aufgehoben ist. Über den „kleinen Ausnahmezustand“, wie Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ die Situation meines Erachtens treffend beschrieb, entscheidet ausschließlich die Polizei.
Das erfüllt in unseren Augen nicht einmal die Mindestbedingung von Rechtsstaatlichkeit. Dass gegen Verwaltungsakte Fortsetzungsfeststellungsklagen eingeleitet werden können, ist klar; Frau Möller hat es schon erwähnt. Das ist wahr, liebe SPD, aber erstens dauert es in der Regel Jahre bis zum Urteil, und zweitens – das will ich hier einmal deutlich sagen – lehrt uns die Erfahrung, dass das Verwaltungsgericht Hamburg in ich weiß nicht wie vielen Fällen von Fortsetzungsfeststellungsklagen Einsätze der Polizei als rechtswidrig beurteilt hat, ohne dass die Hamburger Polizeiführung daraus Konsequenzen gezogen hat.
(Beifall bei der LINKEN)