Plenarprotokoll 20/82: Hamburger Härtefallkommission
Christiane Schneider DIE LINKE: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor fast neun Jahren trat das Hamburger Härtefallkommissionsgesetz in Kraft. Die damalige CDU-Mehrheit setzte gegen die Opposition und gegen die Meinung von Fachleuten, zum Beispiel aus der evangelischen Kirche, eine Struktur durch, die sich grundsätzlich von der Struktur in den anderen Bundesländern unterschied. Anders als in anderen Bundesländern sollten nicht Wohlfahrtsverbände, religiöse Gemeinschaften, Migrationsverbände, Menschenrechtsorganisationen und Ähnliche Mitglieder in die Härtefallkommission entsenden, also Menschen, die auf der Grundlage von Fachwissen und Praxis, ihrer eigenen tagtäglichen Praxis, die humanitäre Situation von Menschen prüfen und über sie entscheiden. Nein, in Hamburg sollten Abgeordnete die Härtefallkommission bilden. Und anders als anderswo, wo Entscheidungen über ein Ersuchen mit Mehrheiten getroffen werden – das ist mehrfach gesagt worden –, sollte in Hamburg das Prinzip der Einstimmigkeit herrschen. Eine einzige Nein-Stimme verhindert, dass ein Ersuchen zustande
kommt. Insofern begrüßen wir, dass die FDP einen Anlauf genommen hat, den Hamburger Sonderweg zu beenden und die Härtefallkommission in eine parlamentsexterne, in eine gesellschaftliche Einrichtung umzuwandeln. Wir halten jedoch, ähnlich wie die GRÜNEN, den Gesetzentwurf – vielleicht nicht ganz in der Härte, aber trotzdem in Teilen – für problematisch. Wir kritisieren verschiedene Bestimmungen – ich wiederhole nicht, was Frau Möller bereits gesagt hat – und plädieren deshalb unbedingt für eine Überweisung. Nun hat die SPD oder die Behörde, wer auch immer, einen Zusatzantrag eingebracht.
(Beifall bei der LINKEN)
– Die SPD hat den Antrag eingebracht, wer es geschrieben hat, wissen wir nicht genau.
(Ksenija Bekeris SPD: Frau Schneider! – Arno Münster SPD: Wer schreibt denn Ihre Anträge immer?)
Sie hält an dem von ihr seinerzeit bekämpften und bundesweit einzigartigen Härtefallkommissionsmodell fest.
(Zuruf von Arno Münster SPD)
– Wenn Sie sich beruhigen, dann rede ich weiter.
(Glocke)
Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbrechend): Herr Münster, Frau Schneider hat das Wort.
Christiane Schneider DIE LINKE (fortfahrend):
Bemerkenswert ist, dass die SPD in ihrer Begründung – wie auch Herr Schumacher in seiner Rede – sorgfältig vermeidet, ihre seinerzeitigen Argumente gegen das Parlamentsmodell anhand der
Praxis der Härtefallkommission zu überprüfen. Ich möchte den Kollegen Kienscherf, der dankenswerterweise wieder im Raum ist, zitieren. Er sagte in der Bürgerschaftsdebatte am 27. April 2005 – ich zitiere –: „Wir als Sozialdemokraten […] sind dafür, dass wir eine unabhängige Kommission gründen, eine Kommission, die diese Fälle staatsfern diskutiert.“ – Zitatende.
(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der FDP und bei Antje Möller GRÜNE)
Ich habe noch ein anderes Zitat von Ihnen in petto. In der öffentlichen Anhörung des Eingabenausschusses am 28. Februar 2005 haben Sie laut Wortprotokoll zu einem Redner der CDU gesagt
– ich zitiere –: „Das Thema Loyalität, das Sie vorhin angesprochen haben, dass ja eigentlich die Abgeordneten immer diese Loyalitätsprobleme haben oder sich unter Druck gesetzt fühlen,
ihrem Senator zu folgen, das ist natürlich ein Argument. Da ging es auch um SPD-Zeiten, aber das ist jetzt nicht anders, dass mansich da abstimmt. Das ist nun wahrlich ein Argument dafür, dass man diese Fälle letztendlich in einer unabhängigen Härtefallkommission mit Externen, also Parlamentsexternen eher beraten sollte.“ Das alles war gerade Ihr Zitat.
(Beifall bei der LINKEN und bei Katja Suding FDP)
Dass man sich als Abgeordneter einer Regierungsfraktion unter Druck gesetzt fühlt, dass man Loyalitätsprobleme hat, dass man sich abstimmt mit den Behörden, das ist in der Tat ein ausschlaggebendes Argument für eine wirklich unabhängige Härtefallkommission.
(Sören Schumacher SPD: Das waren nur Befürchtungen!)
Herr Kienscherf hat recht.
(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Damals!)
Natürlich gibt es Loyalitätsprobleme. Es wäre weltfremd, das zu bestreiten. Natürlich gibt es Absprachen zwischen Behörde und Regierungsfraktion, gibt es Druck, zumindest Nachdruck. Allein unter diesem Gesichtspunkt ist das Prinzip der Einstimmigkeit extrem problematisch. Natürlich spielen bei solchen Absprachen und Vorverständigungen politische Entscheidungen und Kriterien und nicht nur Humanität eine Rolle, um ein weiteres Argument des Kollegen Kienscherf aus der Bürgerschaftsdebatte vom 27. April 2005 zu bemühen. Sie haben sich wirklich entwickelt, aber nicht unbedingt gut, gut in meinem Sinne natürlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber es geht in der Härtefallkommission um Entscheidungen im Sinne der Humanität, und deshalb müssen unserer Meinung nach die Unabhängigkeit der Härtefallkommission hergestellt und das Prinzip der Einstimmigkeit aufgehoben werden.
(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE – Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)
Wir würdigen – und da schließe ich mich dem an, was meine Vorrednerinnen zu dem Punkt gesagt haben –, dass der Senat einem Ersuchen immer stattgegeben hat. Das ist in anderen Bundesländern anders. Wir bestreiten nicht, dass es eine Reihe einvernehmlicher Entscheidungen gab und nicht selten Einmütigkeit herrscht; das ist gut. Auch ist klar – das will ich zugestehen –, dass es in dem einen oder anderen Fall Gründe für unterschiedliche Auffassungen und Bewertungen geben mag.
Aber nach meiner Erfahrung gibt es eben auch die Fälle, in denen politische Erwägungen die humanitären überlagern und beiseite wischen. Und wer kümmert sich darum – da hat Frau Möller völlig recht –, welche Folgen ablehnende Entscheidungen dann für die Zukunft und das Leben der Betroffenen haben?
Deshalb plädieren wir noch einmal dringend für die Überweisung des Antrags, wie es sowieso für jeden Gesetzentwurf aus den Reihen des Parlaments völlig angemessen wäre. So viele Gesetzentwürfe aus dem Parlament haben wir nicht, dass wir sagen müssten, es werden zu viele; allein das rechtfertigt es schon. Wir wollen nichts übers Knie brechen oder auf die Schnelle umstürzen, sondern schauen, was sich bewährt hat und was nicht, was geändert werden muss und was nicht.
Deshalb muss der FDP-Antrag in seinen Einzelheiten gründlich diskutiert werden, und das ist hier nicht möglich.
(Beifall bei der LINKEN und bei Antje Möller GRÜNE)
Die SPD sollte schon aus Gründen der Rechtschaffenheit zulassen, dass ihre eigenen seinerzeitigen Argumente für eine staatsferne, von der Gesellschaft getragene Härtefallkommission an der
Praxis der real existierenden Härtefallkommission überprüft werden.
(Olaf Ohlsen CDU: Das hat sich bewährt!)
Wenn Sie das ablehnen, dann machen Sie sich meiner Meinung nach unglaubwürdig und demonstrieren, dass Sie Angst vor der Debatte haben.
(Beifall bei der LINKEN und bei Katja Suding FDP)