Plenarprotokoll 20/86: Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen

Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Ich sage Ihnen, wie ich anfangen wollte. Ich wollte eigentlich sagen, dass wir den Antrag der FDP-Fraktion unterstützen mit dem Zusatzantrag der GRÜNEN, der ihn unserer Meinung nach in einem wichtigen Punkt verbessert. Ich bin aber nach Ihrer Rede schwankend geworden. Der Antrag ist meiner Meinung nach deutlich besser als Ihre Begründungsrede, aber er zeigt natürlich auch, dass die Intention, die ich in dem Antrag gelesen habe, offensichtlich gar nicht die Intention ist, die Sie verfolgen. Insofern revidieren wir unsere Entscheidung, dass wir eigentlich zustimmen wollten, und werden uns ebenfalls enthalten. Ich werde aber etwas zum Thema selbst sagen.
Auch wenn die Zahl bekannter Salafisten und der Anteil der Gewaltbereiten unter ihnen absolut gesehen noch relativ klein ist, gibt die Entwicklung unter vielen Gesichtspunkten Anlass zur Sorge.
Vor allem, wenn wir damit konfrontiert sind, dass junge Menschen ernstlich mit dem Gedanken spielen oder ihn vielleicht sogar schon umgesetzt haben, in den Krieg nach Syrien zu ziehen, um an den Morden teilzunehmen und bei den Morden verheizt zu werden. Das müssen wir ihnen und ihren potenziellen Opfern ersparen.
Die erste Anforderung, die sich stellt, ist zu verstehen, woraus der Salafismus seine Anziehungskraft bezieht. Im FDP-Antrag ist zu Recht von Identitätssuche und Diskriminierungserfahrung die Rede. In Ihrem Redebeitrag war das nicht mehr der Fall.

(Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP: Vielleicht haben Sie es nicht gehört!)

Der Salafismus scheint eine Möglichkeit zu bieten, gegen gefühlte und erfahrene Ohnmacht, gegen Zurückweisung und Diskriminierung zu protestieren und sich für eine vermeintlich gerechte Sache einsetzen zu können. Orientierung, Gemeinschaft, Anerkennung, Überlegenheit, Protest und Provokation, all das bietet der religiöse Fundamentalismus an und trifft damit die Bedürfnislage von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vornehmlich männlichen. Dabei vermittelt er ein Weltbild, das nur Weiß und Schwarz, Richtig und Falsch, Gut und Böse kennt. Das begünstigt die Haltung maximaler Abgrenzung, eine Haltung, die durch Frontalangriffe und beständige Vorhaltungen eher bestärkt als untergraben wird.
Deswegen wollten wir eigentlich auch den Ansatz des Antrags unterstützen, ein Abgleiten in die Salafisten-Szene zu verhindern beziehungsweise einen Ausstieg anzubieten, weil wir diesen Ansatz für den richtigen halten. Aber wie gesagt, mir sind starke Zweifel gekommen, ob das Ihr Ansatz ist.
Populistische Panikmache – und die fand ich ansatzweise gegeben – lenkt nur Wasser auf die Mühlen.

(Jan Quast SPD: Der Senat nimmt den Text als Grundlage, Frau Schneider!)

Beratungsangebote, der Aufbau eines Netzwerks, gestützt auf vielfältige zivilgesellschaftliche Akteure, ist deshalb sehr wichtig.
Etwas fehlt allerdings in dem Antrag, man kann es sich aber in den Zusatzantrag der GRÜNEN hineindenken. Deshalb haben wir auch keinen eigenen Zusatzantrag gestellt, weil wir unser Anliegen im Antrag der GRÜNEN aufgehoben sehen. In benachteiligten Stadtteilen wie Wilhelmsburg und Mümmelmannsberg mangelt es an ausreichenden Angeboten für Jugendliche, sich zu treffen, gemeinsamen Interessen nachzugehen, die eigenen Fähigkeiten und Kräfte kennenzulernen und zu entwickeln. Fundamentalistische Verführer dürfen möglichst gar nicht erst die Gelegenheit haben, sich langweilende, herumlungernde, sinnsuchende Jugendliche anzusprechen. Zu den Maßnahmen zur Bekämpfung des Salafismus beziehungsweise des religiösen Extremismus müssen deshalb die Überprüfung und die Bereitstellung ausreichender und geeigneter Angebote, vor allem der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, gehören.

(Beifall bei der LINKEN)

Insgesamt ist es richtig, auf die Problematik des religiösen Fundamentalismus insbesondere bei Jugendlichen besonnen und umsichtig zu reagieren. Dabei ist die Gefahr natürlich ernst zu nehmen. In einem Papier des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung werden die Konfliktlagen beschrieben, die auf verstärkte Aktivitäten religiöser Fundamentalisten zurückgehen. Das patriarchale und antiliberale Islam- und Weltverständnis des Salafismus führt dazu, dass junge Mädchen und Frauen diskriminiert werden, dass der Druck auf sie, sich den Vorstellungen dieses Weltbildes zu unterwerfen, zunimmt. Es erschwert und behindert das interkulturelle Zusammenleben.
Hinzu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer oft nicht ausreichend auf die neuen Konfliktlagen vorbereitet sind, dass sie sich häufig provozieren lassen oder überreagieren, dass sie überstrapaziert sind, dass sie zu resignieren drohen, weil sie mit den Jugendlichen nicht fertig werden. All das kommt vor und trägt nicht dazu bei, die Konflikte nachhaltig anzugehen und zu entschärfen. Das LI schlägt dann auch Handlungsansätze vor, nicht nur für die Auseinandersetzung mit dieser Variante des religiösen Extremismus, sondern Handlungsansätze vor allem zur praktischen Gestaltung eines positiven Zusammenlebens. Es gibt also schon Einiges, auf das man sich wirklich stützen kann.
Das Signal, das eigentlich ausgehen sollte von dieser Debatte an die Gesellschaft, ist, dass wir die Gefahr ernst nehmen, aber nicht hysterisch reagieren. Wir müssen den religiösen Extremismus eindämmen durch Aufklärung, durch Beratung, durch Unterstützung, durch Hilfen beim Ausstieg und Ausstiegsperspektiven. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)