Shared Space: „Gemeinschaftsstraße“ ohne BürgerInnenbeteiligung?
Im Senats-Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2008 ist vereinbart worden, dass im Laufe der Legislaturperiode in jedem Hamburger Bezirk zumindest eine „Shared-Space-Zone“ („Gemeinschaftsstraße“) geschaffen werden soll. Im Doppelhaushalt 2009/2010 sind dafür 7,2 Mio. Euro Kassenmittel eingestellt worden samt einer Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 2,5 Mio. Euro für das Jahr 2010.
Mit inzwischen drei Schriftlichen Kleinen Anfragen (DS 19/871 vom 12.8.2008; DS 19/2805 vom 21.4.2009; DS 19/3820 vom 21.8.2009) hat der stadtentwicklungspolitische Sprecher Dr. Joachim Bischoff beim Senat um Angaben zum aktuellen Stand der Planungen gebeten. Alle Antworten waren mehr oder weniger ausweichend und hinhaltend.
Obwohl Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk erst jüngst darauf hingewiesen hat, dass bei der Entscheidung über die Einrichtung einer solchen Gemeinschaftsstraße die Bevölkerung maßgeblich (im Sinne von entscheidend) beteiligt werden soll, kann davon in den anvisierten Stadtteilen keineswegs die Rede sein. In Wilhelmsburg hat sich bereits eine Elterninitiative gebildet, die gegen eine von Politik und Verwaltung favorisierte Straße als Shared-Space-Zone protestiert. Für St. Georg bekräftigte vor kurzem die Bezirkskoalition aus SPD und GAL, die Lange Reihe zur Gemeinschaftsstraße umbauen zu wollen, obwohl auf Bevölkerungsversammlungen dazu mehrheitlich eine kritische bis ablehnende Haltung eingenommen wurde und sich die beiden wichtigsten Stadtteilvereine – der „Bürgerverein zu St. Georg von 1880 R.V.“ und der „Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V.“ – aus durchaus unterschiedlichen Erwägungen explizit und wiederholt dagegen ausgesprochen haben.
Der Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Joachim Bischoff erklärt dazu:
„Wenn mir auf drei Kleine Anfragen zum Thema Shared Space in Hamburg der Senat mitteilt, dass zur Zeit noch geprüft werde, ohne weitere konkrete Angaben zu den bezirklichen Planungen zu machen, obwohl dort und in bestimmten Stadtteilen längst die Debatte entbrannt ist, ja vorläufige Entscheidungen gefallen zu sein scheinen, dann drängt sich mir der Eindruck auf, dass der Senat und die Bezirke nicht daran interessiert sind, die BewohnerInnen und Gewerbetreibenden wirklich und ernsthaft zu beteiligen. Vielmehr werden offenbar die Planungen soweit vorangetrieben, bis alles in trockenen Tüchern ist, eine BürgerInnenbeteiligung hat danach allerdings nur noch Alibi-Charakter.“
Die jetzt eingetroffene Antwort auf letzte Kleine Anfrage (Drs. 19/3820) enthält eigentlich nur zwei interessante Aussagen: Obwohl der Senat 7,2 Mio. Euro Kassenmittel und eine Verpflichtungserklärung über 2,5 Mio. Euro für die vorgesehenen mindestens sieben Gemeinschaftsstraßen eingeplant hat, sieht er sich nicht in der Lage, auch nur vage Angaben über die durchschnittlichen Kosten für den entsprechenden Umbau einer Straße zu machen. Da frage ich mich doch, auf welcher Berechnungsbasis dann die im Etat eingestellte Summe beruht? Und ich frage mich, wie hoch die Kosten letzten Endes tatsächlich ausfallen? Alleine für die Lange Reihe schätzen ExpertInnen die Umbaukosten auf zwei bis drei Mio. Euro!
Die zweite, erst auf meine Nachfrage hin erfolgte Angabe lässt Schlimmes befürchten, schließt der Senat doch die „Schaffung von Gemeinschaftsstraßen in Kombination mit einem ‚Business Improvement District‘ (BID)“ grundsätzlich nicht aus. Eine solche Realisierung von Shared-Space-Projekten aber würde im Einzelfall bedeuten, dass private Geldgeber eine nachhaltige Einflussmöglichkeit auf die Gestaltung und sozusagen das ‚Betreiben‘ einer Straße bekommen. Dies wäre ein weiterer Verlust, eine weitere Einschränkung des öffentlichen und von jedermann gleichberechtigt nutzbaren Raumes.
DIE LINKE lehnt Gemeinschaftsstraßen als BID-Projekte prinzipiell ab. Die Einrichtung von Shared-Space-Zonen darf den betroffenen Stadtteilen nicht aufoktroyiert werden. DIE LINKE fordert, dass der Senat und die Bezirke den Menschen endlich reinen Wein einschenken, welche Straße dafür im Gespräch sind. DIE LINKE mahnt gleichzeitig an, dass der Einrichtung einer Gemeinschaftsstraße das klare, positive Votum der ansässigen Bevölkerung vorausgehen muss.
Es steht zu befürchten, dass vor allem die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, aber auch die verschiedenen Bezirkskoalitionen die umfassende und entscheidende BürgerInnenbeteiligung zum wiederholten Mal unter den Tisch fallen lassen.