Wir brauchen eine neue Schulstrukturdebatte

Von Luzian Massarrat* und Sabine Boeddinghaus

Unser Schulsystem verschärft die Bildungsungerechtigkeit enorm und schafft enttäuschende Lernergebnisse. Zwar zeigt das neue ifo Bildungsbarometer, dass Hamburgs Schulsystem zu den besten Deutschlands gehört, trotzdem ist unser Zwei-Säulen-Modell noch lange kein Erfolg: Dass Hamburg im Bildungsbarometer gut abschneidet, begründet sich allein darin, dass das Bildungssystem in anderen Bundesländern noch viel schlechter ist. In einer spannenden Podiumsdiskussion mit Bildungswissenschaftler Marcel Helbig wurden die aktuelle Situation, Probleme und Perspektiven besprochen.

Foto-Bildung
Im Gespräch Hanno Plass, Marcel Helbig und Sabine Boeddinghaus (Foto: L. Massarrat)

Für eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Abi nur für Reiche? Warum Armut keine Schule machen darf!“ haben wir Prof. Dr. Marcel Helbig, renommierten Bildungswissenschaftler am Leibnitz-Institut für Bildungsverläufe, nach Hamburg eingeladen. In der Debatte mit Sabine Boeddinghaus und einer anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde ein weiteres Mal deutlich, wie prekär die Situation im deutschen Bildungssystem – auch in Hamburg – ist.

Wer ehrlich wissen will, wie gut Hamburgs Schulen sind, darf sie nicht mit Bremen vergleichen, sondern muss nach Kanada, Estland, Finnland oder Schweden blicken. Was bei einem solchen Vergleich auffällt, ist in der Bildungswissenschaft längst bekannt: Je länger Schüler*innen gemeinsam an derselben Schule lernen, desto besser sind sie am Ende ihrer Schullaufbahn gebildet. Mehr noch: Eine gemeinsame Schule ist das wirksamste Instrument gegen Bildungsungerechtigkeit und verringert den Druck auf die Kinder. Marcel Helbig fordert deshalb eine neue Debatte über die Schulstruktur und auch Die Linke setzt sich dafür ein, dass jedes Kind an jede Schule kann und dort einen für sich passenden Abschluss machen darf! Das Hamburger Zwei-Säulen-Modell, bei dem Gymnasien und Stadtteilschulen nebeneinander existieren und bei dem die Grundschule nur vier Jahre geht, schafft eine enorme Ungleichheit. In kaum einem Land hängt der eigene Bildungsabschluss so stark von der Bildung der Eltern ab, wie in Deutschland. Solange das Gymnasium – die „heilige Kuh“ des bestehenden Bildungsbürgertums und seiner Parteien – neben der Stadtteilschule unbehelligt bleibt, wird auch die Bildungsungerechtigkeit weiter grassieren.

Statt das Problem strukturell anzugehen, will das FDP-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung mit seinem Startchancen Programm mehr finanzielle Mittel für etwa 4000 deutsche Schulen in prekären Lagen zur Verfügung stellen. Auch wenn mehr Geld für diese Schulen – wie etwa auch aus dem 23+ Programm in Hamburg – den Schulen sehr hilft, ändert eine bessere Finanzierung nur wenig an den grundlegenden Problemen. Bildungswissenschaftler Helbig fordert hier echte Kreativität, statt bloß mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Als Linke fordern wir einen ehrlichen Umgang der Politik mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen! Das Ende des von SPD, Grünen, CDU und FDP beschlossenen Schulstrukturfriedens, der jedes Ruckeln am Zwei-Säulen-Modell verbietet, ist für uns die Chance auf einen Schulfrieden für die Schüler*innen, statt einen für die Politik. Die Linke macht sich stark für eine neue Debatte über das Zwei-Säulen-Modell. Wenn wir wollen, dass Bildung in Hamburg endlich gerecht wird, muss Schluss sein mit der Segregation nach der vierten Klasse. Wir müssen endlich beginnen, Schule vom Kind aus zu denken.

Marcel Helbig resümiert, es gebe wenig Grund die Schulpolitik Hamburgs zu loben, bloß weil sie besser sei als in anderen Bundesländern. Hamburg sei weiterhin nicht mehr, als ein Einäugiger unter Blinden.

*Luzian Massarrat  ist Mitglied der LAG Bildung sowie der LAG Verkehr, Sprecher der BO St. Georg, aktiv im Bezirk Hamburg-Mitte und kandidiert auf der Wahlkreisliste Hamburg-Mitte für die Bürgerschaft.

Dieser Artikel wurde veröffentlicht im Bürger*innenbrief September 2024 von Heike Sudmann und Sabine Boeddinghaus. Alle Bürger*innnebriefe finden Sie hier.