Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Standpunkt: Erdogans langer Arm reicht bis Hamburg

Über den langen Arm des türkischen Staatspräsidenten Erdogan schreibt unsere Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir in einem „Standpunkt“ für die Hamburger Morgenpost vom 20. Juli. In der Serie „Standpunkt“ bietet die MOPO eine Plattform für unterschiedliche Meinungen und die ganz persönliche Haltung der Autor_innen zu den Themen, die die Menschen in Hamburg und Umgebung bewegen. Die Beiträge spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wieder. Im Folgenden dokumentieren wir Cansu Özdemirs Beitrag.

Linke-Politikerin warnt: Vorsicht! Erdogans langer Arm reicht bis Hamburg

Kürzlich haben zwar Erdogan-Gegner die Bürgermeisterwahlen in Istanbul gewonnen – aber davon sollten wir uns nicht täuschen lassen. Erdogan ist noch da. An seiner Politik hat sich nichts geändert: Noch immer sind tausende Menschen, die Kritik an Erdogans islamistischer Diktatur äußerten, eingekerkert. Und wer noch nicht inhaftiert ist, muss um seine Freiheit und um sein Leben bangen. Viele sind nach Deutschland geflüchtet, manche von ihnen zu uns nach Hamburg. Ein Leben in Sicherheit? Fehlanzeige!

Erdogan-300x200
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Wer glaubt, Erdogan-Kritiker hätten in Hamburg nichts zu befürchten, der irrt sich. Denn die Verfolgung Oppositioneller endet nicht an den Grenzen der Türkei. Überall, wo Erdogan es wünscht, gelten seine Regeln,

ohne Rücksicht auf die Verfassung und Souveränität des anderen Staates. Seinen Krieg gegen die Opposition führt er auch in Hamburg: Immer wieder erleben Oppositionelle hier, wie der „verlängerte Arm“ Erdogans nach ihnen greift, ein von Ankara aus gesteuertes Netzwerk, das sich in religiöse, politische und bewaffnete Aktivitäten unterteilen lässt.

Erdogan besitzt einen bewaffneten Arm

Der bewaffnete Arm besteht aus der mittlerweile verbotenen Rockergruppe „Osmanen Germania“, ihrer aktiven Folgeorganisation „Tugra“, anderen bürgerwehrähnlichen Gruppen wie zum Beispiel in Hamburg das „Team Yörükoglu“ und Todesschwadronen des türkischen Geheimdienstes MIT. Ihre Aufgabe ist es, im Auftrag Ankaras Oppositionelle zu bedrohen, zu misshandeln und im schlimmsten Fall zu ermorden. Attentate auf deutschem Boden? Klingt für viele wie aus einem Krimi und wird gerne mit einem ungläubigen Kopfschütteln für ein Hirngespinst gehalten. Ist es aber nicht.

Dass Oppositionelle durch Agenten des türkischen Nachrichtendienstes MIT in der Bundesrepublik gezielt eliminiert werden sollen, ist seit dem Bekanntwerden der Mordpläne gegen den in Deutschland lebenden kurdischen Politiker Yüksel Koc und weitere Politiker kein Geheimnis mehr. 2016 teilte ich den Hamburger Sicherheitsbehörden konkrete Hinweise zum türkischen Geheimdienstagenten Mehmet Fatih S. und seinen Anschlagsplänen mit.

Die Sicherheitsbehörden reagierten ungläubig

Die Sicherheitsbehörden reagierten ungläubig, nahmen es auf die leichte Schulter, bis die ehemalige Lebensgefährtin des Agenten sich bei der Polizei meldete und entsprechende Beweise vorlegte. Das geplante Attentat auf Yüksel Koc konnte durch die Festnahme des mutmaßlichen Killers am Hansaplatz verhindert werden.

Doch der Agent wurde vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht lediglich auf Bewährung verurteilt! Ihm wurde zugute gehalten, dass sein Vorgehen „nicht sehr professionell“ war. Nach seiner Entlassung drohte er dem türkischen Journalisten Can Dündar, der in Berlin im Exil lebt, ihn zu töten. Auf Twitter, ganz öffentlich. Mir schrieb er, ich würde auch ein bitteres Ende haben. Wenig später tauchte er unter und ist nun verschwunden.

Hamburger Journalistin hat ernsthafte Probleme

Kurze Zeit danach wurde erneut ein Agent in Hamburg enttarnt, gegen den noch nicht einmal ermittelt wurde. Auch er ist verschwunden.

Dagegen hat jemand wie Süheyla Kaplan, eine Hamburger Journalistin mit türkischen Wurzeln, ernsthafte Probleme. Die türkische Justiz ermittelt gegen sie wegen Terrorpropaganda und Präsidentenbeleidigung! Ihr Vergehen: Sie hatte sich in sozialen Medien kritisch geäußert – so wie viele andere Hamburger auch. Einige von ihnen wurden deshalb in der Türkei bei der Einreise vernommen oder sogar verhaftet.

Zu wissen, es besteht eine akute Gefahr, ist schlimm. Schlimmer ist, wenn diese Gefahr von der Politik und den Sicherheitsbehörden ignoriert und verharmlost wird und die Betroffenen im Stich gelassen werden. Bis heute gab es kein Engagement des Bürgermeisters für die Betroffenen und kaum Interesse der anderen Fraktionen. Beschämend!

Bürgermeister muss sich schützend vor die Betroffenen stellen

Wenn der verlängerte Arm Ankaras nach Hamburgern greift, dann muss sich der Bürgermeister schützend vor die Betroffenen stellen. Es hätte von Senatsseite schon längst ein ernstes Gespräch mit der Generalkonsulin geben müssen, spätestens dann als ein Journalist der „Zeit“ von AKP-Anhängern während des Auftritts des türkischen Außenministers in Hamburg verprügelt wurde.

Auch die CDU zeigt hier eine Doppelmoral. Einerseits beschwert sie sich über den Einfluss Ankaras bis nach Hamburg, andererseits erlaubt sie als Teil der Bundesregierung, dass der Diktator weiterhin mit Waffen versorgt wird.

Das Schweigen und die Ignoranz der Politik ermutigen Erdogan, weiterhin Oppositionelle in Hamburg zu verfolgen. Doch dürfen wirtschaftliche Gründe nicht über die Sicherheit der Betroffenen gestellt werden. Die Bürger Hamburgs müssen vor Erdogan geschützt werden!