Wohnungslosigkeit in Hamburg: Das Elend in der Stadt der Reichen

Über 3.000 Menschen in Hamburg sind ohne festen Wohnsitz und auf die öffentliche Unterbringung angewiesen. Muss das sein? Gibt es keine Alternativen in einer reichen Stadt wie Hamburg? Am Donnerstag, den 22. September haben wir gemeinsam mit Expert_innen über das immer größer werdende Problem der Wohnungslosigkeit diskutiert. Hier geben die Experten Einblick in die Lage der Wohnungslosen

 

„Für junge Obdachlose gibt es kaum Hilfsstellen“

„Ab in die Normalität“: Das ist unser Motto bei „Hude“. Wir helfen jungen Menschen dabei, wieder ein „normales“ Leben zu führen. Erst einmal heißt das, die existenzielle Absicherung zu klären und eine feste Unterkunft zu finden. Doch gerade diese ersten Schritte zurück in die Normalität sind immer schwerer zu bewältigen. Der Wohnungsmarkt ist hart umkämpft, der Zugang zum ALG II wurde für unter 25-Jährige erschwert und wegen der strengen Sanktionen im Hartz IV-System werden Sozialleistungen oft gekürzt oder gar ganz entzogen. Dabei haben die jungen Menschen ohnehin schon denkbar schlechte Startbedingungen: Viele der 16- bis 27-Jährigen, die wir betreuen, sind wegen familiärer Probleme wohnungslos geworden. Irgendwann ist ein Streit mit den Eltern eskaliert und sie sind abgehauen – andere wurden von den eigenen Eltern einfach hinausgeworfen, als sie die Volljährigkeit erreicht hatten. Oft sind diese jungen Menschen nicht im eigentlichen Sinne obdachlos und fallen damit aus den Statistiken: Sie schlafen eher selten auf der Straße oder in den öffentlichen Unterkünften der Stadt, stattdessen kommen sie bei Freunden und Bekannten notdürftig unter. Sich jede Nacht einen anderen Schlafplatz suchen zu müssen oder über Tage auf irgendeiner Couch zu übernachten, bedeutet für die jungen Menschen eine hohe physische und psychische Belastung.

Hier bei „Hude“ bekommen sie ein kostenloses Frühstück, Kleiderspenden, sie können duschen und ihre Wäsche waschen. Wir helfen bei Behördengängen, bei der Wohnungs- und Jobsuche und haben einfach ein offenes Ohr. Wir haben eine Gästewohnung, in denen zwei junge Menschen vorübergehend wohnen können. All das ist dringend nötig, denn der Bedarf
steigt: Seit Jahren stellen wir fest, dass es immer mehr junge Wohnungslose in Hamburg gibt. In Hamburg fehlt es jedoch an niedrigschwelligen und ausreichend finanzierten Beratungsstellen für diese Zielgruppe. Ebenso fehlt es an einer Notschlafstelle für wohnungslose junge Menschen. Vor einigen Jahren wurden die Gelder für die offene Kinder- und Jugendsozialarbeit um zehn Prozent gekürzt, daran haben wir immer noch zu knapsen. Das ist ein großes Problem: Gerade mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten können die betroffenen jungen Menschen am besten erreicht werden. Wenn aber an dieser Stelle gespart wird, droht eine Manifestierung der prekären Lebenslagen bei den jungen Menschen.

Christine Tenbrink ist Sozialarbeiterin bei „Hude“, einer Beratungsstelle für junge, wohnungslose Menschen in Hamburg-Nord.

 

Obdachloser Tramper

„Die Stadt muss auch osteuropäische Obdachlose in feste Unterkünfte vermitteln“

„Die vielen Obdachlosen wurden in diesem Jahr zum ersten Mal wirklich sichtbar. In der ganzen Stadt sind neue Zeltplätze entstanden, fast alle Brücken sind belegt. Das zeigt, wie groß das Problem geworden ist: Immer mehr Menschen müssen in Hamburg auf der Straße leben. Die Lage hat sich auch durch die vielen Osteuropäer verschärft, die seit einigen Jahren in die Stadt kommen. In ihren Heimatländern haben diese Menschen in großer Armut gelebt, nun hoffen sie auf ein besseres Leben, wollen einen festen Job und eine Wohnung finden. Ganz normale Wünsche also – doch in unserer reichen Stadt fallen sie durchs Raster. Sie haben keine Leistungsansprüche, kein Recht auf einen Schlafplatz in den öffentlichen Unterkünften. Einen festen Job bekommen sie aber nicht ohne feste Meldeadresse.

So entsteht ein Teufelskreis, die Männer sind dazu gezwungen, auf der Straße zu leben. Die Sozialbehörde schaut weg – doch das ist der falsche Weg. Diese Männer werden nicht einfach in ihre Heimat zurückkehren, wenn wir das Problem aussitzen. Sie haben keine andere Perspektive und wollen in Hamburg bleiben. Die Stadt muss endlich geeignete Angebote schaffen und auch osteuropäische Obdachlose in feste Unterkünfte vermitteln. Erst dann können sie sich erholen, zur Ruhe kommen, ihr Leben neu organisieren. Diese Menschen wollen arbeiten und ein normales Leben führen, sie haben sich das elende Leben auf der Straße nicht ausgesucht.

Stephan Karrenbauer ist Sozialarbeiter bei der „Hinz und Kunzt“. 

 

„Wir brauchen mehr geschlechtssensible Angebote für Obdachlose“

„Mit dem Containerprojekt decken wir eine besondere Nische ab: Wir versorgen wohnungslose Frauen, die durch das städtische Regelsystem nicht mehr erreicht werden können. Entweder, weil sich diese Frauen nicht an den Kosten für eine öffentliche Unterkunft beteiligen können, oder weil sie Probleme damit haben, sich an Hausordnungen zu halten – etwa, weil sie suchtkrank sind oder an einer psychischen Erkrankung leiden. Diese Frauen sind in einer extremen Notlage, sie brauchen vor allem einen Schutzraum, der ihnen etwas Ruhe und Erholung bieten kann. Darum sind die Regeln und Kontrollen bei uns auf ein Mindestmaß reduziert, wir unterstützen die Frauen aber intensiv bei Behördengängen und bei der Wohnungssuche.

Das Leben auf der Straße ist hart, obdachlose Frauen sind außerdem Gefahren wie sexueller Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Es gibt zwar das städtische Winternotprogramm, das jedes Jahr im November beginnt, doch dieses Angebot reicht bei weitem nicht aus: Die Zahl der Wohnungslosen ist in den letzten Jahren größer geworden, und auch im Sommer brauchen Frauen Schutz. Unsere Container waren eigentlich nur für den Winter gedacht, nun stehen sie auch in den Sommermonaten auf dem Gelände der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Die Finanzierung sicherzustellen, ist immer wieder ein Kraftakt: Im Winter finanziert uns die Sozialbehörde, im Sommer sind wir auf Spendengelder angewiesen, die wir jedes Jahr neu eintreiben müssen. Warum die Frauen auf der Straße landen? Dafür gibt es viele Gründe. Nicht alle kommen aus den typischen sozial schwachen Problemfamilien. Für einige Frauen aus der Mittelschicht etwa begann der soziale Abstieg nach einer Scheidung, weil der Ex-Mann keinen Unterhalt gezahlt hat. Auch eine Immobilienmaklerin hat bereits bei uns gewohnt. Ein Drittel unserer Bewohnerinnen sind Tansgender-Frauen: Sie scheuen den Weg in die öffentlichen Unterkünfte, weil sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität nirgendwo hineinpassen, im Hilfesystem schwer zugeordnet werden können. Ich finde: Wir brauchen mehr geschlechtssensible Angebote für Wohnungslose in Hamburg. Das müssen keine reinen Unterkünfte für Frauen sein, auch gemischtgeschlechtliche Einrichtungen, in denen sich alle willkommen fühlen und die Vielfalt der Menschen sichtbar wird, wären ein wichtiger erster Schritt.“

Andrea Hniopek arbeitet bei der Wohnungslosenhilfe der Caritas. In Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) koordiniert sie ein spezielles Contrainerprojekt, in dem ausschließlich obdachlose Frauen eine Unterkunft finden.