Ein Flughafen in der Stadt: Ist Hamburgs Airport Segen oder Fluch?

Für manche ist Hamburgs Flughafen ein Sehnsuchtsort. Für viele andere ist er immer wieder Gegenstand von kontroversen Debatten. Während sich Initiativen und Umweltverbände mit der Belastung durch den Fluglärm befassen und zunehmend auch sorgen um die Klimaauswirkungen des „innerstädtischen“ Flughafens Fuhlsbüttel, denken andere eher an die Erreichbarkeit der Stadt und die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens für die Region.

Doch dann kam Corona – und der fast totale Einbruch des Flugverkehrs hat die Diskussion um das Für und Wider des Flughafens in den Hintergrund treten lassen. Nur die immensen Verluste durch ausbleibende Einnahmen der Fluggäste fanden sich noch in der Presse wieder.

Fest steht: Der Flughafen steht für beides: Er hat Nutzen und er ist Belastung. Fürsprecher:innen gibt es genügend – da besteht kein Grund zur Sorge. Doch es liegt in der Natur der Dinge, dass sich die Opposition eher um die Belastungen durch den Flughafen kümmert.

Abheben und Wegfliegen: Der Flughafen ist wichtig für Hamburgs Infrastruktur

Doch was sind überhaupt die Prämissen eines Diskurses über den Flughafen in Hamburg? Die Möglichkeit des Abhebens und Wegfliegens ist eine öffentliche Daseinsvorsorge und damit stellt der Flughafen die Infrastruktur für eine wichtige Aufgabe – und dies erstmal ganz unabhängig davon, ob der geplante Herren- oder Damenabend am Ballermann sinnvoll ist, die Geschäftszahlen-Besprechung nicht dank Zoom vermeidbar wäre oder generell das angepeilte Reiseziel in vertretbarer Zeit auch anders zu erreichen wäre.

Hamburg und das Umland sind ein bedeutender Standort der Flugzeugindustrie, ihrer Zulieferer und auch der Luftfahrtforschung – und das selbst dann noch, wenn es zu Betriebsschließungen und Arbeitsplatzverlusten kommt. Der Standort des Flughafens hat sich seit mehr als 100 Jahren nicht verändert – und nach dem Aus für die Verlegung nach Kaltenkirchen vor Jahrzehnten gibt es auch keine realistische Perspektive, dies zu ändern. Und dies gilt eben, obwohl die Stadt und vor allem die Wohnbebauung den Flughafen erreicht und umschlossen hat und damit der Flugbetrieb für immer mehr Hamburger:innen zur Belastung wird.

Der Flughafen ist kurz davor, klimaneutral zu werden und damit durchaus beispielhaft – und das erstmal auch ganz unabhängig davon, dass er dann ja immer noch die Infrastruktur für eine klimaschädliche Beförderungsart zur Verfügung stellt. Er ist eingebunden in internationale und nationale Zuständigkeiten und Bestimmungen – unabhängig von der Einschätzung, dass das zu einer erheblichen Macht- und Steuerungslosigkeit der Politik im Stadtstaat Hamburg führt. Diese Zwiespältigkeit der Rolle des Flughafens ließe sich noch eine ganze Weile fortführen. Und es ist dabei klar: Es geht nicht um Nutzen oder Schaden. Es geht um beides – und die Herausforderungen, die sich daraus stellen.

Alles nur Beruhigungspillen? Der Flughafen braucht Regeln

Um Belastungen zu minimieren und den Nutzen eines Flughafens in der Stadt dennoch zu erhalten, brauchen wir wirksame Maßnahmen. Oder dort, wo es keinen eigenen Handlungsspielraum gibt, den Einsatz auf Bundes- und Europaebene. Und zwar auch durch unseren Senat. Hamburg hat für die Start- und Landebahnen Bahnbenutzungsregeln – mit ihnen lässt sich der Start- und Landelärm verteilen. Diese Regeln wurden aber (zumindest in der Vor-Coronazeit) in über 50 Prozent der Fälle nicht eingehalten, weil nicht alle Handelnden an einem Strang ziehen. Wir brauchen Bahnbenutzungsregeln, die ehrlich sind und zu deren Einhaltung man sich verpflichtet!

Wir brauchen aber auch Initiativen, die beim Klimaschutz das Spiel auf Zeit der Luftfahrtgesellschaften beenden. Wir brauchen Initiativen zur Einbeziehung der Klimakosten in die Flugpreise. Wir brauchen auch Initiativen zum ökologischen Ersatz von Kurzstrecken im Flugverkehr. Schließlich fordern wir die Einstellung aller Flugverbindungen bis zu 500 Kilometern Distanz – und zwar auch in dem Wissen, dass laut rot-grünem Koalitionsvertrag von 2020 die als Alternative zu verbessernden Zugverbindungen nach Frankfurt, München, Düsseldorf, Amsterdam, Brüssel und Kopenhagen weitgehend nicht in Hamburgs Hand liegen und der Neu- oder Ausbau der Bahnstrecken Jahrzehnte dauern kann. Bahnpolitik ist im Stadtstaat Hamburg irgendwie immer noch weit weg. Das mantraartige Bekenntnis des Senats zum Ausbau der Bahnverbindungen werten wir als eine Beruhigungspille ohne weitere Auswirkungen.

Es geht ums Gemeinwohl: Der Flughafen muss nachhaltig und klimagerecht werden

Doch der Flughafen ist unter Druck: Er wurde über die Jahre immer weiter modernisiert. Auch die Kapazität wurde gesteigert – das hätte eigentlich eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zur Folge gehabt. Doch die wurde geschickt umgangen. Das wirft natürlich die Frage nach einem möglichen Ergebnis einer solchen Umweltverträglichkeitsprüfung auf.

Es ist mir unverständlich, warum die Wirtschaftsbehörde sich für den Beibehalt der Altfallregelung für Flughäfen eingesetzt hatte, die Hamburg ein zusätzliches Lärmvolumen von 5 dB ermöglicht. Gleichzeitig wird die Lärm-Emission des Flugverkehrs durch den Senat zwar gedeckelt – dies aber auf einen Wert, der sogar zusätzliche Lärmfreisetzung ermöglicht, weil der Bezugswert viel zu hoch gewählt wurde und selbst zu Lärmspitzenzeiten nicht erreicht wird. Die Koalition verschafft sich hier viel Luft, um nicht handeln zu müssen. Die Belastung vor Corona war für die Menschen eine Zumutung – Hamburg braucht ambitionierte Ziele für die CO2- und Lärmbelastung durch den Flugverkehr – und zwar ohne Spitzenwerte zum Normalfall und zur Bezugsgröße zu erklären.

Doch es geht auch ums Geld: Wenn der Flughafen ein Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, dann darf nicht mehr die Erzielung von Gewinnausschüttungen das Ziel sein, sondern die schwarze Null plus Investitionsrücklagen. Das ermöglicht Nachhaltigkeit in allen drei Säulen, also nicht nur der ökonomischen, sondern auch der ökologischen und der sozialen Nachhaltigkeit.

Derzeit wird geprüft, ob für städtische Betriebe eine Gemeinwohlbilanzierung erfolgen soll. Genau diese Bilanzierung würde vermutlich die Schieflage des Flughafens bei den drei Nachhaltigkeitssäulen zugunsten der ökonomischen Nachhaltigkeit sichtbarer machen. Das wirft auch die Frage nach der Besitzstruktur des Flughafens auf, die zu ökonomischen Zwängen führt, die mit einer Aufgabe als öffentlicher Daseinsvorsorge eigentlich nicht zu vereinbaren sind. Mit einer Minderheitsbeteiligung ist ein kanadischer Pensionsfonds mit 49 Prozent Miteigentümer. Eine gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Flughafenpolitik ist auf dieser Basis nur schwer zu realisieren. Aufgrund der sinkenden Gewinnmargen pro Passagier in den vergangenen Jahren ist der Flughafen aktuell auch noch dazu verdammt, das Flugaufkommen weiter zu steigern, mehr Billigairlines an den Flughafen zu holen, Qualität durch Quantität zu ersetzen.

Ich setze mich dafür ein, dass der Fehler aus den 1990er Jahren – also die Anteile Schleswig-Holsteins und des Bundes zu privatisieren – wieder rückgängig gemacht wird: Wir brauchen mehr Handlungsspielraum für eine umweltorientierte, klimagerechte und belastungsarme Flughafenpolitik.

Der Ausgleich dieser widerstreitenden Belastungs- und Nutzenaspekte wird über kurz oder lang auch in nationalem und internationalem Recht seinen Widerhall finden. Der Freiraum, den sich die Fluggesellschaften bei den Bemühungen um Klimaneutralität selbst gegeben haben, wird von der Politik weltweit eingeschränkt werden. Fliegen wird teurer werden und zukunftsfeste Lösungen für Klimaschutz sind derzeit noch vage. Von Biokraftstoffen oder Wasserstoffantrieben, die zumindest als Treibstoff eine klimaneutrale Bilanz haben, sind wir noch ein ganzes Stück weit entfernt und die deutlich höheren Klimaauswirkungen durch einen Flug in den höheren Luftschichten sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Wenn die Politik dann handelt – und sie wird handeln müssen! – dann sollte Hamburgs Flughafen so aufgestellt sein, dass er entspannt in die Zukunft blicken kann, weil er auf den Wechsel der Prämissen rechtzeitig vorbereitet worden ist. Deshalb wäre es angesichts des wieder anlaufenden Flugbetriebs ein wichtiger Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unseres Flughafens, nicht mehr alle selbst eingeräumten Spielräume auszunutzen. Auf Dauer wird sich das nicht rechnen.

Dieser Beitrag fußt auf einem Vortrag, den Stephan Jersch im Herbst 2021 auf einem Treffen der Allianz für Fluglärmschutz in Hamburg hielt.