Hamburg als Klassenprimus? Zur prekären Mieten- und Wohnungssituation in Hamburg
Hamburg als Klassenprimus? Zur prekären Mieten- und Wohnungssituation in Hamburg
Von Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE
Dieser Artikel ist in der aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Lunapark21 erschienen. Die Zeitschrift gibt es in Hamburg zu kaufen an den Bahnhofskiosken am Hauptbahnhof, Bahnhof Dammtor, Holstenstraße und Altona.
Wir haben es mit einem merkwürdigen Phänomen zu tun: Seit der Regierungsübernahme durch Olaf Scholz (SPD) in 2011 macht Hamburg von sich reden in Sachen Wohnungspolitik, wird sogar als „Vorbild beim Wohnungsbau in Deutschland“[1] gefeiert. Gleichzeitig demonstrieren tausende HamburgerInnen beim „Mietenmove“ am 4. Mai 2019 unter der Parole „Mietenwahnsinn stoppen“, geben rund 71,8 % von 4.000 Gewerkschaftsmitgliedern bei einer DGB-Umfrage im November 2019 an, das mit Abstand größte Problem in Hamburg seien die steigenden Mieten und die Wohnungsnot.[2]
Die seit vielen Jahren verfolgte neoliberale Politik der wachsenden Stadt hat für Hamburgs Mieter_innen fatale Folgen. Die Miete frisst das Einkommen auf. Bis zu 30 % des Haushaltseinkommens für die Wohnkosten auszugeben gilt als bundesweite Faustregel. Die Realität in Hamburg sieht anders aus. Laut einer repräsentativen Umfrage der Hamburger Sparkasse vom März 2018 wenden 29 % der Haushalte die Hälfte ihres Einkommens für das Wohnen (Kaltmiete inkl. Nebenkosten) auf, 16 % müssen sogar mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Unterkunft zahlen. Ein Drittel des Einkommens für die Miete geben 40 % aus, nur 11 % der Haushalte zahlen weniger.[3] Und die Tendenz der explodierenden Wohnkosten nimmt stetig zu, wozu auch der so viel gerühmte Neubau beiträgt.
Obwohl in Hamburg vor allem leistbare Wohnungen für Menschen mit wenig(er) Einkommen fehlen – in einer Größenordnung von 150.000 Wohneinheiten laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung[4] – werden mit Unterstützung des mittlerweile rot-grünen Senat fleißig teure Wohnungen gebaut. Von den 55.700 Wohneinheiten, die zwischen 2011 und 2018 neu entstanden sind, gehören 41.200 zu den teuren freifinanzierten oder Eigentumswohnungen. Klassische Sozialwohnungen machen nur knapp 25 Prozent aus (13.700). Das ist umso desaströser, wenn mensch weiß, dass 40 Prozent aller Haushalte in Hamburg so wenig Einkommen hat, dass eine Sozialwohnung beansprucht werden könnte. An dieser Stelle kann dann auch mit der vom SPD-geführten Senat gebetsmühlenartig wiederholten Legende vom sog. Drittelmix im Neubau aufgeräumt werden. Der bedeutet(e), dass je ein Drittel (33,33 %) Sozialwohnungen, frei finanzierte und Eigentumswohnungen entstehen sollen. Für diesen Drittelmix gab es übrigens noch nie eine logische Begründung. So sind z.B. im Jahr 2010 nur 22,6 Prozent aller Wohnungen in Hamburg Eigentumswohnungen gewesen. Diese Quote wird mit dem Drittelmix allerdings stetig in die Höhe getrieben, 2018 lag sie schon bei 23,9 Prozent. Zynisch lässt sich das nur mit dem Motto kommentieren: Kannst du dir die Miete nicht leisten, kauf dir doch einfach eine Wohnung.
Wenn Hamburg als Vorbild im Wohnungsbau gepriesen wird, ist damit vor allem der Umfang des Neubaus gemeint. Ohne Frage steht die Elbmetropole mit ihren 55.700 neugeschaffenen Wohnungen innerhalb von sieben Jahren im Städtevergleich gut da. Doch bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 1,8 Personen reichen diese neuen Wohnungen noch nicht mal rechnerisch aus, um den zusätzlichen Bedarf von 123.000 Einwohner_innen zu decken, die im gleichen Zeitraum nach Hamburg gezogen sind.[5] Und da vor 2011 schon mehrere zehntausend Wohnungen fehlten, ist das Problem noch größer geworden.
Besonders dramatisch wirkt sich die Wohnungsnot auf die Menschen bzw. Haushalte mit geringem oder längst auch schon mittleren Einkommen und auf stark benachteiligte Gruppen wie Alleinerziehende, Zuwander_innen, Studierende und Auszubildende aus. Von den offiziell 1.910 Obdachlosen Ende 2018 sowie den gut 20.000 Wohnungslosen ganz zu schweigen. Das Angebot leistbarer Wohnungen in Hamburg nimmt kontinuierlich. Vor allem die Zahl der Sozialwohnungen ist wie Schnee in der Sonne weggeschmolzen. Von den knapp 100.000 Sozialwohnungen im Jahr 2011 sind Ende 2018 nur noch 80.000 übrig geblieben. Die Zahl der Bindungsausläufe übersteigt alljährlich das Neubauvolumen bei Weitem, im vergangenen Jahr sind z.B. zwar 2.075 neue Sozialwohnungen fertig gestellt worden, aber gleichzeitig 3.455 aus der Bindung ausgelaufen.[6] Es wird zwar eine Menge gebaut, aber eben viel zu wenig für diejenigen, die es auf dem sog. Wohnungsmarkt bitter nötig hätten.
Was den Anteil der Wohnkosten kontinuierlich anwachsen lässt, ist die gigantische Mietenexplosion in Hamburg. Alleine die durchschnittlichen Preise laut Mietenspiegel sind von 7,15 € (2011) auf 8,44 €/qm netto-kalt (2017) angestiegen. Alle zwei Jahre haben sich die ortsüblichen Vergleichsmieten in diesem Zeitraum um 5,2 bis 6,1 % erhöht, zwei- bis dreimal so hoch wie die Inflationsrate. Zehntausende Hamburger_innen erwarten mit Bangen die Verkündung des neuen „Mietenspiegels 2019“, dessen Zahlen im Dezember 2019 vorgelegt werden.
Die reale Problemlage des Mietpreissprungs bei einem Erstbezug oder bei einem Umzug gibt auch der Mietenspiegel nicht wieder. Die Auswertung von rund 5.000 Wohnungsangeboten im Portal „Immowelt“ ergab, dass die Neuvertragsmiete für eine Wohnung im März 2019 im Durchschnitt 13,24 €/qm betrug, 5,8 % mehr als ein Jahr zuvor. Damit aber, so die Macher_innen der Studie lagen die Neuvertragsmieten um 57 % über der Durchschnittsmiete laut Mietenspiegel.[7]
Hier zeigt sich eine der vielen Fehlannahmen, die der Senat seit 2011 gerne kolportiert und die ebenso gerne wie hoffnungsfroh verbreitet wird. „Bauen, bauen, bauen“, so lautet das Credo, wenn es um die Bekämpfung des Mietenwahns geht. Doch Bauen ist alleine schon wegen der stark gestiegenen Grundstückspreise und auch der Baukosten heute teurer denn je. Neubauwohnungen sind generell nicht unter 11 oder 12 €/qm nettokalt zu bekommen. Dieser Mietpreis ist für viele BürgerInnen nicht bezahlbar.
Auf Dauer wird die wachsende Zahl dieser teuer erbauten frei finanzierten Wohnungen auch den Mietenspiegel hochtreiben, im entsprechenden Rasterfeld ist das heute schon ablesbar. Und dann die Sache mit der vermeintlichen Mietpreisbremse, die zumindest bei Weitervermietungen eine Obergrenze von maximal 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete vorsieht. Die Mieten steigen trotzdem munter weiter, wie verschiedene Studien belegen. Sei es wegen der vielen Ausnahmeregelungen bei der Mietpreisbremse, sei es, weil die Durchsetzung der Mietbegrenzung dem/der einzelnen Mieter/in obliegt. Es sind eben nicht viele, die sich gleich nach dem Umzug auf einen Prozess mit ihrer/ihrem Vermieter_in einlassen mögen.
Um den Mietenwahnsinn in Hamburg und in anderen Städten zu beenden, brauchen wir einen radikalen Wechsel in der Mieten- und Wohnungspolitik. Wohnungen sind keine Ware und müssen deshalb dem Markt entzogen werden.
Ein erster schneller Schritt dahin ist der Mietendeckel. Rot-Grün in Hamburg hat bisher jeglichen Mietenstopp nach Berliner Vorbild abgelehnt. Nicht nur DIE LINKE, sondern auch viele außerparlamentarische Bewegungen wie das Recht-auf-Stadt-Netzwerk werden hier den Druck weiter erhöhen.
Große profitorientierte Wohnungsunternehmen in Hamburg wie Vonovia oder Akelius, die ihre Abzocke zu Lasten der Mieter_innen betreiben sind nicht nur auf die Pflichten aus dem Grundgesetz zu verweisen, sondern ggfs. auch auf der Grundlage des Grundgesetzes zu enteignen.
Mit einem flächendeckenden Neubau von Sozialwohnungen, die nach dem Wiener Vorbild „einmal gefördert, immer gebunden“ sind, können die dringend nötigen Wohnungen für die vielen Haushalte mit wenig(er) Einkommen geschaffen werden. Auch dafür ist es notwendig, dass die Stadt ihre Grundstücke nicht mehr verkauft, sondern nur noch im Erbbaurecht vergibt, für den Wohnungsbau z.B. nur an gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen und Akteur_innen.
Mit diesen Maßnahmen könnte Hamburg wirklich zum Klassenprimus werden!
[1] Handelsblatt, 19.10.2019.
[2] Ergebnisse der Mitgliederbefragung des DGB Hamburg vom 12.11.2019, https://hamburg.dgb.de/mitgliederbefragung
[3] Hamburger Abendblatt, 2.3.2018.
[4] Andrej Holm u.a.: Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten? Düsseldorf, April 2018. S. 72 f.
[5] Berechnungen aus der im November 2019 erscheinenden wohnungspolitischen Broschüre der Linksfraktion Hamburg. Zu finden auf der Website www.linksfraktion-hamburg.de.
[6] Zahlenangaben basierend auf eine Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion vom 21.5.2019 (Drs. 21/16990), S. 25. Mehr dazu in der o.a. Broschüre der Linksfraktion.
[7] Laut „Statistiken zum Wohnen in Hamburg“, zusammengestellt vom Mieterverein zu Hamburg: https://www.mieterverein-hamburg.de/de/aktuelles/statistiken-wohnen-hamburg/index.html.