Plenarprotokoll 20/85: Landesprogramm Rechtsextremismus mit Leben füllen

Christiane Schneider DIE LINKE: Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Das Landesprogramm zur Förderung demokratischer Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus steht nach einer Aktuellen Stunde und nach der Ausschussberatung nun zum dritten Mal zur Debatte in der Bürgerschaft. Ich finde das durchaus angemessen,

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg übernimmt den Vorsitz.)

denn wenn auch die organisierten Nazis – ich schaue mir zum Beispiel regelmäßig ihre Websites an – in Hamburg derzeit in einer Krise und deshalb vergleichsweise wenig aktiv sind, gibt es dennoch keinen Grund, in der Aufmerksamkeit nachzulassen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Barbara Nitruch SPD)

Nicht nur, weil wir aus anderen Städten und Regionen von brutalen menschenfeindlichen Aktionen von Rechten erfahren, organisiert zum Beispiel gegen Flüchtlingsunterkünfte, wo die Zahl der Anschläge seit ungefähr einem Jahr ununterbrochen zunimmt, sondern weil die Problematik gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit keineswegs auf organisierte Nazis und andere organisierte Rechte beschränkt ist.
Wir haben es mehrfach gesagt, Herr Warnholz, Sie scheinen nicht zugehört zu haben, dass wir dieses Programm begrüßen. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Senat diesen Ansatz, nämlich die Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, gewählt hat. Damit werden die Vorurteile und Ressentiments gegenüber einer Reihe ganz unterschiedlicher Gruppen in den Fokus genommen. Dabei geht es um Vorurteile und um Ressentiments, die die Gleichwertigkeit und die Unversehrtheit der Angehörigen dieser Gruppen infrage stellen. So unterschiedlich diese Gruppen sein mögen, sie erfahren, weil sie als irgendwie anders wahrgenommen werden, Abwertung und Ausgrenzung bis hin zu körperlicher Gewalt. Zugrunde liegt all diesen Vorurteilen und Ressentiments gegen Gruppen Andersaussehender oder Anderslebender eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Es geht bei diesem Ansatz zur Förderung demokratischer Kultur eben nicht nur um eine eingegrenzte Gruppe von Nazis und anderen Rechten, sondern dieser Ansatz wendet sich an die ganze Gesellschaft. Er zielt darauf, die Gesellschaft zu sensibilisieren gegen rassistische, antisemitische, antiziganistische – das möchte ich an dieser Stelle betonen –, sozialdarwinistische, homophobe, also gruppenbezogene Vorurteile und Ressentiments.

(Beifall bei Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Gegen solche Vorurteile und Ressentiments ist niemand in dieser Gesellschaft per se gefeit. Sie sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft zu finden, das zeigen die seit 2006 zweijährlich von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen „Mitte-Studien“. Danach sind antidemokratische Einstellungen in allen Teilen der Gesellschaft in erheblichem Maße anzutreffen und keineswegs nur bei einer kleinen Gruppe am rechten Rand. Dabei stieg jedoch die Zahl derer, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben und vertreten, zwischen 2010 und 2012 von 8,2 auf 9 Prozent. Das ist viel, das ist fast jeder Zehnte oder Elfte. Der Ansatz, den das Programm wählt, ist nach unserer Auffassung geeignet, diskriminierende Vorurteile und Haltungen und ihre Verfestigung zu einem geschlossenen Weltbild auch präventiv zu bekämpfen und die Zivilgesellschaft zu ermuntern, dem Austoben gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im öffentlichen Raum offensiv entgegenzutreten.
Als noch unzureichend sehen wir die Handlungskonzepte für staatliche Institutionen. Ihre interkulturelle Öffnung ist Bestandteil des Programms und in der Tat eine wichtige Aufgabe, unverzichtbar dafür, Barrieren wegzuschaffen, die vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch andere Gruppen, diskriminieren und ihnen das Leben immer noch schwer machen. Ich möchte aber an eine Erkenntnis erinnern, die nicht nur DIE LINKE, sondern auch die SPD aus dem NSU-Untersuchungsausschuss gezogen hat. Die SPD kritisiert in ihrer ergänzenden Stellungnahme zum Abschlussbericht auf Seite 877 der Bundestagsdrucksache 17/14600 – ich zitiere –: „Strukturelle rassistische Vorurteile waren eine wesentliche Ursache für die fehlende Offenheit der Ermittlungen zu den Morden und Sprengstoffattentaten des NSU“ – Zitatende.
Darüber werden wir im Zusammenhang der jetzt endlich vorliegenden Senatsdrucksache zum NSU-Komplex sicher noch ausführlicher sprechen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Fraktion hält es jedoch für problematisch, gerade weil bekannt ist, dass in den Behörden durchaus die eine oder andere Konsequenz für die Arbeitsweise gezogen wird, dass dieses Problem aus dem Landesprogramm ausgespart wird. Wichtig ist nun, die Umsetzung des Landesprogramms regelmäßig zu überprüfen und die Kontinuität der Programme und Handlungsschwerpunkte zu sichern. Ebenso wichtig ist eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Auch bedarf es gegenüber dem Bund im Hinblick auf seine Beteiligung an solchen Maßnahmen wohl eines ständigen Drucks.
Das ist im Landesprogramm im Prinzip enthalten; es wird angekündigt, dass man die Bundesregierung immer wieder sozusagen ermahnen werde, selber die Programme fortzusetzen und zu versteti-gen. Wir werden das aufmerksam und kritisch verfolgen. – Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Barbara Nitruch und Dr. Mathias Petersen, beide SPD)