Rekordverschuldung: Quittung für unsolide Haushaltspolitik

In seiner heutigen Rede bei der Aktuellen Stunden der Hamburgischen Bürgerschaft stellte Dr. Joachim Bischoff dem Senat ein schlechtes finanzpolitisches Zeugnis aus. Der Senat hätte spätestens Mitte 2008 das finanz- und wirtschaftspolitische Ruder herumreißen müssen, habe stattdessen zu lange nicht auf die Krise reagiert. Zudem bezweifelt Bischoff die unterstellte Konjunkturerholung ab 2011 und forderte verstärkte Anstrengungen für einen Strukturwandel der regionalen Wirtschaft.

Weiterhin empfahl Bischoff Streichungen bei den Leuchtturmprojekten in Kombination mit einer Millionärssteuer, Vermögenssteuer etc. Er kündigte konkrete Streichungsvorschläge seiner Fraktion für die Horner Doppelrennbahn, Elbphilharmonie und HCU an und sagte dem angeschlagenen Finanzsenator Freytag schwere Zeiten in den Kürzungsverhandlungen des Senats voraus.

Ende August hat Finanzsenator Freytag vor der Presse die  Beschlüsse zur Anpassung des Doppelhaushalts 2009/2010 an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorgestellt. Hamburg muss bis 2013 mit Steuermindereinnahmen von 6 Mrd. Euro rechnen. Allein für 2009 und 2010 ergibt sich dadurch ein Haushaltsdefizit von 3,5 Mrd. Euro.

In der Drucksache 19/3921 führt der Senat als Argument an: „Die Weltwirtschaft und die deutsche Wirtschaft befinden sich derzeit in der tiefsten Rezession seit der großen Depression bzw. seit Gründung de Bundesrepublik… Auf die historisch einmalige und unvorhersehbare Finanzkrise und Rezession konnten sich Bund, Länder und Gemeinden in ihren Haushaltsplanungen nicht einstellen.“

Der Senat will in dieser Konstellation auf „radikale Kürzungsmaßnahmen“ und „massive Privatisierungen städtischen Eigentums“ verzichten, sondern setzt auf antizyklisches Gegensteuern über Neuverschuldung. Ein Satz wie der folgende kommt einer Kapitulationserklärung für die traditionelle CDU-Finanzpolitik gleich. „Das Haushaltsloch ist so groß, das man nicht dagegen ansparen kann“, sagte Freytag.

Die wesentlichen kritischen Punkte sind:

1.    Der Senat hätte spätestens bereits Mitte 2008 das finanz- und wirtschaftspolitische Ruder herumreißen müssen.
Richtig bleibt: die Massivität der Krise hätte auf bei einer sparsamen oder vernünftigen Finanzpolitik, die jetzige Situation ohne Neuverschuldung nicht auffangen können.

2.        Auf große Kürzungsorgie hat die schwarz-grüne Koalition verzichtet, um die wirtschaftliche Situation zu stabilisieren und Investitionen, Beschäftigung und Wachstum nicht zu gefährden.

Allerdings: Ich habe große Zweifel, ob die unterstellte Konjunkturerholung ab 2011 und damit erhöhte Steuereinnahmen eintreten werden. Meines Erachtens orientiert sich die Partei die LINKE bundesweit wie in den Ländern zu Recht auf ein aktives Anti-Krisenprogramm mit dem Ziel der Umstrukturierung der bislang sehr exportgeprägten Ökonomie. Stabilisierungspolitik ist o.k., aber wir brauchen verstärkte Anstrengungen für einen Strukturwandel der regionalen Ökonomie. Die gewohnten Verhältnisse der Exporgetriebenen Wirtschaft werden auch für Hamburg nicht zurückkehren.

3.     Der Senat beansprucht bereits im Rahmen der Aufstellung des Doppelhaushaltes 2009/10 die regionale Ökonomie und die öffentlichen Finanzen auf die anrollende Krise eingestellt zu haben.

Dies ist nachweislich unzutreffend. Die schwarz-grüne Regierungskoalition hat alle Anträge der Krise offensiv zu begegnen und daher auch im Haushalt Gegenmaßnahmen vorzusehen, weg gestimmt. Die Krise konnte zwar nicht mit normalen Mitteln aufgefangen werden, aber es ist von der Verabschiedung des Haushaltes im März 2009 bis heute viel Zeit verschenkt worden.

4.    Die Zinsen für die Neuverschuldung sollen durch Umschichtungen und Sparen aufgebracht werden.

In der Tat könnten die 82 Millionen Euro für 2010  locker durch Streichungen von so genannten Leuchtturmprojekten in Kombination mit einer Verbesserung der Einnahmesituation (Millionärssteuer, Vermögenssteuer etc.) finanziert werden. Wir werden daher in den nächsten Wochen auch wiederum konkrete Streichungsvorschläge auf den Tisch legen wie Horner Doppelrennbahn, Elbphilharmonie, HCU etc.

5.    Es gibt auch noch einen politischen Hintergrund zu dieser Entscheidung:

Die dramatische Korrektur des Haushalts hat für Freytag noch einen zusätzlichen bitteren Beigeschmack: Sie ist mit einer politischen Niederlage verbunden. Hinter den Kulissen hatte sich Freytag heftig gegen eine Neuverschuldung von 6 Milliarden Euro gewehrt. Der Finanzsenator wollte im laufenden und im kommenden Jahr jeweils nur etwa 600 Millionen Euro Schulden machen – das entspricht der Summe der erwarteten Steuerausfälle. Erst später sollte sich die Schuldenspirale dann schneller drehen. Doch Freytag konnte sich nicht durchsetzen. In einer kleinen Runde überzeugten die Spitzen der Koalition den Senator davon, dass der kräftige Griff in den Schuldentopf sofort erforderlich ist. Das zentrale Argument, das GAL-Fraktionschef Jens Kerstan auch öffentlich benannte, ohne jedoch die internen Differenzen zu erwähnen: Eine Nettoneuverschuldung von mehr als 1,6 Milliarden Euro ist nur jetzt möglich, weil der Senat eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ festgestellt hat.

Wenn das Krisental durchschritten ist, entfällt diese Notstandsklausel. Dann sprudeln aber die Steuereinnahmen nicht sofort wieder, sodass eine gefährliche Finanzierungslücke entstehen könnte, weil der Senat das Gesamtvolumen von sechs Milliarden Euro nicht mehr erreichen kann.

Die politische Position des Finanzsenators ist sehr stark durch die HSH Nordbank-Krise und zusätzlich durch die Rettungsaktion für Hapag-Lloyd geschwächt. Dies wird Konsequenzen haben:  Vor dem Rathaus-Bündnis stehen schwierige Verhandlungen über die Einsparungen, die erforderlich sind, um die Zinsen für die neuen Schulden zu begleichen.
Freytag hat  einen schweren Stand im Bündnis. In der Senatorenvorbesprechung, die der Landespressekonferenz vorausging, schlugen die Wogen der Empörung wegen seines Kommunikationsstils hoch. Nach Berichten über umstrittene Halteprämien für HSH-Mitarbeiter und einen Bankauftrag an die Beratungsfirma SAM, in der Mitarbeiter der Pleite gegangenen Sachsen LB arbeiten, hagelte es Kritik. Der Senat sei zum wiederholten Mal in die Defensive geraten, weil unvermeidliche Entscheidungen nicht offensiv „verkauft“ würden. Ein Teilnehmer der Runde sprach nachher von einer „filmreifen Lage“, weil Freytag der Kritik nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hatte.