Rote Flora und andere Konflikte
Die gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um den 21.12. und die Einrichtung eines sogenannten Gefahrengebiets über mehrere Stadtteile der Innenstadt haben Hamburg in den letzten Wochen in Atem gehalten und für bundesweite Schlagzeilen gesorgt. Das am 4.1. eingerichtete Gefahrengebiet wurde aufgrund eines friedlichen, subversiven Widerstands, dessen Symbol die Klobürste wurde (siehe z.B. http://www.tagesschau.de/inland/klobuerste100.html ), und einer kräftigen, vor allem auch bundesweiten Kritik erst eingeschränkt und am 13.1. ganz aufgehoben.
Mit der Ausweisung eines Gefahrengebiets, einer Sonderrechtszone, ermächtigt sich die Polizei selbst, anlasslos und verdachtsunabhängig Personen anzuhalten und ihre Sachen in Augenschein zu nehmen. Schon in den ersten vier Tagen hatte die Polizei in den betroffenen Vierteln – Szeneviertel mit bunten, alternativen städtischen Milieus, insgesamt mehrere zehntausend Anwohner und an den Wochenenden noch einmal so vielen Besuchern – weit über 1000 Maßnahmen vorgenommen: Personenkontrollen, Durchsuchungen, Platzverweise und Aufenthaltsverbote sowie Ingewahrsamnahmen. Zweck war offensichtlich die Machtdemonstration der Staatsgewalt.
Während noch dieser Artikel geschrieben wird, ist der Senat überraschend einen – womöglich entscheidenden – Schritt weitergegangen: hin zu einer politischen Lösung des Konflikts um die Rote Flora. Er hat am 14.1. auf einer Pressekonferenz den Willen erklärt, die Rote Flora zurückzukaufen. Der Konflikt um die Rote Flora war der zentrale Anlass der Demonstration.
„Ihr kriegt uns hier nicht raus! Das ist unser Haus“
(Rio Reiser, Rauch-Haus-Song)
Seit 1989 besetzt, dient das Gebäude unter dem Motto „Flora bleibt unverträglich“ als autonomes Stadtteilkulturzentrum, als Zentrum für Kunstaktionen und Stadtteilfeste, Ort politischer Diskussionen und Aktivitäten und des politischen Widerstands z.B. gegen Gentrifizierung, Privatisierung des öffentlichen Raums, Herberge z.B. für das Archiv für soziale Bewegungen oder eine Motorradreparaturwerkstatt, selbst finanziert über Konzerte und ähnliche Veranstaltungen. Nach längeren ergebnislosen Verhandlungen unter dem Druck von Räumungsandrohungen Anfang der 90er Jahre und einer langen Phase konfliktreicher De-facto-Duldung verkaufte der Senat das Gebäude im März 2001 kurzerhand an den Immobilienhändler Kretschmer, um das Thema aus dem Wahlkampf herauszubekommen. Schills Aufstieg war damit nicht aufzuhalten, er erhielt im September 2001 19,4% der Stimmen und wurde Innensenator.
Natürlich wurde die Stadt den Konflikt nicht los. Die provokativen Verkaufs- und Räumungsandrohungen des inzwischen insolventen Immobilienhändlers sorgten zunehmend für Unruhe, die aufgrund des großen Symbolgehalts der Roten Flora auch bundesweit mobilisierbar ist. Mit einem neuen Bebauungsplan beabsichtigte die Stadt, Nutzungsänderungen und damit Verkaufsabsichten einen Riegel vorzuschieben, doch die Hoffnung, den Konflikt damit zu befrieden, konnte nicht aufgehen. Wie seine Vorgänger hat auch der heute regierende SPD-Senat nicht nur die emotionalen, sondern vor allem die rationalen Aspekte des Konflikts um die Rote Flora unterschätzt.
Die (nicht nur) bundesrepublikanische Geschichte kennt einige harte und gewaltträchtige Konflikte, in denen jugendliche Milieus mit traditionellen Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung und in der Folge mit der Staatsgewalt heftig aneinandergerieten. Konflikte, in denen es um kulturelle Selbstbestimmung und Freiräume ging: die „Schwabinger Krawalle“ 1962, der Kampf um das Georg-von-Rauch-Haus in Berlin Anfang der 1970er, die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die „Freistadt Christiania“ in Kopenhagen etwa, und eben die Rote Flora.
Gerade für das in jeder Hinsicht verdichtete städtische Leben spielt die Frage des Raums, des Ortes, der den eigenen Handlungsraum materiell ermöglicht und sichert, eine bedeutende Rolle. Es liegt nahe, dass der Blick auf öffentliches Eigentum fällt. Die Flora, vormals Konzerthaus, Theater, Kino, war seit 1964 in städtischem Besitz, an ein Discount-Unternehmen vermietet, bis sich 1987 ein Musical-Produzent interessierte, der das Gebäude zu einem riesigen Musical-Theater ausbauen wollte. Aus der Auseinandersetzung um dieses Projekt entwickelte sich schließlich die Besetzung des Gebäudes. Indem der Senat 2001 aus Furcht vor dem rechtspopulistischen Law-and-Order-Mann Schill die Möglichkeit einer Verhandlungslösung fallen ließ und die Flora privatisierte, hat er den legitimen Anspruch der vielfältigen Nutzergruppen auf die Nutzung öffentlichen Eigentums schleichend, aber wirksam delegitimiert.
Nur wenige Jahre später beschloss die Bürgerschaft einstimmig, der gutbürgerlichen Gesellschaft die Elbphilharmonie zu erbauen – rund 800 Millionen sind es inzwischen, die aus dem städtischen Haushalt für diesen Kulturtempel verausgabt werden sollen. Das steht sachlich in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu dem, was die Stadt für widerständige Jugend und ihren Anspruch auf kulturelle Freiräume zur Verfügung zu stellen bereit ist.
Die jetzige Ankündigung, die Rote Flora kaufen zu wollen, weckt die Hoffnung auf einen Kurswechsel – wenn damit die Absicht verbunden ist, den durch die Nutzerinnen und Nutzer selbstbestimmten Gebrauch der Roten Flora als legitimen Anspruch sichern zu wollen.
„Die Stadt gehört allen“
Im Ranking von „Mehr Demokratie“ nimmt Hamburg in Sachen direkter Demokratie mit zahlreichen Volksentscheiden die Spitzenposition ein. Tatsächlich gibt es ein recht fortschrittliches Volksgesetzgebungsverfahren und ein Transparenzgesetz, das die Kontrolle der Verwaltung durch die Öffentlichkeit enorm erleichtert. Doch die (gescheiterte) Demonstration mit ihren drei zentralen Anliegen – „Die Stadt gehört allen! Refugees, Esso-Häuser und Rote Flora bleiben“ – lenkt den Blick auf ein grundlegendes Problem.
Wie wir in dieser Stadt (zusammen)leben wollen, wie vielfältige Lebensstile und Lebensentwürfe zur Geltung kommen können, ist eine zentrale Frage, die durch permanente Aushandlungsprozesse beantwortet wird. Es geht um das weite Feld der Partizipation. Solche Aushandlungsprozesse, in denen es schon mal ordentlich zur Sache geht, können nur funktionieren, wenn die Stadt, die Verwaltung nicht als Machthaber agiert, der entscheidet, sondern als Sachwalter. Das gilt für den von einem erheblichen Teil der Stadtgesellschaft geforderten solidarischen Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen ebenso wie für die Problematik der Esso-Häuser (http://www.initiative-esso-haeuser.de/) und des „Rechts auf Stadt“.
Wenn der Bürgermeister der großen Solidaritätsbewegung mit den Lampedusa-Flüchtlingen am Vortag der Demonstration das Recht abspricht, ihn und seine Flüchtlingspolitik zu kritisieren (Mopo, 20.12.), wenn sich der Innensenator nach dem 21.12. zu der absurden Behauptung versteigt, dass es in Hamburg kein konkretes politisches Problem gibt, dann gibt der Senat den Machthaber, der die Interessen und das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern für nichtig erklärt und ihr Recht auf Partizipation negiert. Dann bleibt zur Lösung der bestrittenen, aber sehr realen Konflikte letztlich nur die Polizei. In diese Situation hat sich der Senat manövriert und aus dieser Situation muss er sich jetzt herausarbeiten.
Die Gewaltfrage
Die modernen Stadtgesellschaften sind auf zivilisatorische Prozesse angewiesen, die entgleisen können. Dann ist die Wende zurück zu zivilgesellschaftlich tragbaren Verkehrsformen notwendig, aber nicht einfach. Derzeit gibt es vor allem aus den Reihen der SPD massive Versuche zu Aufrufen und Resolutionen, die die „anständige“ Gesellschaft, die sich „Hamburg gegen Gewalt“-Aufrufen anschließt, gegen den Rest, der sich solchen Aufrufen aus unterschiedlichen Gründen nicht anschließt, zusammenschmieden soll. Das ist für die notwendige Rückkehr zu zivilgesellschaftlich tragbaren Verkehrsformen nicht hilfreich. Schon die kritische Auseinandersetzung mit Polizeimaßnahmen wurde in den vergangenen Wochen stets als Unterstützung für Gewalt interpretiert, mochte die Abgrenzung noch so deutlich ausfallen.
Als ginge es der Kritik darum, das staatliche Gewaltmonopol theoretisch in Frage zu stellen, um Gewalt zu legitimieren. Aber es geht nicht um Legitimation von Gewalt. Vielmehr ist mit der Tatsache umzugehen, dass das staatliche Gewaltmonopol seine Funktion, Gewalt aus der Gesellschaft zu verbannen, nie vollständig und nie endgültig erfüllt, wie tagtägliche individuelle Gewalt ebenso wie zahlreiche inner- oder zwischenstaatliche Gewaltausbrüche kollektiver Art belegen. Deshalb sei, so der Kriminologe Fritz Sack (in: Fraktion die LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft, Demokratisierung der Polizei), der Kampf gegen Gewalt prekär und eingedenk seiner politisch und anthropologisch allgegenwärtigen Latenz zu führen.
Unabhängig von der politischen und strafrechtlichen Aufarbeitung der Vorkommnisse rund um den 21.12. hängt der Erfolg der Auseinandersetzung mit der Gewalt nicht zuletzt davon ab, dass die zugrundeliegenden Konflikte, die ihre Dynamik ausgelöst haben, anerkannt, politisch angegangen und gelöst und nicht bestritten und unterdrückt werden. Und davon, dass die institutionelle Kontrolle der Institution, die Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols ist, wahrgenommen wird.
Christiane Schneider