Tempo 30-Anträge: Horrende Gebühren statt Gesundheitsschutz

Über 400 Anträge auf Tempo 30 für den Gesundheitsschutz

Von Heike Sudmann

Weniger Straßenverkehrslärm und bessere Luft wünschen sich bestimmt viele HamburgerInnen. Das muss jedoch kein Wunsch bleiben, sondern kann direkt vor der eigenen Haustür Wirklichkeit werden. Die Straßenverkehrsordnung (StVo) ermöglicht seit einigen Jahren, „zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen“ Geschwindigkeitsreduzierungen oder Durchfahrverbote für bestimmte Straßen(abschnitte) umzusetzen (§ 45 StVo, Absatz 1, Satz 2, Nr 3). Dazu müssen die Betroffenen einen Antrag stellen. Mit Hilfe des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) haben mehr als 400 HamburgerInnen wegen Überschreitung der Lärm- und/oder Abgaswerte vor ihrer Haustür eine Geschwindigkeitsreduzierung auf Tempo 30 beantragt.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 4.6.1986 – 7 C 76.84 und BVerwG, Urteil vom 22.12.1993 – 11 C 45.92 ) haben die Antragstellerinnen und Antragsteller ein Anrecht darauf, dass die Behörden verkehrsbeschränkende Maßnahmen wie Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Durchfahrtverbote zum Schutz vor Lärm und Abgasen erwägen, wenn die Belastung jenseits des Ortsüblichen liegt. Dabei gilt eine Prüfpflicht ausdrücklich dann, wenn in Wohngebieten die nächtlichen Lärmwerte über 49 dB(A) oder die täglichen Werte bei über 59 dB(A) liegen. Bei Werten von über 60 dB(A) nachts bzw. 70 dB(A) tagsüber steht den Betroffenen darüber hinaus in der Regel sogar ein Rechtsanspruch auf Schutz vor Verkehrsemissionen zu. Dasselbe gilt, wenn die EU- Grenzwerte für Stickoxid, Feinstaub oder andere Abgase überschritten werden.

Statt Entscheidung flatterten Gebührenandrohung ins Haus

Die ersten Anträge wurden in 2015 gestellt, in 2016 und 2017 kamen dann Hunderte hinzu. Doch statt einer Entscheidung bekamen im Spätsommer 2017 alle AntragstellerInnen ein Schreiben, dass für die inhaltliche Prüfung der Anträge bis zu 360 Euro Gebühren anfallen werden. Wenn der Antrag vor diesem Hintergrund aufrecht erhalten bleiben solle, möge mensch sich bitte bei der Behörde melden. Da bekanntlich an den Hauptverkehrsstraßen Tempo 50 und mehr erlaubt ist und bekanntlich dort häufig Menschen mit wenig Einkommen wohnen, verwundert es nicht, dass die wenigsten ihren Antrag aufrecht erhalten haben. Aus über 400 Anträgen wurden somit nur noch 49 Anträge. Um diese Abschreckungstaktik zu stoppen, hat die Fraktion DIE LINKE im Spätsommer 2017 die Gebührenfreiheit für die Tempo-30-Anträge beantragt

Hamburg erhebt als einzige Großstadt Gebühren

Fast eineinhalb Jahre später wurde der Antrag im Verkehrsausschuss am 17. Januar 2019 behandelt. Rund 50 DemonstrantInnen säumten den Eingang und nahmen später auch an der Sitzung teil. Doch ihre Forderung nach Gebührenfreiheit und nach Bearbeitung aller Anträge fand kaum Gehör, trotz eines engagierten Vortrages von Jens Deye vom ADFC und trotz der vielen Punkte und der Kritik meinerseits, denen der Senat nichts entgegensetzte konnte. Hamburg ist die einzige Großstadt, die Gebühren für die Bearbeitung dieser Anträge erhebt. In Berlin z.B. müssen die BürgerInnen für den beantragten Schutz ihrer Gesundheit keine horrenden Gebühren bezahlen. Der Versuch des Senats, mit der beeindruckenden Zahl von 2.000 Kilometern Stadtstraßenlänge, wo bereits Tempo 30 gilt, zu punkten, scheiterte kläglich. Denn auf fast genau so viel Kilometern Stadtstraßen gilt Tempo 50 und mehr – worauf ich den Senat hinweisen musste.  Die Geschwindigkeitsreduzierung von 50 km/h auf 30 km/h bringt eine Entlastung von 3 dB (A), womit in vielen Hamburger Straßen ein gesundheitsverträglich(er)es Maß hergestellt werden könnte.

Linker Antrag auf Gebührenfreiheit wird abgelehnt

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Gebührenfreiheit (Drs. 21/10225) wurde von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Gegen die Stimmen der LINKEN wurde ein rot-grüner Antrag angenommen, der weiterhin eine Gebührenerhebung ermöglicht. Die dort angesprochene soziale Staffelung ist allerdings laut Aussagen der Senatsvertreter im Verkehrsausschuss nicht möglich. Nur für Menschen mit Behinderungen könnten die Gebühren gesenkt werden.

Der Senat und die rot-grüne Bürgerschaftsmehrheit haben für die Gesundheit der HamburgerInnen zu sorgen. Es ist nicht ihre Aufgabe, mit wahnwitzigen Gebührenforderungen Tempo-30-Anträge zu verhindern. Die Anträge müssen umgehend und vor allem gebührenfrei bearbeitet werden.

 

Dieser Artikel ist im  BürgerInnenbrief von Christiane Schneider und Heike Sudmann erschienen. Den ganzen Rundbrief finden Sie hier.  Alle BürgerInnenbriefe der letzten Jahre können Sie hier einsehen. Wenn Sie den BürgerInnenbrief per E-Mail beziehen möchten, schicken Sie eine Mail an urvxr.fhqznaa@yvaxfsenxgvba-unzohet.qr oder puevfgvnar.fpuarvqre@yvaxfsenxgvba-unzohet.qr.