Hamburg wagt mehr Akzeptanz: Ein längst überfälliger Schritt
Ein Kommentar von Martin Dolzer, queerpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft
Nun ist er also da – der „Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“. Fast zwei Jahre hat es gedauert, bis die Behörde für Wissenschaft und Gleichstellung endlich einen Plan zur Weiterentwicklung der Akzeptanz von queeren Menschen in Hamburg vorlegt. Das lässt zwar erkennen, dass dieses Thema nicht unbedingt im Fokus der Behörde liegt– obwohl es einen deutlich höheren Stellenwert in der Stadt haben sollte. Andererseits hat man sich nun offenbar Zeit genommen, um mit queeren Menschen in der Stadt zu sprechen. Das ist gut so. Hier haben die beteiligten Behörden gute Arbeit geleistet. Viele Probleme wurden im Aktionsplan richtig erkannt und gute Lösungsansätze gefunden – so findet sich im Aktionsplan etwa eine nicht unerhebliche Zahl an Forderungen und Ideen zur Selbstorganisation wieder.
Grundsätzlich wichtig ist: Die Lebenssituation von LSBTI – also von Lesben, Schwulen, Bi, Trans- und Inter-Menschen – sollte ernst genommen werden. Gesellschaft und Politik sollten ein für diese Menschen diskriminierungsfreies Leben als Ziel anstreben und dieses auch mit konkreten Maßnahmen umsetzen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, doch jeder einzelne Schritt bis zur Erreichung dieses Ziels wichtig.
DIE LINKE wird den Prozess, der dem Aktionsplan folgen wird, daher mit Respekt und, wenn nötig, auch mit Kritik begleiten. Unbedingt nötig ist aus unserer Sicht eine Evaluation der im Plan festgelegten Vorhaben. Und ein grundsätzliches Problem bleibt bestehen: Der Bereich „Queer“ ist nach wie vor stark unterfinanziert.
Dialog kommt noch zu kurz – mehr Zeit für Runde Tische!
Doch kommen wir zunächst zum Beteiligungsprozess der zivilgesellschaftlichen Akteure. Grundsätzlich ist es sehr gut, dass Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und die Behörden die Akteur_innen und die städtische Community bei der Entwicklung des Aktionsplans einbezogen haben. Auch die Beteiligten bewerten dies positiv – allerdings kritisieren sie, dass der eigentliche Dialog bei den Gesprächen im Beteiligungsprozess aufgrund von starren (Zeit-)vorgaben durch die Moderation oft zu kurz kam. Dass könnte verbessert werden, da doch gerade der Austausch von Praxiserfahrung als produktiv empfunden wurde und gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Deshalb könnte diesem Aspekt in zukünftigen runden Tischen mehr Zeit und Raum gegeben werden.
Und noch eines müssen wir kritisch anmerken: Während Vermögens- oder Politikberater_innen das Geld für ihre Tätigkeit oftmals geradezu nachgeschmissen wird, ist die Beratungsarbeit der beteiligten Akteur_innen in diesem Fall „für lau“ erfolgt – und das bei hohem Zeitaufwand. Wer den Queerbereich stärken will, sollte sich jedoch eines bewusst machen: Die Beratung von McKinsey, Bertelsmann und Co. orientiert sich weitgehend an kapitalistisch-patriarchalen Normen und dient der Förderung und Durchsetzung der Interessen bestimmter Eliten, während die Politikberatung durch queere Selbstorganisierung einen basisdemokratischen Prozess darstellt. Es stellt sich also die Frage – „which side are you on“?
Ergänzungen: Mit welchen Problemen sind LGBTIQ heute noch konfrontiert?
Neben den im Aktionsplan enthaltenen Forderungen und Ideen fehlt es an der einen oder anderen Stelle aber auch an einer Konkretisierung und Ideen zu ihrer Umsetzung.
Einige Aspekte und Ergänzungsvorschläge:
- Es wird richtig benannt, dass Arbeit und Beruf eine wirtschaftliche Grundlage sind und queere Menschen oft weniger Zugang dazu haben – dann werden aber nur wenige konkrete Vorschläge gemacht, wie die Situation geändert werden könnte
- Eine Idee wäre, dass Trans-Menschen in der Personalentwicklung im Öffentlichen Dienst angemessen berücksichtig werden – der öffentliche Dienst könnte da eine Vorreiterrolle spielen.
- Richter_innen am Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht müssten bezüglich der Lebenssituation von queeren Geflüchteten geschult werden, um der in letzter Zeit zunehmend menschenrechtsverletzenden und retraumatisierenden Befragungs- Abschreckungs- und Abschiebepraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entgegen wirken zu können. So wird die Abschiebung queerer Geflüchteter in Länder, in denen sie verfolgt werden, etwa damit begründet, dass sie ihr Queersein dort ja „heimlich“ leben könnten. Das widerspricht geltendem Recht und ist zynisch. Auch eine auf sexuelle Praktiken abhebende Befragungspraxis seitens der Mitarbeiter_innen des BAMF ist nicht hinnehmbar.
- Altersarmut ist besonders für lesbische Menschen ein Problem, da Frauen aus mehreren Gründen weniger hohe Altersrenten beziehen. Dort müsste ein Ausgleichsmechanismus gefunden werden.
- Die unfreiwilligen Operationen von Inter-Menschen müssten aufgearbeitet werden, sowohl im kollektiven wie im individuellen Rahmen. Informationen über geschehenes Unrecht werden von medizinischen Institutionen und Ärzt_innen jedoch weiterhin zu oft vorenthalten. Zudem hat die Zahl der unfreiwilligen Operationen bei Inter-Kindern nicht abgenommen, obwohl die entwürdigende Diagnose, dass Intersexualität ein Krankheitsbild sei, seltener geworden ist. Diesbezüglich findet jedoch eine wirklich perfide Umcodierung des Eingriffs – Operationen werden als „leichte kosmetische Korrektururen im Genitalbereich“ bezeichnet. Dieser Eingriff aber ist nach wie vor eine Menschenrechtsverletzung.
- Im Gesundheitsbereich könnte zudem die Arbeit des MDK Nord auf Landesebene geprüft werden, der bei der Genehmigung von gesundheitlichen Maßnahmen für Trans-Menschen eine kritisierenswerte und willkürliche, zuweilen sogar erniedrigende Praxis an den Tag legt.
- Insgesamt sollte die Verantwortung für die gesundheitlichen Maßnahmen für Trans-Menschen nicht derart stark auf die Bundesebene abgeschoben werden.
Um langfristig ein diskriminierungsfreies Leben für queere Menschen zu ermöglichen, muss schließlich auch Bildung auf allen Ebenen stattfinden, wie im Aktionsplan richtig erkannt wurde.
Es wäre ein sinnvolles und gutes Signal, wenn Vordenker_innen und starke queere Persönlichkeiten öffentlich geehrt würden – etwa durch Namensgebungen von Straßen, Schulen, Bibliotheken oder Brücken. Warum sollte es etwa keine „Angie Startest“-Musikschule geben?
Doch seien wir ehrlich: Insgesamt ist es noch ein weiter Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft. Institutionalisierte und individuelle Diskriminierung sind an der Tagesordnung, Rechtspopulisten und Faschist_innen versuchen ihre rassistischen, nationalistischen und homophoben Ideologien durchzusetzen und hetzen gegen „nichtkonforme“Menschen. In diesem Kontext ist der Aktionsplan der Stadt Hamburg ein guter erster Schritt, der nun in die Tat umgesetzt werden muss – und dem noch viele weitere Schritte folgen müssen. Daran wird DIE LINKE zusammen mit den queeren Akteur_innen intensiv weiterarbeiten.
Bild: colourbox.de