Friesenhof: „Das erinnert an ein Straflager“
Nach den Skandalen um die „Haasenburg“-Heime und den „Schönhof“ steht Hamburgs Sozialbehörde erneut in der Kritik: Wieder hat die Behörde Kinder und Jugendliche in Heimen auswärtig untergebracht, gegen die schwerwiegende Anschuldigen vorgebracht werden, wieder scheint die Fachaufsicht nicht zu funktionieren. Im aktuellen Fall geht es um drei Einrichtungen der Barbara Janssen GmbH („Friesenhof“ Büsum) in Schleswig- Holstein, in denen in den letzten sieben Jahren 80 Mädchen und junge Frauen aus Hamburg untergebracht waren.
Das Landesjugendamt (LJA) Schleswig-Holstein hat im Februar 2015 den Weiterbetrieb der Einrichtungen an scharfe Auflagen gebunden und damit Praktiken untersagt, die dort offensichtlich bis zu diesem Zeitpunkt zur pädagogischen Realität gehörten. Das Schreiben des LJA lässt den Schluss zu, dass sich die Mädchen und Frauen bis in die jüngste Zeit hinein vor dem fast ausschließlich männlichen Personal nackt ausziehen und ihre persönliche Bekleidung Abgeben mussten. Es scheint, als seien sie dabei teilweise gegen ihren Willen fotografiert oder gefilmt worden. Zudem seien Fenstergriffe abmontiert und Kollektivstrafen verhängt, Briefe geöffnet und zurückgehalten sowie ungestörte Telefonate mit Erziehungsberechtigten verweigert worden. Das LJA untersagt bis dahin offenbar gängige entwürdigende Maßnahmen („insbesondere ,Aussitzen‘, Anschreien, Beschimpfungen, Wecken zur Nachtzeit (…), Essensentzug, Zwang zur Essensaufnahme, Zwang zum Tragen bestimmter Kleidung, Zwang zum Entkleiden, Sprechverbot, Strafsport, Sport zur Nachtzeit etc.“). Die Leiterin des Trägers, Barbara Janssen, räumte sogar ein, dass „die Jugendlichen mit harter Hand geführt werden“, bestreitet jedoch einen Teil der Vorwürfe. Grund zum Handeln sah und sieht die Hamburger Sozialbehörde laut Senatsantwort nicht – die Auflagen des LJA Schleswig-Holstein, die die Zustände nun beendet hätten, seien „ausreichend, um den Kinderschutz zu gewährleisten“.
Aus der Antwort des Senats auf eine Schriftliche Kleine Anfrage (Drs. 21/509) der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft geht hervor, dass die Hamburger Fachbehörde überhaupt erst durch die Anfrage von den Zuständen in den Heimen und den daraus resultierenden Auflagen erfahren hat. Die Jugendämter in Wandsbek, Mitte und Harburg haben das Schreiben des LJA aber im Februar 2015 übermittelt bekommen, jedoch laut Senatsantwort nicht an die Behörde weitergegeben. Vor dem Hintergrund, dass die Jugendämter aber laut Antwort auf Frage 6 mehrere Beschwerden von jungen Frauen über „menschenunwürdige Behandlung“, „grenzüberschreitendes Verhalten der Mitarbeiter“ und „demütigende Strafmaßnahmen“ erhalten haben, verstärkt sich der Eindruck, dass keine fachliche Aufsicht vorhanden war. „Das ist ein unglaublicher Skandal“ , erklärte heute in einer Pressekonferenz Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende und familienpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Nicht nur die ungeheuerlichen Vorgänge an sich. Die erinnern an ein Straflager, nicht an eine Hilfe-Einrichtung. Mindestens genauso dramatisch ist, dass Sozialsenator Scheele gerade nach den Erfahrungen mit Haasenburg und Schönhof seine Behörde und die Jugendämter in den Bezirken offensichtlich in keiner Weise sensibilisiert hat , den Vorwürfen umfassend nachzugehen, für eine nachhaltige und transparente Aufarbeitung zu sorgen, pädagogische Konzepte im Geist des SGB VIII zu garantieren oder zumindest das Schreiben des Landesjugendamts Schleswig-Holstein weiterzuleiten. Und immer noch geht die Fachbehörde einer fachlichen Auseinandersetzung um Einrichtungen mit Konzeptionen aus dem Weg, die immer wieder Misshandlungen, demütigende Strafmaßnahmen und Rechtsverletzungen von Kindern und Jugendlichen hervorbringen. Es ist einfach unfassbar, mit welcher Ignoranz Scheele dem Schicksal hilfsbedürftiger Menschen Gegenübersteht. Wir fordern eine umfassende Aufklärung der Vorgänge in der Einrichtung und ziehen einen Antrag auf Akteneinsicht in Erwägung. Wir werden mit den anderen Oppositionsparteien darüber sprechen. Wir werden zudem einen Selbstbefassungsantrag auf die Tagesordnung des nächsten Familienausschuss setzen. Beschwichtigende Worte reichen uns nicht aus, um den Schutz der Jugendlichen zu garantieren.“
„Die Behörde wollte von den Vorgängen offenbar einfach nichts wissen“ , ergänzt Mehmet Yildiz, kinderpolitischer Sprecher der Fraktion. „Und auch jetzt wird einfach abgewiegelt. Die Behörde zieht sich darauf zurück, dass jetzt alles gut sei, weil das LJA Schleswig-Holstein die schlimmsten Verstöße verboten hat und einzelne Mitarbeiter entlassen wurden. Wenn aber zum Beispiel in einer ausschließlich für Mädchen und Frauen konzipierten Einrichtung fast nur Männer arbeiten, dann kann man das nicht individuell diesen Angestellten vorwerfen, sondern dann stimmt ganz einfach die Konzeption nicht – wieder mal. Und wieder mal: Wir brauchen endlich eine Enquete-Kommission zur Kinder- und Jugendhilfe in Hamburg.“