Interfraktioneller Antrag: Maßvolle Anpassungen im Wahlrecht
Die Bürgerschaftsfraktionen von SPD, Grünen, DIE LINKE und FDP haben sich auf Anpassungen im Wahlrecht für die Bezirks- und Bürgerschaftswahlen verständigt (siehe Anlage). Vorausgegangen war im Anschluss an die vergangene Bürgerschaftswahl eine intensive Beratung im Verfassungs- und Bezirksausschuss. Hierbei wurden neben dem Landeswahlleiter auch mehrere Expert_innen gehört. Im Ergebnis soll das geltende Wahlrecht nach Auffassung der antragstellenden Fraktionen dem Grunde nach fortbestehen. Wichtig war den Fraktionen dabei auch ein möglichst breiter politischer und zivilgesellschaftlicher Konsens. Daher wurden die Initiatoren der damaligen Volksinitiative „Faires Wahlrecht“ in die Gespräche miteinbezogen.
Dazu Christiane Schneider, Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft: „Eine lange Diskussion und von Kompromissbereitschaft geprägte Gespräche mit den InitiatorInnen für ein faires Wahlrecht haben zu einem guten Ergebnis geführt. Die wenigen Korrekturen ändern den Charakter des geltenden Wahlrechts nicht: Der Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auch auf die personelle Zusammensetzung von Bürgerschaft und Bezirksversammlungen bleibt erhalten. Besonders freut uns, dass der Wahlrechtsausschluss von Menschen mit Behinderungen aufgehoben wird.“
Dazu Olaf Steinbiß, verfassungspolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion: „Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, beim Thema Wahlrecht einen breiten politischen Konsens zu erzielen. Es ist wichtig, das geltende Wahlrecht in Teilen anzupassen, ohne es aber grundlegend zu verändern. Mit den Heilungsmöglichkeiten haben wir ein gutes Mittel gefunden, die unzulässigen Stimmen zu reduzieren. Durch die Änderungen der bezirklichen Vorschriften stärken wir die Bezirksversammlungen in ihrer so wichtigen ehrenamtlichen politischen Arbeit vor Ort. Das ist auch angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Bezirkswahlen ein wichtiges Signal.“
Dazu Farid Müller, parlamentarischer Geschäftsführer und verfassungspolitischer Sprecher der Grünen Bürgerschaftsfraktion: „Wir werden einige Schwachstellen des nun seit 14 Jahren erprobten Wahlrechts maßvoll korrigieren. Für uns Grüne war es entscheidend, dass am Kern des Wahlrechts nicht gerüttelt und die Kandidatenauswahl seitens der Wählerinnen und Wähler im Prinzip erhalten bleibt. Damit war es möglich, einen Konsens mit den Initiatoren des Wahlrechts herzustellen und einen Volksentscheid zu verhindern. Dass nun zukünftig auch Menschen mit Behinderung das Wahlrecht ohne Einschränkung ausüben können und in den Wahlkreisen die Kandidatenanzahl maßvoll reduziert wurde, macht das Wahlrecht unterm Strich gerechter und übersichtlicher.“
Dazu Kurt Duwe, verfassungspolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion: „Der fraktionsübergreifende Antrag zur Reform des Wahlrechts ist ein Erfolg für die parlamentarische Demokratie in Hamburg. Wir Freie Demokraten freuen uns besonders, dass wir die anderen Fraktionen von unseren Ideen überzeugen konnten, die Funktionsfähigkeit der Parteiendemokratie und ihrer Mandatsträger zu stärken. Auf FDP-Initiative wird es darüber hinaus noch größere Möglichkeiten für Wählerinitiativen und kleinere Parteien geben, flächendeckend in Wahlkreisen der Bezirke zu kandidieren. Das wird die Auswahl für die Wählerinnen und Wähler vor Ort noch erweitern. Zudem begrüßen wir, dass sich Bezirksabgeordnete zukünftig in sogenannten ‚Gruppen‘ zusammenschließen können. Das Bezirkswahlrecht sieht zwar lediglich eine Sperrklausel von drei Prozent vor, Fraktionsrang erreichen Abgeordnete allerdings erst ab fünf Prozent. Der Zusammenschluss von Abgeordneten in ‚Gruppen‘ erleichtert die Arbeit der Abgeordneten und stärkt die Funktionsfähigkeit der Bezirksversammlungen.“
Dazu Manfred Brandt von Mehr Demokratie e.V.: „Das ideale Wahlrecht gibt es nicht. Ein Wahlrecht, das den Bürgerinnen und Bürgern mehr Einfluss auf die Zusammensetzung ihrer Parlamente gibt, ist mit Sicherheit demokratischer als die früher übliche Listenwahl in Hamburg. Das geltende Wahlrecht immer wieder schlecht zu reden, fördert ganz bestimmt nicht die Wahlbeteiligung. Die Änderungen, auf die wir uns verständigt haben, sind geringfügig. Grundsätzlich ist es nicht gut, nach jeder Wahl das Wahlgesetz zu ändern.“
Die Anpassungen im Überblick:
Neben technischen Änderungen und Anpassungen an das Bundeswahlrecht soll künftig für die Stimmzettelreihenfolge der Parteien nicht mehr die Kandidatenanzahl, sondern das letzte Bürgerschaftswahlergebnis entscheidend sein, sofern die Parteien die Mindestzahl an Kandidaten einhalten. Hierdurch sollen für die Wählerin oder den Wähler die Stimmzettel übersichtlicher werden. Ferner werden die Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen gestärkt. Auch wer dauerhaft vollbetreut wird, kann bereits bei der Bezirkswahl im kommenden Jahr erstmals seine Stimme abgeben. Diese schon seit längerem im politischen Raum stehende Forderung wurde im vergangenen Jahr auch noch einmal in einem gemeinsamen Brief der Landesbehindertenbeauftragten bekräftigt. Weiter soll die hohe Zahl ungültiger Stimmen durch eine Heilungsregelung für klar auszulegende Fälle reduziert und der Wählerwille damit gestärkt werden.
Die bisher in unterschiedlichen Gesetzen festgeschriebenen Regelungen für Bezirkswahlen werden künftig in einem einzigen Gesetz zusammengefasst. Dies sorgt für mehr Rechtsklarheit und Transparenz. Um die ehrenamtliche politische Arbeit in den Bezirksversammlungen zu stärken, wird ein so genanntes Benachteiligungsverbot gesetzlich festgeschrieben. Das heißt, kein Mitglied einer Bezirksversammlung darf aufgrund seiner Abgeordnetentätigkeit berufliche Nachteile haben.
Außerdem streben die antragstellenden Fraktionen die Einrichtung eines zentralen Wahllokals in der Innenstadt, zum Beispiel im Rathaus, vor. Dort wäre dann eine Stimmabgabe für alle Wahlkreise möglich, verbunden mit dem Ziel, über dieses zusätzliche Angebot die Wahlbeteiligung zu erhöhen.