Plenarprotokoll 20/66 : Steuererhöhungspläne von Rot-Grün – Gift für Hamburger Familien und Unternehmen

Norbert Hackbusch DIE LINKE:* Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei so vielen Wahlkampfphrasen fällt es natürlich schwer, sich jetzt noch durch dieses Thema zu bewegen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Dieser Antrag ist schlecht und ich werde dazu gleich einiges sagen. Außerdem vergisst er uns völlig, das finde ich besonders dramatisch. Ich möchte einzelne Punkte herausnehmen, damit wir wenigstens einiges diskutieren können. Frau Suding, mir ist das besonders wichtig, weil Sie ein einleuchtendes Argument nannten, dass die Leute mit einem Einkommen von etwa 5150 Euro betroffen seien.

(Katja Suding FDP: Ja, sind sie!)

Diejenigen mit 5150 Euro sind nicht betroffen.

(Katja Suding FDP: Doch!)

Mit 5151 Euro würden sie den ersten Euro versteuern nach den neuen Bedingungen. Wenn man so argumentiert, ist das einfach demagogisch.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Sie tun nämlich so, als wenn alle betroffen sind, die genau diese Summe einnehmen. Das ist eindeutig falsch. Nehmen Sie dieses Argument einfach an. Alle Studien, die zu diesem Thema etwas untersucht haben, sagen, dass etwa 15 Prozent betroffen sind. Und zu sagen, nur diejenigen wären die Leistungsträger, ist meiner Meinung nach eine Frechheit gegenüber der Hamburger Bevölkerung.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Was ist eigentlich die Bilanz? In welcher Situation stehen wir gegenwärtig in der Gesellschaft? Die Situation ist doch nicht so – Sie müssten wirklich einmal versuchen, an Ihren Ständen darüber zu diskutieren –, dass es Deutschland wunderbar geht, dass das Selbstbewusstsein der Wirtschaft klasse ist und dementsprechend alles sprudelt. Wir haben ein Jahrzehnt der Umverteilung hinter uns. Das haben wir schon einmal diskutiert anhand des Reichtumsberichts. Wir haben festgestellt, dass 50 Prozent der Bevölkerung vor 15 Jahren noch 4 Prozent des Volkseinkommens hatten. Jetzt haben diese 50 Prozent nur noch 1 Prozent. Das Ganze haben gewonnen die ersten 10 Prozent und die höchsten 1 Prozent dieser Gesellschaft. Bei dieser riesigen Umverteilung ging es für jeden darum, dass er praktisch kein Geld mehr zurücklegen konnte. Das ist die Situation der letzten Jahrzehnte und das ist Ihre Bilanz. Das ist die Art und Weise, wie Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft existiert, unabhängig von Steuerpolitik.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und bei Heidrun Schmitt GRÜNE)

Und diese Ungerechtigkeit gilt es zu ändern, das ist ein wichtiger Punkt. Sie müssen doch einmal auf diese Argumente eingehen und sich in Ihrem eigenen Armuts- und Reichtumsbericht ansehen, wie diese Umverteilung vor sich geht. Sie können nicht einfach darüber hinwegfegen nach dem Motto, alles sei schön. Gegenwärtig wirkt es auch so in Deutschland, denn im Süden Europas sieht es schlecht aus, hier dagegen wirkt es noch einigermaßen stabil. Dann kann man sich noch ein bisschen beruhigt fühlen. Aber wenn diese Ungerechtigkeit nicht verändert wird, geht es insgesamt schief.

(Finn-Ole Ritter FDP: Wie sehen denn Ihre Steuerpläne aus?)

– Das können wir gern einmal länger diskutieren.
Das Zweite, um was es mir jetzt geht, ist die Frage der Rekordeinnahmen. Frau Suding nehme ich da aus, sie ist noch nicht so lange im Parlament, aber Herr Heintze und die CDU sind es, und sie haben sich lange damit auseinandergesetzt. Was sagt der Rechnungshof in dieser Stadt zur finanziellen Ausstattung Hamburgs? Er sagt, dass es seit Jahren ein strukturelles Defizit von 1 Milliarde Euro gäbe, und das gibt es heute noch.

(Katja Suding FDP: Das bestreitet ja keiner!)

Das ist zu Ihrer Zeit nicht verändert worden. Sie sagen jetzt, man hätte das irgendwie verändern können. Wenn Sie das in acht Jahren nicht konnten, dann ist das doch ein größeres Problem, auch wenn ich Ihre Fähigkeit zu regieren nicht so hoch einschätze. Aber Sie müssen dieses Argument doch akzeptieren. Das Ergebnis von alledem ist eine marode Infrastruktur sowohl im baulichen Bereich als auch im sozialen und kulturellen Bereich – das diskutieren wir hier sehr häufig –, und dann sagen Sie vor den Wahlen, wir bräuchten gar kein Geld, wir könnten das alles anders. Sie wissen doch, dass es nicht geht.

(Dietrich Wersich CDU: Nein, es geht um die Frage, wie man das Geld einnimmt! Man darf doch Deutschland nicht kaputt machen!)

Sie haben es über Jahre so dargestellt und über Jahre regiert und es nicht gelöst.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht um die Frage, wie man es macht. Das strukturelle Defizit von 1 Milliarde Euro, das Sie in Ihren acht Jahren Regierungszeit durch Einsparungen nicht haben lösen können, ist doch ein einfaches Argument dafür, dass es auch Einnahmeverbesserungen geben muss. Oder wollen Sie sagen, dass wir das vielleicht besser schaffen, wenn die LINKE endlich einmal regiert?

(Dietrich Wersich CDU: Das ist doch ein Programm „Armut für alle“!)

Was wir gestern bei der Diskussion über die Netze mitbekommen haben fand ich unvorstellbar. Der Bürgermeister sagte, jetzt seien die Zinssätze so gering, aber 7, 8 oder 9 Prozent würden vielleicht auf die Dauer nicht reichen, es könne doch alles Mögliche passieren. Sie arbeiten nur mit Angst nach dem Motto, die Vorschläge, die unter Kohl existiert haben, würden die Wirtschaft kaputt machen. Was ist denn das für eine politische Debatte? Das ist doch Unsinn, das kann doch gar nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Heintze tritt auf und sagt, jeder Hamburger wäre exorbitant betroffen von den rot-grünen Steuerplänen. Das ist doch auch Unsinn, das ist eine übersteigerte Wahrnehmung. Sie argumentieren nicht, sondern bauen Angstbilder auf und sagen, wenn wir das nicht machen, dann wird alles katastrophal. Es gibt überhaupt keine Substanz in Ihren Argumenten. Davor habe ich politisch große Angst, wenn wir nämlich nicht mehr debattieren
über verschiedene Konzepte, sondern nur noch die Angst alles beherrscht. Herr Wersich sagt, wenn Rot-Grün an die Regierung käme, dann würde die Wirtschaft kaputt gemacht. Was ist das für ein Unsinn; das ist kein Argument, das ist Angst. Mit dieser Einstellung können wir in dieser Gesellschaft nicht vorankommen.

(Dietrich Wersich CDU: Das haben wir doch schon erlebt 2002! Wir haben doch als Erstes die Maastricht-Kriterien zu spüren bekommen!)

– Da kann er so viel schreien wie er will, das nützt nichts, bei dieser Art und Weise überzeugt das nicht.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Zweiter Beitrag: Dora Heyenn

Dora Heyenn DIE LINKE:* Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sie von der CDU haben die Bürgerschaft mit Ihrem Antrag in eine Wahlkampfarena verwandelt. Das ist nicht in Ordnung.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD – Finn-Ole Ritter FDP: Das schaffen Sie ja nie!)

Sie malen ein Gespenst von Rot-Grün, den Raffzähnen, an die Wand, aber hier im Raum glaubt doch niemand, dass es eine rot-grüne Regierung nach dem 22. September gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Selbst Sie stimmen mir zu, richtig? Trotzdem muss man etwas zur Steuerpolitik von Schwarz-Gelb sagen. Mehrfach ist gesagt worden – und das nehmen Sie nicht zur Kenntnis –, dass zurzeit 10 Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent der Vermögen besitzen, und 50 Prozent der unteren Einkommen haben nichts. Sie haben über Jahre eine schwarz-gelbe Steuerpolitik nach dem Motto „Wer wenig hat, dem wird genommen, und wer viel hat, dem wird gegeben“ gemacht.

(Finn-Ole Ritter FDP: Deswegen ist der Grundfreibetrag erhöht worden!)

Diese Politik der Steuerungerechtigkeit muss ein Ende haben.

(Beifall bei der LINKEN – Jörg Hamann CDU: Das stimmt!)

Die Grundlage für diese ungerechte Verteilung, die unter Schwarz-Gelb immer schlimmer geworden ist, ist vor zehn Jahren von Rot-Grün gelegt worden. Die SPD und die GRÜNEN haben das eingesehen und jetzt Programme geschrieben, in denen sie sich ein bisschen an uns orientieren. Das begrüßen wir sehr.
In einer Zeitschrift sind alle Steuerprogramme durchgerechnet worden, und es ist herausgekommen, dass die Vorschläge der GRÜNEN die meisten Steuereinnahmen produzieren und nicht die der LINKEN, um das deutlich zu sagen. Ich würde gern von der Geisterdebatte Rot-Grün in die Realität zurückkommen. Meine Befürchtung ist, dass es nach dem 22. September eine Große Koalition gibt und dann das kommt, was ich schon 28 Jahre lang erlebt habe, nämlich dass die Steuerprogramme der SPD Makulatur sind. Es wäre schade drum, weil es nötig ist, dass man es anders macht. Gregor Gysi sagte, dass es einen sozialdemokratischen Kanzler nur mit der LINKEN geben kann.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Vielen Dank!)

Das ist einfache Arithmetik, und mit Millionärssteuer, Spitzensteuersatz, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und Transaktionssteuer haben wir viele Gemeinsamkeiten. Es gibt aber bei uns einen Unterschied zu den anderen Parteien, denn wir wollen eine Reform der Einkommensteuer. Das bedeutet,
dass wir den Grundfreibetrag auf 9300 Euro erhöhen wollen und dass man bei Einkommen von 1000 Euro brutto im Monat keine Steuern zahlt. Wir wollen, dass die Einkommen bis 2500 Euro brutto pro Monat 85 Euro Steuern pro Monat weniger zahlen. Wir sind also nicht generell für Steuererhöhungen, sondern für Steuergerechtigkeit, und zwar sowohl in der Opposition als auch in der Regierung.

(Beifall bei der LINKEN)