Veranstaltungsbericht: 10 Jahre Linksfraktion und außerparlamentarische Bewegungen
Über 90 Teilnehmer_innen kamen zu unserer Veranstaltung zum Verhältnis von parlamentarischer Politik und außerparlamentarischen Bewegungen in den Kaisersaal des Rathauses. Unsere Abgeordneten Christiane Schneider und Mehmet Yildiz diskutierten dabei mit Vertreter_innen verschiedener Initiativen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Cornelia Kerth (VVN/BdA). Sabine Boeddinghaus, Co-Vorsitzende der Bürgerschaftsfraktion der LINKEN stellte zu Anfang die Frage: „Die Linke will eine Bewegungspartei sein. Wir möchten wissen, ob wir das geschafft haben.“ Christiane Schneider erklärte zum Verhältnis von parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit: „Die Gesellschaft kann nicht über das Parlament verändert werden. Das Parlament muss aber als Ort bespielt werden, um die Kräfteverhältnisse zu ändern.“ Mehmet Yildiz sagte, parlamentarische Arbeit sei wirkungslos ohne außerparlamentarische Bewegungen. Er verstehe die LINKE dabei als lernende Partei, für die der kritische Austausch mit anderen wichtig sei.
Die eingeladenen Gäste berichteten von einer teils lockeren, teils engeren Zusammenarbeit, die sehr stark an gewachsenen Bekanntschaften zu einigen Abgeordneten hing. Mehrere der Gäste erklärten, bei ihrer Arbeit stark von den vielen kleinen und großen Anfragen an den Senat zu profitieren. Sabine Lafrentz, aktiv bei der GEW und Betriebsrätin bei „Elbkinder“, schilderte, dass sie sehr viel schneller als vorher an wichtige Informationen herankomme, seitdem DIE LINKE in der Bürgerschaft vertreten sei. Anträge der Linken in der Bürgerschaft haben dazu beigetragen, im Landesrahmenvertrag festzuschreiben, dass Betreuungsbezahlung deutlich verbessert wurde für Kitas, die tarifgerecht bezahlen. Wiebke Hansen von der Volksinitiative „Tschüß Kohle“, die vorher bereits bei der Volksinitiative „Unser Hamburg, unser Netz“ aktiv war, hob ebenfalls das Engagement von Abgeordneten, Mitarbeiter_innen und vielen Parteimitgliedern positiv hervor: „Vor der Veranstaltung habe ich mich zunächst gefragt, was die LINKE bei ‚Unser Hamburg, Unser Netz‘ gemacht hat. Dabei bin ich dazu gekommen, mich zu fragen: Was könnte eine Fraktion überhaupt noch mehr machen?“ Neben der Informationsbeschaffung waren Redebeiträge von Abgeordneten in der Bürgerschaft wichtig. Durch diese wurden Inhalte in die Presse gebracht, die vorher nicht aufgegriffen wurden. Auch über Anträge, die von der regierenden SPD sämtlich abgelehnt wurden, konnte die LINKE den öffentlichen Diskurs im Sinne der Volksinitiative beeinflussen. Viele Mitglieder der LINKEN hätten sich aktiv daran beteiligt, die nötigen Unterschriften zum Zustandekommen des Volksentscheids zu sammeln. Petra Barz vom Netzwerk „Recht auf Stadt“ beschrieb einen „Ping-Pong-Effekt“ bei Kampagnen: Der MietenMOVE am 2. Juni 2018 wurde von außerparlamentarischen Gruppen und Initiativen organisiert. Die LINKE Bürgerschaftsabgeordnete Heike Sudmann griff den MietenMOVE in der Parlamentsdebatte auf und konnte damit dazu beitragen, das Thema im Vorfeld auf die mediale Agenda zu setzen. Auch Michael Rothschuh von „Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg e.V.“ berichtete über eine produktive Zusammenarbeit mit Abgeordneten der LINKEN. Es sei oft gelungen zusammen Themen in der Stadt voranzubringen. Dabei würden beide voneinander profitieren: Durch die Arbeit der Fraktion erhalten Bewegungen wichtige Informationen, die Partei sei aber auch angewiesen auf Informationen aus außerparlamentarischen Initiativen.
Die Zusammenarbeit zwischen Partei und außerparlamentarischen Bewegungen verläuft allerdings auch nicht immer reibungslos. Probleme können entstehen, wenn Mitglieder der Partei in außerparlamentarischen Bewegungen aktiv sind – was an sich sehr begrüßt wird. Wiebke Hansen kritisierte, dass dies teilweise darin resultierte, dass Konflikte zwischen Parteien in Initiativen ausgetragen werden. Anstatt in solchen „Parteischarmützeln“ den Gegner in der jeweils anderen Partei zu sehen, sollte die Arbeit alle auf das Erreichen des Ziels der Initiative fokussiert bleiben. Als nachteilig für die gemeinsame Arbeit erweise sich auch der „schlechte Ruf“ der LINKEN in der Bevölkerung. Wiebke Hansen legte dazu dar, dass es manchmal bei Unterschiftensammlungen eben nicht von Vorteil sei, wenn man zu eng mit der LINKEN gemeinsam verortet werde. Sabine Lafrentz, die im Rahmen der NOLYMPIA-Kampagne Obfrau der Volksinitiative „Stop Olympia“ war, kritisierte, dass innerhalb der Bewegung gegen Olympia in Hamburg parteiinterne Konflikte der LINKEN ausgetragen wurden. Petra Barz klagte, es sei oft unklar, wie in der LINKEN Debatten ausgetragen werden. Für die Zusammenarbeit sei es aber wichtig, die Standpunkte der Hamburger Partei zu kennen – z.B. zu Themen wie Migrationspolitik. Einige Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit ergeben sich aus unterschiedlichen Interessen und Arbeitsansätzen. Christiane Schneider machte deutlich: „Ich mag es nicht, wenn gesagt wird ‚Wir möchten Bewegungen eine Stimme im Parlament geben‘. Bewegungen haben ihre eigene Stimme und ihr eigenen Sprechorte.“ Eine Partei habe auch ihr Eigeninteresse. Bei linken Bewegungen gebe es deswegen immer ein Misstrauen gegen Parteien. Hier gebe es keine einfachen Lösungen. Auf ein weiteres Risiko wies Michael Rothschuh hin: Während die Fraktion in der Öffentlichkeit stark wahrgenommen werde, sei die Partei wenig präsent. Das sei solange kein großes Problem, wie DIE LINKE in der Opposition sei. Im Falle einer Regierungsbeteiligung sei eine starke Partei aber wichtig, weil in einer Koalition Kompromisse gemacht werden. Dann bestehe die Gefahr, dass die Partei der Arbeit der Fraktion und damit der Regierung untergeordnet werde – wie man bei den Grünen in Hamburg sehen könne.
Wie kann eine Zusammenarbeit zwischen außerparlamentarischen Bewegungen und der LINKEN im Parlament aussehen und welche Wünsche gibt es an DIE LINKE? Zu diesen Fragen gab es unterschiedliche Positionen. Während Michael Rothschuh sich nach der Bürgerschaftswahl 2020 eine rot-rot-grüne Koalition in Hamburg wünscht, erklärte Mehmet Yildiz, die LINKE habe in der Opposition viel mehr erreichen können, als bei einer Regierungsbeteiligung möglich gewesen wäre. Sabine Lafrentz würde es gerne sehen, wenn DIE LINKE eine stärkere Rolle innerhalb der Gewerkschaften einnehmen würde. Auch wünschte sie sich noch mehr Engagement der Partei in der Auseinandersetzung um Kitas. Wiebke Hansen erklärte, es sei für außerparlamentarische Kampagnen relevant, wie sich eine linke Partei zu ihnen verhalte. Es sei aber auch gut, wenn Differenzen sichtbar werden. In der Zusammenarbeit sei es wichtig, dass Partei und Initiativen jeweils für sich sprechen. Sie hofft auf eine starke Zusammenarbeit mit der LINKEN bei der Volksinitiative „Tschüß Kohle“. Die Rolle der Partei sei bei solchen Initiativen nicht nur während der Kampagnen wichtig, sondern auch, wenn ein Volksentscheid gewonnen sei. Denn dann gehe es darum, im Parlament Druck aufrecht zu halten, damit die Regierung sich an das Ergebnis des Volksentscheides hält. Petra Barz sieht die vom Recht-auf-Stadt-Netzwerk initiierte Konferenz der Stadtteile im Frühjahr 2019 als eine Möglichkeit, eine neue Gesprächskultur zwischen Partei und Bewegungen zu intensivieren.
Bei der Veranstaltung wurden deutlich, dass es sehr viele positive Erfahrungen von außerparlamentarischen Bewegungen mit der Fraktion der LINKEN in der Hamburger Bürgerschaft gibt. Gleichzeitig ergeben sich aus den Unterschieden zwischen Partei und außerparlamentarischen Initiativen auch Probleme und Reibungspunkte, die sich nicht immer auflösen lassen. Der kritische Austausch zwischen Partei und Bewegungen ist eine Voraussetzung dafür, die Kräfteverhältnisse in dieser Gesellschaft zu verändern und für eine solidarische, gerechte und ökologisch nachhaltige Stadt zu kämpfen.