Die unvollendete Revolution
von Lotte Schmiedel, Praktikantin bei der Linksfraktion
Deutschland, wie wir es kennen, mit Demokratie und Wahlen muss ja mal irgendwann entstanden sein. Das war vor ungefähr 100 Jahren und es war eine ganz schön aufregende Angelegenheit. Darum ging es bei einer Veranstaltung der Linksfraktion am 19. Januar im Rathaus. Es nahmen 230 Zuschauer*innen an dem Abend teil und noch mehr standen vor den Türen, die leider nicht mehr reingelassen werden durften, weil es kein Platz mehr gab. Mit Gedichten, alten Briefen und Musik sind großartige Künstler*innen aufgetreten. Im Raum standen zwei rote Fahnen.
Am Anfang gab die Fraktionsvorsitzende Sabine Boeddinghaus eine tolle einleitende Rede in das Thema, sie sprach darüber, dass genau an diesem Tag vor 100 Jahren die erste Nationalversammlung Deutschlands gewählt wurde. „Zum ersten Mal in der Geschichte gewählt von Männern und Frauen. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es ein allgemeines, freies und gleiches Wahlrecht“, sagte sie.
Stellt euch folgendes vor: Ende des 1. Weltkrieges, die Menschen hungern schrecklich und haben nichts mehr. Es gibt einen Aufstand der Matrosen, weil diese in eine Schlacht gegen England ziehen sollen, bei der sie höchst wahrscheinlich alle abgemetzelt werden, nur weil Deutschland lieber in Ehre untergehen möchte. Die Matrosen starten einen Aufstand, bei dem immer mehr Menschen mitmachen und der zu einer Revolution wird. Außerdem geht es jetzt darum, welches neue System in Deutschland regieren soll. Es gibt verschiedene sozialistische Gruppen mit verschiedenen Zielen.
Sozialistische Republik, Räterepublik oder „Ruhe und Ordnung“?
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht starten den Spartakusbund. Sie wollen sofortige demokratische Rechte und Freiheiten und die Abschaffung des Klassenwahlrechts. In einem wichtigen Punkt ist sich der Bund aber unstimmig, ein großer Teil des Spartakusbundes will eine sozialistische Republik nach sowjetischem Vorbild (also so ähnlich wie die DDR, die es nach dem 2. Weltkrieg gab, nur dass es in der DDR wenig Demokratie gab). Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Beispiel wollen das aber nicht, sie wollen eine Räterepublik. Die MSPD (so genannte Mehrheits-SPD, eine Partei, ähnlich aufgestellt wie die heutige SPD) aber möchte lieber keine Revolution, sondern Ruhe und Ordnung. Ziemlich viele verschiedene Ideen, was mit Deutschland passieren soll.
Aber zurück zur Veranstaltung. Den ersten Teil des Abends bilden Sylvia Wempner, Rolf Becker und Kai Degenhardt. Sie halten informative Vortrage, lesen Texte, beispielsweise von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Tucholsky und singen Lieder. In den Texten geht es um Lügen, Hunger, Wut, Revolution und mehr, wärend der Novemberrevolution, davor und danach. Das Publikum ist begeistert. „Mir gefällt das Zusammenspiel der drei besonders gut“, erzählt mir eine Zuschauerin. „Es kommt in einem eine richtige Wut hoch über die Ungerechtigkeit! Vor allem, dass es oft immer noch so ist. Viele Menschen und Politiker*innen verschließen die Augen“, sagt sie.
„Ich finde es auch toll, dass Sylvia Wempner, also eine Frau, Rosa Luxemburg spricht“, erzählt mir eine andere Zuschauerin. Als ich einen der Künstler, Rolf Becker, frage, was wir aus ihrer Vorstellung mitnehmen sollen, sagte er: „Dass Beschäftigung mit der Geschichte notwendig ist, um die Gegenwart zu verstehen.“
Eindrucksvolle Lieder und lustige Texte
Nach einer kleinen Pause mit Schnittchen und Getränken (an alle die nicht da waren: entschuldigt, wenn ich euch eifersüchtig mache ;-)) ist es Zeit für Teil 2 des Abends und das Literarische Menuett erobert die Bühne. Sie fangen an mit einem eindrucksvollen Lied: „Kriegslied“. Es geht um das brutale und grauenhafte Leben des Kriegerstandes. Darauf folgen weitere Texte und Lieder. Die Reihenfolge der Texte ist bei beiden Teilen meiner Meinung nach sehr gut gemacht, zwischendurch gibt es lustige Texte wie „Der Revoluzzer“ von Erich Mühsam, aber auch kompliziertere Themen.
„Man siehst die Dinge auf einmal von einer anderen Seite an. Die Texte in beiden Teilen sind authentisch und berührend“, höre ich von einem Zuschauer. Bestürzt erzählt mir jemand: „Mir war gar nicht klar, wie schnell Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gestorben sind. Sie haben so viel geopfert und sind so schnell gestorben.“ Und meine freundliche Sitznachbarin sagt: „Ich habe es keine Sekunde bereut zu kommen.“
Am Ende noch ein Zitat von Rosa Luxemburg zum Nachdenken: „Nur wer sich bewegt, spürt seine Fesseln.“