Eklatante Missstände im Maßregelvollzug: „Perspektiven schaffen statt Wegsperren“
AnwältInnen und Betroffene berichten von zahlreichen Missständen auf der Station 18 der
forensisch–psychiatrischen Abteilung der Asklepios Klinik in Ochsenzoll. Unter Anderem soll in
mehreren Fällen mit Hilfe von Druck und negativen Sanktionen eine Medikation gegen im
Maßregelvollzug Inhaftierte durchgesetzt worden sein. „Eine solche Praxis ist nicht vereinbar mit
Artikel 1 und Artikel 2 des Grundgesetzes. Die Würde der Betroffenen und das Recht auf
körperliche Unversehrtheit werden auf diese Weise verletzt.“, kritisiert Deniz Celik,
gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion. „Zusätzlich wurde uns berichtet, dass oftmals
überhöhte Dosen an Medikamenten verabreicht und Depotspritzen statt täglicher Medikation
gegeben werden“, so Celik weiter.
Durch Antidepressiva, ruhigstellende Mittel und weitere Medikamente, komme es bei mehreren
Patienten unter anderem zu Aufschwemmungen, Übergewicht, Erschöpfung, Bluthochdruck und
weiteren Erkrankungen. „Uns wurde auch von Fällen berichtet, in denen Inhaftierten, die eine
Medikation verweigerten, Lockerungen verwehrt wurden. Andere wurden, wenn sie berechtigte
Kritik äußerten oder Anwälte damit beauftragten ihre Interessen wahrzunehmen, eingeschüchtert
oder negativ sanktioniert. Derartige Zustände sind unhaltbar“, erklärt Celik.
„Bei der Vorstellung des Berichtes der Aufsichtskommission (Drucksache 21/156) im
Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft am 18. Juni 2015 wurde aufgrund der Antworten der
ExpertInnen auf kritische Fragen deutlich, dass Zwangsmedikation, Zwangsfixierungen, die
Unterbringung im Kriseninterventionsraum und weitere repressive Maßnahmen in vielen Fällen
offenbar als einzig erfolgversprechender Weg angesehen werden“, sagt Martin Dolzer,
justizpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Rechtsverbindliche Beschwerdemöglichkeiten gegen
derartige Verstöße hätten weder ExpertInnen noch Senatsmitglieder benennen können. Die
Strafvollstreckungskammern seien derart überlastet, dass Anträge und Beschwerden aus dem
Strafvollzug und Maßregelvollzug kaum oder nicht angemessen, verhandelt würden. „Die
Aufsichtskommission wird als wenig hilfreich und als nicht unabhängig wahrgenommen“, so Dolzer
weiter. „Anstatt die eklatanten Missstände klar zu benennen, wirken sowohl die Stellungnahme des
Senats als auch der Bericht der Aufsichtskommission an Problempunkten stark beschönigend.“
„Menschen im Maßregelvollzug dürfen nicht über eine viel zu lange Zeit auf einem aussichtslosen
Abstellgleis weggesperrt werden. Bei der Behandlung der PatientInnen muss die Menschenwürde
geachtet werden“, fordern Celik und Dolzer. Es sollten deshalb resozialisierende Wege gesucht
werden. Dazu gehören unter anderem die Stärkung therapeutischer Momente, bessere
Perspektiven durch absehbare Entlassungsfristen, die Einrichtung einer durch das Parlament
gewählten, unabhängigen Beschwerdestelle sowie die Stärkung des Sozialpsychiatrischen
Notdienstes zur Prävention. Als langfristige Maßnahme ist es notwendig anzuerkennen, dass
„psychische Probleme“ einen gesellschaftlichen Hintergrund haben und keine zu bekämpfende
Störung sind. „Es müssen gesellschaftliche Räume geschaffen werden, in denen von ‚psychischen
Problemen‘ Betroffene Probleme überwinden und ihre Persönlichkeit entwickeln lernen können. Auf
diese Weise würde die Prävention gestärkt. Zudem könnten die Haftzeiten im Maßregelvollzug
gesenkt und eine nachhaltige Heilung ermöglicht werden“, so Celik und Dolzer weiter.