Sternstunden der Marktwirtschaft: Die Schuldendeals der Hansestadt Hamburg
von Joachim Bischoff und Norbert Weber
Hamburg und Schleswig-Holstein haben bundesweit die meisten neuen Schulden. Schuld sind die Krise der HSH Nordbank und die Übernahme von deren Schrottpapieren. Laut Statistischem Bundesamt stieg die Schuldenlast vergangenes Jahr um knapp 2,3 Milliarden Euro. Hamburg und Schleswig-Holstein mussten faule Altkredite der HSH Nordbank übernehmen. Damit hat die Hansestadt jetzt 31 Milliarden Euro Schulden, pro Kopf sind das 17.400 Euro. In Schleswig-Holstein kletterte die Schuldenlast auf gut 21 Milliarden Euro, das sind 10.000 Euro pro Kopf. Wegen der Übernahme der HSH-Altkredite sind Hamburg und Schleswig-Holstein damit die einzigen Länder in Deutschland, deren Verschuldung 2016 nennenswert anstieg.
Trotz grundgesetzlicher Schuldenbremse steigt der Verschuldungsgrad der beiden Bundesländer deutlich an. Die Öffentlichkeit wird ruhig gestellt. Das Argument: Im Haushalt wird kräftig gespart, allein in Hamburg sind dank der Rotstiftpolitik Überschüsse von 300 Millionen Euro zur Schuldentilgung eingesetzt worden. Der Senat lässt erklären: „Beim Kernhaushalt sind wir auf einem guten Pfad und brauchen uns nicht zu verstecken.“ Dass die Verschlechterung der öffentlichen Leistungen trotzdem zur Erhöhung des Schuldenstands führt, liege – und da könne man nichts machen – am Unglück der HSH Nordbank. Die Finanzbehörde kommt mit dem abgedroschenen Argument: Es handele sich um einen schlauen Deal. Durch die Übernahme von notleidenden Krediten der HSH Nordbank sei ein drohendes, noch viel höheres Risiko – sprich Schuldenzuwachs – für die Länder abgewendet worden. Diese Logik der Finanzbehörde verdient Aufhellung.
Wirklich so ein schlauer Deal?
Die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein haben zum Jahreswechsel 2015/2016 freiwillig eine Abwicklungsanstalt gegründet, um der HSH Nordbank Risiko-Altlasten abzukaufen und damit die Bilanzstruktur der Bank zu verbessern. Diese Anstalt Öffentlichen Rechts (die Länder haften also voll) heißt HSH Portfoliomanagement AöR, kurz PoMa. Die Verbesserung der Bilanzstruktur der angeblichen „Perle“ HSH-Nordbank sah so aus: Die Anstalt hat im Auftrag der Länder am 1. Juli 2016 schlechte Kredite der Bank im Nominalwert von 4,1 Milliarden Euro übernommen und dafür 2,4 Milliarden Euro bezahlt. Als Sicherheit dienten 253 Schiffe, davon zwei Drittel Containerschiffe. Der Auftrag der Länder an die neue Gesellschaft lautete, diese Kredite möglichst mit Gewinn zu verwerten und abzuwickeln.
Genauer betrachtet sah der erste Superdeal aber so aus: Insgesamt sind an die HSH Nordbank fünf Milliarden Euro geflossen, 2,4 Milliarden von der PoMa überwiesen, der Rest kam von der HSH Finanzfonds AöR (abzüglich eines „Selbstbehalts“ der Bank aus der Erstverlust-Tranche). Im Gegenzug sollten von der HSH Nordbank auch fünf Milliarden Euro an Schiffskrediten an die PoMa übertragen werden, bei der Portfoliomanagement AöR sind jedoch bereits im ersten Zuge lediglich 4,1 Milliarden Euro an Forderungen angekommen. Knapp 900 Millionen Euro sind in dieser Interimsphase (31. Dezember 2015 bis 31. Juni 2016) von der HSH Nordbank einigen Schuldnern erlassen worden, davon einem einzigen Reeder etwa 560 Millionen Euro. Das nennen wir einen tollen Deal!
Niemand will die HSH-Schiffe kaufen
Die übernommenen Schiffsfinanzierungen (Containerschiffe, Tanker, Bulker) für 253 Schiffen zogen weitere Deals nach sich: Zum Jahresende 2016 hat die Abwicklungsgesellschaft Forderungen von 4,48 Milliarden Euro gegen ehemalige Kreditnehmer der HSH Nordbank in ihrer Bilanz. Also nicht nur 4,1 Milliarden Euro.Das war mehr als zu Beginn, weil einmal die Forderungen oft in US-Dollar lauten, aber in Euro ausgewiesen sind. Der US-Dollar war 2016 stark, damit stiegen die Forderungen in Euro an. Außerdem wollen die Banker der Abwicklungsanstalt auch entsprechend bezahlt sein. Und schließlich: Es handelt sich ja um notleidende Kredite: Nicht alle fälligen Zinsen wurden von den Reedern bezahlt und erhöhten so die Kreditsumme. Die Forderungen stehen mit einem Buchwert von 2,04 Milliarden Euro in der Bilanz und waren mit 251 Schiffen besichert. Im ersten Quartal des laufenden Jahres wurde der Bestand um weitere acht Schiffe verringert.
Der Auftrag der Länder an die Abwicklungsgesellschaft lautete, diese Kredite möglichst mit Gewinn zu verwerten und abzuwickeln. Dies ist offenkundig gescheitert. Neben dem miserablen Handling sind offenkundig die Marktwerte der Schiffe auch sehr großzügig eingestuft worden. Die Forderungen wurden zum 31. Juni 2016 übertragen, ein halbes Jahr später weist die Bilanz der PoMa auf diese Forderungen bereits eine Wertberichtigung über 470 Millionen Euro aus. Auch das dürfte nur der Anfang gewesen sein, die PoMa selbst weist in ihrem Bericht bereits auf weitere deutliche Wertkorrekturen des Bestandes hin. Die Abwicklungsgesellschaft von Hamburg und Schleswig-Holstein für die faulen Kredite der HSH Nordbank hat schon jetzt einen Verlust von 505 Millionen Euro verbucht.
Der nächste Deal zulasten der Steuerzahler_innen steht schon an
Und das Dealen geht weiter: Einem Bericht der Welt zufolge will die HSH Nordbank dem Unternehmen des Reeders Heinrich Schoeller rund 800 Millionen US-Dollar Schulden erlassen. Die genauen Konditionen würden noch verhandelt, heißt es in dem Bericht. Die betroffenen Unternehmen und die Hamburger Finanzbehörde äußerten sich nicht dazu. Wiederum sehen wir bei der Übernahme der notleidenden Kredite eine völlig intransparente Handlung: Viele kleinere Reedereien , von denen es in Norddeutschland hunderte gibt, bekommen die Perspektive für einen Schuldenerlass oder Neustart nicht geboten, wenngleich sie mitunter gute Chancen für eine Fortführung ihrer Geschäfte hätten. Das ist sicherlich eine „Sternstunde“ der sozialen Marktwirtschaft.
Schaut man sich den PoMa-Geschäftsbericht an, fällt sofort auf, dass zwei maßgebliche Größen zu Lasten der Länder gegenläufig auseinanderdriften:
Zum 31. Juni 2016 betrug der Portfoliowertansatz der AöR laut Geschäftsbericht 2,427 Milliarden Euro. Ein halbes Jahr später, zum 31. Dezember 2016, betrug dieser Wert nur noch 2,038 Milliarden Euro. Und der Wert des Forderungsbestandes betrug zum 31. Juni 2016 noch 4,212 Milliarden Euro, zum 31. Dezember, ein halbes Jahr später, betrug dieser Wert schon 4,477 Milliarden Euro.
Dabei ist der eigentliche Auftrag der PoMa genau anders herum! Sie soll den Forderungsbestand reduzieren und den Wertansatz möglichst erhöhen! Dafür ist sie ins Leben gerufen worden!
Die HSH soll für einen Verkauf aufgehübscht werden
Warum also diese absurden Deals? Die Mehrheitseigner Schleswig-Holstein und Hamburg hatten – wie von der EU-Kommission gefordert – das angeschlagene Finanzinstitut HSH öffentlich zum Verkauf ausgeschrieben. Die interessierten Investoren wurden aufgefordert, bis Ende Juni 2017 „erweiterte und konkretisierte indikative Angebote“ abzugeben. Das ist passiert. „Nach erster Sichtung sind die Angebote eine gute Grundlage, um den Verkaufsprozess erfolgreich fortsetzen zu können“, schreiben die Finanzministerin von Schleswig-Holstein, Monika Heinold (Grüne), und der Finanzsenator von Hamburg, Peter Tschentscher (SPD). Die Verkaufsverhandlungen sollen nach den Bundestagswahlen beginnen und bis zum Februar des nächsten Jahres abgeschlossen sein.
Die Bank besteht aus einer Kernbank, die seit einiger Zeit Schiffskredite umgeht und mit Immobilien, Energieanlagen und Unternehmensfinanzierungen eine Existenzgrundlage sucht, und einer mit enormen Altlasten – vor allem notleidenden Schiffskrediten – behafteten Abbaubank unter einem gemeinsamen Dach. Weil man mindestens die Kernbank verkaufen will, müssen die Steuerzahler_innen bei der Verschönerung der Bilanzstruktur der HSH Nordbank helfen.
Die Logik: Damit soll ein drohendes, noch viel höheres Risiko für die Länder abgewendt werden. Außerdem denken die Politiker schon über die Zukunft nach: Hamburg und Norddeutschland sollen auch nach dem Beben in der Schifffahrts- und Finanzmarktkrise eine Kernregion für das globale Reedereigeschäft bleiben. Denn es sind vor allem Schiffe, die den Welthandel tragen, was es auch immer kostet.
Ein politischer Skandal
Die gesamte Dealerei ist ein politischer Skandal: Die Länder haften Dritten gegenüber unbeschränkt und als Gesamtschuldner, erneut zieht eine Gewährträgerhaftung in vollem Umfang. Der auftragsgemäß zu reduzierende Forderungsbestand hat sich in nur einem halben Jahr um 265 Millionen Euro erhöht.
Der Geschäftsbericht erscheint uns wie ein Adventskalender, der nur die Türchen aufmacht, hinter denen eher die besseren Nachrichten stehen. Alle anderen bleiben der Öffentlichkeit verschlossen. Die PoMa baut einen enormen Kostenblock auf. 2016 war ja nur das Rumpfgeschäftsjahr, vermutlich pendelt sich das ab 2017 auf mindestens 40 bis 50 Millionen Euro pro Jahr ein.
65 Prozent des riesigen Forderungsbestandes entfallen auf lediglich zehn Kreditnehmereinheiten – die PoMa hat ein gewaltiges Klumpenrisiko. Die HSH Nordbank, die dieses notleidende Portfolio an die Länder abgeben durfte, erhält laut Geschäftsbericht für die „Leistungen“ im Auftrag der PoMa Kostenerstattungen und eine Marge. Im Anhang des Geschäftsberichtes findet sich hierzu eine Position „sonstige finanzielle Verpflichtungen, Miet- und Dienstleistungsverträge“ über 7,808 Millionen Euro.
Die PoMa teilt mit, dass Hamburg im Bedarfsfall kurzfristige Darlehen über 100 Millionen Euro und Schleswig-Holstein eine Liquiditätshilfe über eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen würde. Noch nicht geklärt ist, ob dieses über die bereits gewährte Linie von 4,9 Milliarden Euro hinaus gilt.
Zudem ist – für uns erstmals – in der Bilanz zu lesen, dass die PoMa auch Kontokorrentkredite aus laufenden Rechnungen von der HSH Nordbank übernommen und zu 100 Prozent bezahlt hat. Bisher war immer nur von schiffsbesicherten Darlehn die Rede. Es irritiert, dass in die Bilanz nach wie vor kein Eigen- bzw. Stammkapital eingebracht wurde. Man beruft sich hier auf den Staatsvertrag, dass das möglich sei. Vermutlich wollen hier die Länder den Ball möglichst flach halten, denn eine Eigenkapitalposition würde die Bilanz verlängern und damit den Verlust vermutlich erhöhen.